CAPA Cannabis Patientenverein e. V. als Anlaufstelle für Hilfesuchende
Wir kennen das alle: Wenn jemand krank ist, geht er zum Arzt und bekommt seine Medikamente. Das war’s. Nur selten müssen Therapien genehmigt werden. Ein Cannabispatient hingegen bekommt mit der Cannabistherapie auch automatisch Probleme, von dessen Existenz er gar nicht wusste. Es ist eine seltsame Wahrnehmung des Cannabispatienten, die hier entsteht. Zumal es bekannt ist, dass die Cannabispflanze noch niemanden umgebracht oder dass die Pflanze viel weniger Nebenwirkungen als klassische Medizin hat und seit Tausenden Jahren in der Gesellschaft als Heilmittel verwendet wurde. Die unzähligen Medizinbücher aus der Geschichte belegen den Gebrauch von Cannabis für diverse Krankheiten.
Jetzt ist die Pflanze verpönt. Die Mediziner haben ihre Meinung geändert. Der CAPA-Verein hat wöchentlich mehrere Anrufe bzw. Nachrichten von Hilfesuchenden. Ein Patient berichtet darüber, dass ihm der Arzt mitteilte, dass er keine Drogensüchtige behandeln möchte. Wie kommt ein gebildeter Mensch, mit reichlich medizinischer Erfahrung, zu dieser Aussage?
Der Patient wurde nicht untersucht oder gar nach seiner Krankengeschichte befragt. Als das Wort Cannabis gefallen ist, war die Behandlung schon beendet. Hier findet eine Vor-Verurteilung und Stigmatisierung eines Menschen aufgrund der eigenen vorgefertigten Meinung statt.
Was ist eigentlich ein Stigma?
Im Duden kann man nachlesen: „Stigma ist etwas, wodurch etwas oder jemand deutlich sichtbar in einer bestimmten, meist negativen Weise gekennzeichnet ist und sich dadurch von anderem unterscheidet.“ Laut mehreren Quellen hat der Begriff seinen Ursprung in der Katholische-Kirche. Stigmatisierung hat auch eine gesellschaftliche Funktion. Eine gesellschaftliche Funktion ist sicherlich, die Macht gegenüber den anderen Menschen zu haben.
Das nächste ist es, dass Stigmatisierung dazu führt, dass man sich selbst „erhöhen“ kann und somit ein Gefühl der Überlegenheit hat. Sich überlegen zu fühlen, macht wiederum glücklich. Also, unser Arzt hatte an diesem Tag ein Glücksgefühl. Er hat blitzschnell erkannt, dass dieser Patient als Süchtiger gekennzeichnet ist. Stigmata lösen sich auch manchmal von selbst auf. Die Zeiten, Gepflogenheiten und Erkenntnisse ändern sich. Die Zeit steht nicht still.
An diese Stelle muss ganz deutlich gesagt werden, dass nicht viele, und schon gar nicht alle Ärzte auf den Begriff „Cannabis“ so reagieren. Hier sind wir schon beim nächsten und auch größten Problem. Ein Patient allein findet gar keinen Arzt. Für einen Schmerzpatienten hat CAPA in diesem Jahr, fünf Monate lang eine Praxis gesucht, die bereit ist, einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse zu stellen. Dafür wurden seitens des Vereins alle Kontakte mobilisiert und mehrere Suchaktionen via Social Media gestartet. Irgendwann hat ein Arzt zugesagt. Der Patient war überglücklich. Er hat seit Jahren Schmerzen, hat alle Medikamente probiert, die Nebenwirkungen sind bekannt und die ganze Krankengeschichte ist gut dokumentiert. Der Antrag wurde korrekt gestellt.
Geld und Stigma
Die Freude war allerdings schnell dahin, denn die AOK hat den Antrag abgelehnt.
Die Begründung:
„Eine Verordnung von Cannabisblüten ist sozialmedizinisch nicht sinnvoll. Aus wirtschaftlichen und arzneimittelrechtlichen Gründen wird verwiesen auf die Therapie des Fertigarzneimittels. Notwendig ist ein konstanter Wirkstoffpegel, der mit Blüten nicht erzielt werden kann.“
Die Schmerzen sind nie konstant. Es muss kein konstanter Wirkstoffpegel erreicht werden. Der Tenor ist hier offensichtlich wirtschaftliche Natur. Stigmatisierung und Geld arbeiten Hand in Hand. Wenn wir die Geschichte analysieren, werden wir feststellen, dass es in der Vergangenheit immer wieder Entscheidungen gegeben hat, um die Gesellschaft zu manipulieren und zu kontrollieren. Dabei ging es nicht um das Gut oder Böse, um richtig oder falsch, sondern um Vorteile, Macht und Geld. Menschen, die Stigmatisierung erfahren, werden bestimmte Rechte verwehrt. Kontrolle und Macht findet man schon in den Zehn Geboten. Es wurde mit Angst oder versprochene Glückseligkeit gearbeitet. Denn so ließe sich zumindest eine Gruppe Menschen gut handeln. Wer nicht in der Spur bleibt, der kommt in die Hölle.
