Die Leber ist eines der zentralen Organe unseres Stoffwechsels. Sie wandelt eine Vielzahl aufgenommener Nährstoffe, in für den Körper verwertbare Darreichungsformen um und spielt darüber hinaus eine unverzichtbare Rolle bei der Entgiftung. Durch die Leber werden Giftstoffe abgebaut und ausgeschieden. Aufgrund ihrer Aufgabe bei der Entgiftung ist die Leber naturgemäß eines der widerstandsfähigsten und robustesten Organe unseres Körpers.
Dennoch kann auch die Leber nur ein bestimmtes Maß an Regeneration bewerkstelligen, letztlich erkranken und in ihrer Funktion schwer eingeschränkt werden. Seit der Entdeckung des Endocannabinoidsystems beginnt man immer mehr zu begreifen, dass dieses auch in der Leber eine zentrale Rolle spielt. Viele Lebererkrankungen scheinen in einem direkten Zusammenhang mit entgleisten mikrobiologischen Prozessen an den CB1- und CB2-Rezeptoren in der Leber zu stehen.
Die Leber als eigenes kleines Endocannabinoidsystem
Die Bedeutung des Endocannabinoidsystems bei zahlreichen, sich in der Leber abspielenden Prozessen ist so groß, dass man hier sogar von einem eigenen Cannabinoidsystem, dem sogenannten hepatischen Cannabinoidsystem spricht. Auf allen Typen von Leberzellen kommen sowohl CB1- als auch CB2-Rezeptoren vor. Die Steuerung der jeweiligen intrazellulären Prozesse über die Cannabinoidrezeptoren, findet dabei über die beiden Endocannabinoide Anandamid und 2-AG (2-Arachinodylglycerol) statt. Aus Untersuchungen von Gewebeproben ist bekannt, dass sich bei einer Vielzahl von akuten oder chronischen Schädigungen der Leber, eine signifikant erhöhte Konzentration der beiden genannten Cannabinoide im Lebergewebe nachweisen lässt.
Dies spricht dafür, dass Endocannabinoide über die Cannabinoidrezeptoren Prozesse steuern, die essenziell wichtig sind für die Regeneration der Leber. Man kann sich die Cannabinoidrezeptoren an den Leberzellen bildlich am besten vorstellen wie kleine Regler, mit denen man die jeweiligen Stoffwechselprozesse steuern kann. Die beiden genannten körpereigenen Cannabinoide sind dabei die Bediener, die an diesen Reglern drehen. So wie eine fein abgestimmte Steuerung dieser Prozesse über die Cannabinoidrezeptoren dafür sorgen kann, dass Funktion und Regeneration in der Leber reibungsfrei laufen, kann umgekehrt ein Missverhältnis in diesem System, die Ursache für schwere Lebererkrankungen sein.
Fettleber als Resultat eines überaktiven CB1-Rezeptors
Eine Fettleber ist häufig das Resultat von exzessivem Alkoholmissbrauch. Jedoch tritt diese Erkrankung auch bei Personen auf, die nicht in problematischen Mengen Alkohol trinken. Man spricht in diesem Fall von einer nichtalkoholischen Fettleber. Aufgrund mehrerer Untersuchungen, sowohl in Zellkulturen menschlicher Leberzellen, als auch durch die Beobachtung an Mäusen, gilt mittlerweile als gesichert, dass der CB1-Rezeptor eine zentrale Rolle bei der Entstehung dieser Erkrankung spielt. Es zeigte sich, dass in den betroffenen Leberzellen eine erhöhte Synthese von Anandamid stattfindet. Anandamid wiederum ist ein CB1-Agonist.
Dies führt in weiterer Folge dazu, dass an den CB1-Rezeptoren der Leber eine übermäßig starke agonistische Wirkung herrscht, die offenbar das Entstehen einer Fettleber begünstigt. Nachdem dieser Prozess als Ursache für das Entstehen einer Fettleber bekannt geworden war, führte man eine entsprechende experimentelle Gegenprobe durch. Man setzte Leberzellen, welche den beschriebenen Defekt aufwiesen, einem CB1-Antagonist aus, also einem Cannabinoid welches der agonistischen Wirkung von Anandamid entgegenwirkt. Als Cannabinoide verwendete man in diesem Fall Rimonabant, sowie das synthetische Cannabinoid AM251. Es zeigte sich, dass sich durch eine antagonistische Wirkung am CB1-Rezeptor, genau jene Stoffwechselprozesse herunterregulieren lassen, die maßgeblich für die Entstehung der Fettleber verantwortlich sind.
CB2-Rezeptor steuert Entzündungsprozesse
Wie bereits aus anderen Bereichen des Körpers bekannt, werden auch in der Leber entzündliche Prozesse über den CB2-Rezeptor reguliert. Aus chronischen Entzündungen in der Leber können sich in weiterer Folge Leberzirrhose, Fibrose, sowie Leberkrebs entwickeln. Aufgrund von Beobachtungen an Zellkulturen ist bekannt, dass ein CB2-Agonist wie JWH-015, sowohl das Wachstum von Leberkrebszellen hemmen kann, als auch das Fortschreiten einer Fibrose oder Zirrhose verlangsamen oder sogar stoppen kann.
Der CB2-Rezeptor ist in der Leber darüber hinaus zuständig für die Regeneration nach toxischen oder auch mechanischen Schädigungen. In diesem Fall übt das körpereigene Cannabinoid 2-AG eine agonistische Wirkung auf den CB2-Rezeptor aus. Dadurch kommt es zu einer Reduktion von oxidativem und nitrosativem Stress in den Leberzellen. Gleichzeitig wird dadurch über eine Interaktion mit dem Zytokin Interleukin-6, die Bildung neuer Leberzellen angeregt.
Neue Behandlungsansätze durch Cannabinoide
Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse geht man davon aus, dass bei schweren Lebererkrankungen in Zukunft Cannabinoide eine neue Behandlungsoption darstellen könnten. Ein Studie aus dem Jahr 2008, die an 315 Patienten mit chronischer Hepatitis C durchgeführt wurde, zeigte, dass auch bei chronischer Hepatitis C eine starke Überaktivität des CB1-Rezeptors vorhanden ist. Zwar ist Hepatitis C eine Virusinfektion, doch man geht aufgrund dieser Forschungsergebnisse davon aus, dass man die Schwere des Verlaufs und die damit verbundenen Leberschäden erheblich vermindern könnte, indem man dem Patienten einen CB1-Antagonist verabreicht.
Das gleiche Funktionsprinzip lässt sich demnach auch bei der Behandlung einer Fettleber anwenden. Eine Phase 3 Studie mit dem CB1-Antagonist Rimonabant musste zwar wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden, jedoch gibt es eine große Anzahl weiterer potenzieller Cannabinoide für diesen Einsatzzweck, die weitgehend nicht toxisch sind und sehr selektiv wirken. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch bei Lebererkrankungen in den kommenden Jahren Cannabinoide zunehmend als Behandlungsoption eine Rolle spielen werden.