Seit der Freigabe von Cannabis als Medizin in Deutschland werden anonymisierte Daten seitens des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte erhoben, die dafür genutzt werden sollen, die Wirksamkeit von medizinischem Marihuana bei den unterschiedlichsten Erkrankungen zu belegen. Aus diesen Ergebnissen soll dann in Zukunft unter anderem abgeleitet werden können, für welche Indikationen Krankenkassen die Kosten für das Cannabis erstatten sollten.
Am 31. März 2022 endet die fünfjährige Testphase des beobachteten Einsatzes und die Ergebnisse der Datenerhebungen werden mit Spannung erwartet. Doch bereits früh wurde Kritik laut, da Experten und Fachleute die Aussagekraft der Überprüfungen schon im Vorfeld bezweifeln. Aus diesem Grund hat sich nun ein Start-up daran gemacht, eine eigene Begleiterhebung zu starten, an der sich bereits 50 Apotheken beteiligen.
Entscheidende Fragen werden bislang nicht beantwortet
Dass die vom BfArM durchgeführte Begleiterhebung bezüglich des Einsatzes von medizinischem Cannabis allein schon aufgrund ihrer Gestaltung schon nicht die entscheidenden Fragen beantwortet, sei für Fachleute eindeutig, sagt Jan P. Witte. Er ist mittlerweile freier Experte für Cannabis, der zuvor als Medical Director für die Sanity Group und das Unternehmen Aphria Deutschland arbeitete. Auf Apotheke-Adhoc.de wird er folgendermaßen zitiert: „Das ist eine historische Chance, die wir da vergeben haben. Alle Experten sind sich einig, dass das Design der Begleiterhebung die entscheidenden Fragen nicht beantwortet.“
Die Daten würden seiner Meinung nach nicht dem Standard entsprechen, der notwendig wäre, um eine Bewertung durch den gemeinsamen Bundesausschuss durchführen zu können. „Der Bias in den Daten kann nicht einmal benannt werden“, kritisiert er an der bisherigen Herangehensweise. Es wäre nicht einmal bekannt, wie viele Ärzte die Begleiterhebung ausgefüllt hätten und wie viele dies nicht taten. Auch fehlerhafte oder unvollständige Datensätze könnten aufgrund der Anonymisierung nicht nachträglich zurückverfolgt und vervollständigt werden, was somit zu einer sehr geringen Aussagekraft der Erhebung führe.
Überproportionales Verhältnis
Da wohl viele Ärzte erst nach dem Ende einer Therapie oder nach einem Abbruch an das Ausfüllen der Erhebung denken würden, wäre das Ergebnis ebenfalls verzerrt. Aus dem genannten Grund würden überproportional viele Abbrüche in das erwartete Ergebnis einfließen, deren genaues Verhältnis man aber aufgrund der nicht möglichen Rückverfolgbarkeit nicht eindeutig in den Einklang mit erfolgreichen Therapien bringen könne. Man könne den Bias nicht einmal berechnen, so Witte auf der Apotheken-Plattform.
Auch der Genehmigungsvorbehalt aufseiten der Krankenkassen würde zu einem verschwommenen Ergebnis führen, ist sich der Experte sicher, da bei manchen Indikationen restriktiver gehandelt würde als bei anderen. Man könne die Daten daher eher politisch als wissenschaftlich deuten. Andere kleinere Studien würden im Vergleich wesentlich mehr Sicherheit bezüglich der Verschreibungsfähigkeit von Cannabis in der Medizin geben. Die Erhebung habe daher nicht den wissenschaftlichen Standard, um Rückschlüsse über Erfolg und Misserfolg in bestimmten Indikationen geben zu können.