Macht und Stigma
München, Mai 2021
Die 43-jährige Cannabispatientin A.S. ging spazieren, um ihre Medizin zu konsumieren, welche sie aus Rücksicht auf ihr Kind gewohnter Weise im Freien zu sich nimmt. Völlig unverhofft wird sie von sechs bayrischen Polizeibeamten des Unterstützungskommandos (USK) in Kampfmontur von hinten überrumpelt.
A.S. wird aufgrund einer Posttraumatischen-Belastungsstörung (PTBS) mit Cannabis behandelt, welche sie für heftige psychische Reaktionen prädisponiert. Die Beamten halten sie fest, schreien sie an und nehmen ihr gewaltsam ihre Medizin ab. Auf den Umstand, dass sich die Patientin aufgrund ihres Kindes verpflichtet fühlt, ihre Medikamente draußen zu konsumieren, gehen die Beamten nicht ein. Das harsche Vorgehen versetzte A.S. in Angst und sie bekommt infolgedessen erneut eine Panikattacke. Ein nahestehender Passant hat das Geschehen mit seinem Handy gefilmt, woraufhin die Beamten ihn aufforderten, die Aufnahme zu löschen. Nachdem er sich geweigert hatte, wurde ihm das Handy gewaltsam entrissen. Anschließend kam der Passant zum Glück nicht in die Hölle, dafür in Gewahrsam.
Wirtschaft und Stigma
Am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts wollten die Frauen in der Aristokratie nichts mit der Erziehung der Kinder zu tun haben. Kinder zu gebären, Beziehung zum Kind aufbauen, all das galt als animalisch. Und die Frauen wollten nicht mit einem Tier verglichen werden. Etwas scheinheilig wurden die Kinder aufs Land gebracht. Wenig später färbte dieser Trend auf französisches Bürgertum über. Viele Kinder wurden allerdings nicht adäquat versorgt und verstarben.
Die Geburtenrate war am Sinken, die französische Gesellschaft bedroht, Politiker schlugen Alarm. Der Retter der Nation war schnell gefunden. So nahm sich der große Aufklärer Jean-Jacques Rousseau dem Problem an. Mit seinem 1762 veröffentlichen Erziehungsratgeber Émile propagiert er eine »natürliche Erziehung«. Die enge Bindung der Mutter zum Kind war jetzt sehr wichtig und wurde durch Propaganda glorifiziert. Damit hat er die gesellschaftlichen Normen durch einen eigenen Ansatz ersetzt.
Rousseau selbst war kein erfolgreicher Vater. Aus rein ökonomischen Gründen schickte er seine fünf Kinder in ein „Findelhaus“. In seinem Buch erklärte er, dass der Mann dafür geschaffen wurde, die weite Welt zu erobern, um die Frau zu beschützen und die Frauen zu 100 % für ihre Kinder da zu sein hätten. Die Propaganda hatte Erfolg. Dabei ging es gar nicht darum, die Bindung zwischen Mutter und Kind zu stärken, mehr Liebe in die Welt zu schicken, sondern hatte rein pragmatische Gründe. Damit sollte Fachkräftemangel vorgebeugt werden. Ein Mann mit Weitsicht. Und die Frau, die sich gegen die neuen gesellschaftlichen Normen aufgelehnt hat, wurde stigmatisiert und ausgeschlossen. Durch eine kleine Gruppe Männer, die ein Ziel verfolgten, wurde der Gesellschaft ein ganz neues soziales Miteinander übergestülpt.
Zugegeben, nach diesem kleinen Ausflug nach Frankreich ist es schwierig den Bogen zum Cannabispatienten wiederherzustellen. Doch die Geschichte zeigt sehr deutlich, wie die Gesellschaft manipuliert wird. Um bei den Arbeitskräften zu bleiben, kann der CAPA-Verein über einen Patienten berichten, der vor zwei Wochen ganz aufgeregt angerufen hat. Er ist am Flughafen beschäftigt und nimmt seit Kurzem Cannabis für seine Beschwerden. Am Tag, als er das seinem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wurde ihm der Zutritt zum Flughafen mit sofortiger Wirkung verwehrt. Der Mann sagte, er denkt, dass ihm gekündigt wird. Ihm wurde erklärt, dass er ein Patient ist, wie jeder anderer. Es gibt keinen Grund für eine Kündigung. Und wenn schon, dann kann er klagen. Die Aussage hat ihn sehr beruhigt.
