Vor allem seit den 1990er-Jahren erlangen Cannabinoide einen immer wichtigeren Stellenwert in der Medizin. Da praktisch der gesamte Körper mit Cannabinoidrezeptoren übersät ist, lassen sich viele Prozesse über das Endocannabinoidsystem steuern und daher Krankheitsbilder und Symptome lindern. Neben natürlichen Cannabinoiden aus dem Hanf, und medizinischem Marihuana, finden auch einige synthetische Cannabinoide Verwendung.
Ein Grund dafür ist, dass Hanf bis zum heutigen Tag, sogar für medizinische Verwendung in vielen Ländern verboten ist und drakonisch verfolgt wird. Es ist juristisch sehr viel einfacher, einen leicht abgewandelten Wirkstoff in isolierter Reinform zuzulassen und über einen Pharmakonzern zu vertreiben. Der andere Grund ist, dass es tatsächlich synthetische und halbsynthetische Cannabinoide gibt, die in einigen Anwendungsbereichen sogar noch effektiver wirken als THC.
Cannabinoide gibt es in unzähligen chemischen Grundstrukturen. Von jedem Cannabinoid lassen sich wieder zahlreiche weitere Derivate ableiten, die mittels geringfügiger Modifikation des Moleküls erheblich selektivere und stärkere Wirkungen als sein Ausgangsstoff haben können. Eines dieser halbsynthetischen Cannabinoide, welches aus der Medizin nicht wegzudenken ist, ist Nabilon.
Ein THC-Derivat aus den 1970er-Jahren
Nabilon wurde erstmalig vom US-Konzern Eli Lilly zu Beginn der 1970er-Jahre synthetisiert und von diesem auch im Jahr 1975 zum Patent angemeldet. Chemisch handelt es sich bei Nabilon um ein Derivat von Delta-9-THC. Ähnlich wie HHC, liegt Nabilon als Racemat vor. Das bedeutet, es ist ein Gemisch aus 2 verschiedenen Isomeren. Ein Isomer ist die spiegelverkehrte Version von einem Molekül. Durch diese Spiegelung kommt es auch zu einer leichten Änderung in der Gesamtwirkung. Nabilon ist in vielen Ländern der Welt als Arzneimittel zugelassen.
Insbesondere in den USA und in Großbritannien findet es eine weite Verbreitung als Antiemetikum. In Deutschland ist es im Betäubungsmittelgesetz als verkehrsfähig gelistet und kann mittels eines Betäubungsmittelrezeptes verschrieben werden. Leider ist in Deutschland selbst heute noch, der Weg Nabilon verschrieben zu bekommen, relativ steinig, aber immerhin prinzipiell möglich. Nach deutscher Rechtssprechung darf Nabilon erst verschrieben werden, wenn alle anderen medikamentösen Optionen ausgeschöpft sind.
Effektive Symptomlinderung bei schwerer Übelkeit
Das Haupteinsatzgebiet von Nabilon ist die Linderung von Übelkeit, im Zusammenhang mit HIV und Krebserkrankungen. Nabilon ist ein sogenanntes Antiemetikum, also ein Wirkstoff, der darauf abzielt, Übelkeit zu eliminieren. Das kann besonders für Krebspatienten, aber auch für Patienten mit HIV-bedingter Anorexie ein wahrer Segen sein. Eine der schwersten Nebenwirkungen von Chemotherapien im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung, ist der Verlust vom Appetit, und das Vorhandensein von akuter schwerer Übelkeit, welche die Nahrungsaufnahme unmöglich machen kann. Im schlimmsten Fall muss infolge von körperlichem Verfall die Behandlung sogar abgebrochen werden.
Genau hier wirken Antiemetika wie THC und sein halbsynthetischer Abkömmling Nabilon. Viele Cannabiskonsumenten werden das Auftreten von starkem Heißhunger im Kontext des Cannabiskonsums kennen. Genau dieser Effekt wird durch die antiemetische Wirkung von THC ausgelöst. Nabilon hat die gleiche Wirkung, jedoch mit dem Vorteil, dass sie noch selektiver ist und vor allem länger und gleichmäßiger anhält. Die übliche Dosisempfehlung sind 2-mal täglich 1–2 Milligramm. Der Wirkstoff wird dabei oral in Form von Kapseln verabreicht.
Zu beachten ist, dass Nabilon ähnlich wie THC auch psychoaktiv wirkt. Aufgrund der langen Wirkungsdauer von 8 bis 12 Stunden, ist eine 2x tägliche Anwendung im Idealfall ausreichend, um die Übelkeit weitgehend zu eliminieren. Nach aktuellem Wissensstand treten bei Nabilon keine schwerwiegenden körperlichen Nebenwirkungen auf, sondern beschränken sich auf jene Nebeneffekte, die man auch von THC kennt.
Weitere medizinische Qualitäten
Abseits von seinem eigentlichen Verwendungszweck als Antiemetikum, hat Nabilon auch noch schmerzstillende Eigenschaften. Insbesondere bei neuropathischen Schmerzen im Zusammenhang mit Krebserkrankungen scheint es wirksam zu sein. Eine der wichtigsten Forschungsarbeiten, die sich mit der medizinischen Bandbreite von Nabilon beschäftigt, stammt aus dem Jahr 2008 und wurde unter der Leitung von Mark Ware, an der kanadischen Mc. Gill University durchgeführt.
Dabei wurde festgestellt, dass Nabilon bei einer Dosierung von 0.5 mg täglich, bei allen freiwilligen Patienten, die an der Studie teilnahmen, nach 4 Wochen eine Reduktion der neuropathischen Schmerzen um durchschnittlich 2 Punkte auf der 11-Punkte-Skala für neuropathische Schmerzen bewirkte. Bei diesem Test handelt es sich um einen standardisierten Fragebogen, mit dem die Stärke von neuropathischen Schmerzen beziffert werden kann. Eine Besonderheit von Nabilon ist, dass es offenbar auch angstlindernd wirkt.
Während THC dafür bekannt ist, eher Paranoia zu fördern, scheint bei Nabilon das Gegenteil der Fall zu sein. Bereits im Jahr 1981 stellte eine US-Studie an 25 freiwilligen Patienten mit Angststörungen fest, dass nach einer 28-tägigen Einnahme von Nabilon, die Intensität der Angst im Vergleich zur Placebo-Gruppe signifikant abgenommen hatte.
Interessant war an dieser Stelle auch die Erkenntnis, dass die angstlösende Dosis deutlich unter der psychoaktiven Dosis zu liegen scheint. Keiner der Patienten berichtete während der Einnahme von Nabilon von cannabistypischen Veränderungen des Bewusstseins. Diese Tatsache könnte Nabilon auch zu einem potenziellen Kandidaten für die Behandlung von Angststörungen machen.