Copeia kommt ins Spiel
Um dieses Ungleichgewicht zu ändern und an Daten zu gelangen, die wesentlich besser Aufschluss über die Wirksamkeit von Medizinalhanf geben, hat nun das Start-up Copeia ein Portal entwickelt, das Ärzte, Apotheken und Patienten unterstützen will. Alle therapierelevanten Informationen in einer Anwendung sollen hier gebündelt werden, sodass eindeutigere Ergebnisse erzielt werden können. Die Kritik, die Copeia an der offiziellen Begleiterhebung hat, bezieht sich in erste Linie darauf, dass weder alle Patienten, deren Therapie von Krankenkassen getragen würde, in der Erhebung auftauchten, noch dass es sich auf wirkliche Medizinalhanf-Patienten handle.
In erste Linie würden Daten von Nutzern des Cannabisderivates Dronabinol einfließen, was eine Diskrepanz zu den vom GKV-Spitzenverband veröffentlichen Verordnungszahlen von Cannabis-Arzneimitteln darstellen würde. Hier sei schließlich ein deutlich höherer Anteil von Patienten vertreten, die mit Cannabisblüten und Cannabisextrakte behandelt würden.
Erhebliche Abweichungen
Vergleiche man die Daten der bisherigen Zwischenergebnisse des BfArM mit denen des GKV-Spitzenverbandes und den jetzt bereits durch Copeia eingeholten Informationen, würden erhebliche Abweichungen offensichtlich. Der Anteil an Cannabis-Patienten, die Blüten anwendeten, stünde laut GKV bei 32 Prozent, bei Copeia, wo man Privatpatienten und Selbstzahler mit einschließen würde, stünde der Wert hingegen bei 76 Prozent. Das BfArM vermeldete in dem Zwischenergebnis vom Oktober 2021 aber gerade einmal nur 18 Prozent.
Dagegen verwendeten laut BfArM aber 65 Prozent der Cannabis-Patienten Dronabinol. Bei der GKV soll deren Anteil mit 35 Prozent jedoch nur gut halb stark vertreten sein. Copeia konnte diesbezüglich bislang nur 7 Prozent aufseiten der Patienten ausmachen, die das Cannabisderivat nutzten. Verbände und Unternehmen, die von Patientenorganisationen über ärztliches Personal bis zu Herstellern, Großhändlern und Apothekern reichen sollen, wollen daher nun gemeinsam mit Copeia an brauchbarere Daten gelangen, die später als Argumentationshilfe dienlich sein können. Bereits 50 auf Cannabismedizin spezialisierte Apotheken nehmen an der Befragung teil.
Auch Patienten sind gefragt
Da auch die subjektiven Erfahrungen der Patienten von Bedeutung sind, sollen auch die Nutzer von Cannabismedizin auf der Plattform ihre Erkenntnisse mitteilen. Mittels QR-Code werden sie zu diesem Zweck zu einer Online-Befragung geleitet, wo sie laut Apotheke-Adhoc.de bezüglich ihres Beschwerdebildes, der Indikation sowie ihren Symptomen und vielen weiteren Punkten Auskunft geben sollen. Auch Dinge wie Nebenwirkungen und Auswirkung auf die Lebensqualität, die Höhe der Wirkstoffkonzentration, die Verabreichungsform oder die tägliche Dosierung und die Dauer sowie der Verlauf der Dosierung spielen neben Alter und Geschlecht eine Rolle. Seit dem 17. Januar findet die Befragung statt, die am 30. April ihr Ende finden soll.
Anschließend sollen die eingeholten Daten wissenschaftlich validiert und veröffentlicht werden. Die BfArM-Erhebung werde man mit der eigenen Datenerhebung zwar nicht ersetzen können, doch man wolle die bereits bestehenden Erkenntnisse damit in gewissem Maße ergänzen. Indikationsspezifische Muster, Zusammenhänge zwischen Symptomverlauf und Dosierung sowie der Schweregrad der Nebenwirkungen während der Therapie stünden diesbezüglich im Vordergrund. Der Facharzt für Anästhesiologe, Dr. André Ihlenfeld, der zeitgleich der Medical Director von Copeia ist, wird für eine fachgerechte Verarbeitung der erhobenen Daten Sorge tragen. Viel Erfolg!