Sensationsjournalismus und Stigma
Das Verbot der Cannabispflanze in den USA hat nichts damit zu tun, dass sie sehr gefährlich ist. Es sind wieder eine Handvoll Leute, die ihr eigenes Interesse verfolgen. 1933 hob der US-Präsident Franklin Roosevelt die 1920 eingeführte Alkohol-Prohibition auf. Sie hatte nie wirklich funktioniert, das Gesetz war unglaubwürdig geworden. Etwa 8000 Arbeitskräfte, Polizisten und Kontrollbeamte, die für die Überwachung der Prohibition zuständig gewesen waren, standen nun ohne Arbeit da. So unterstützte die US-Regierung das eigens eingerichtete Drogendezernat „Federal Bureau of Narcotics“ bei dem jetzt beginnenden Kampf gegen den Hanf. Der Chef des Dezernats, Harry Anslinger, begann eine großangelegte Kampagne gegen Cannabis. Tausende Amerikaner wurden zu hohen Geldstrafen und Gefängnis verurteilt.
Es war eine diffuse Mischung aus Geltungssucht, Misstrauen und rassistisch motivierter Abneigung gegenüber den schwarzen Amerikanern. Sie gehörten zu den Armen der Gesellschaft und konsumierten Cannabis, das ließ Anslingers Propagandamaschine an Fahrt gewinnen. Cannabis war zum Symbol einer, durch den Rassismus, polarisierten US-Gesellschaft geworden. Pharmakonzerne, Tabakindustrie, und andere Unternehmen hatten jeder seinen ganz ureigenen wirtschaftlichen Interessen.
Aufklärung und Stigma
Der Mensch ist ein Herdentier. Es ist das Grundbedürfnis jedes Einzelnen in der Gesellschaft seinen Platz zu finden, akzeptiert und respektiert zu werden. Das bedeutet nicht, dass die Gepflogenheiten, Normen und Gesetze nicht hinterfragt werden dürfen. Die Bereitschaft, eigenes Handeln und Denken zu reflektieren, können neue Impulse initiieren. Wo wären wir heute, wenn wir die Dinge nicht hinterfragt hätten? Schließlich wissen wir jetzt, dass die Erde keine Scheibe ist.
Einen Cannabispatienten als drogensüchtig zu bezeichnen, deutet auf eine althergebrachte, starre und überholte Sichtweise. Mit starren Denkweisen ist kein Fortschritt möglich. Wenn wir wollen, können wir alle ein Teil der gesellschaftlichen Entwicklung sein. Wir können uns alle gut informieren. Und nein, es ist nicht peinlich oder schlimm, wenn man seine Meinung oder Einstellung ändert. Das ist sogar notwendig. Die Aufklärung zielt auf mehr persönliche Handlungsfreiheit. Wenn ein Polizist Cannabis riecht, muss er nicht wie ferngesteuert sofort angreifen. Es sei denn, er kennt nichts Anderes.
Fazit: nichts ist für die Ewigkeit. Die Probleme, die Cannabispatienten heute haben, werden mit Sicherheit irgendwann der Vergangenheit angehören. Wahrscheinlich werden sich die Schwierigkeiten nicht von selbst auflösen. Es ist noch Aufklärungsarbeit nötig. Aber wir sind auf dem besten Weg. Zahlreiche engagierte Menschen und Organisationen betreiben unermüdlich die Aufklärung voran und das tun sie oft unentgeltlich und aus Überzeugung. Das ist das Gegenteil von Mainstream.
CAPA Cannabis Patientenverein e. V. macht sich für die Aufklärung stark. Der Verein verfolgt damit ebenfalls ein Ziel: den Patienten zu befähigen, selbstbestimmt und gut informiert für seine Bedürfnisse einzustehen. Geld ist hier nicht die Motivation. Der Verein arbeitet ehrenamtlich und unentgeltlich. Mit regelmäßigen Webinaren, vielen veröffentlichten Artikeln und live Beiträge auf Messen und Veranstaltungen, hat CAPA-Verein seit der Gründung im Jahr 2020 sehr viele Menschen erreicht. Jeder, der Hilfe benötigt und sich im Kreis dreht, kann sich an den Verein wenden. Manchmal reicht schon ein Satz: „Lassen Sie sich nicht verunsichern, sie sind ein Patient wie alle anderen Patienten“. Für Mitglieder bietet der Verein umfassende Unterstützung, von Antrag auf Kostenübernahme stellen bis zur Suche nach einem Arzt.
Die Gesetzmäßigkeit der Stigmatisierung in einer Gesellschaft ist schwierig zu definieren. Meistens ist es nur im Nachhinein möglich. Es ist kompliziert, vorherzusagen, was das nächste Stigma werden wird. Vielleicht kommt die Stigmatisierung für Diesel-Autofahrer. Vor ein paar Jahren galten Dieselfahrer als klug und sparsam, weil wenig Sprit verbraucht wurde. Heute sind sie die „Stinkstiefel“ im Straßenverkehr. Die Trends ändern sich im Laufe der Zeit. Es ist gut möglich, dass all diejenigen, die aktuell Cannabispatienten nicht behandeln wollen oder anderweitig ausgrenzen und schikanieren, selbst in der nahen Zukunft stigmatisiert werden.
Der römische Dichter Horaz wusste schon damals:
– Sapere aude –
„Wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“