In der Antike war Cannabis eines der am häufigsten benutzten Heilmittel. Es fand gegen eine Vielzahl von Beschwerden Verwendung und war in der Apotheke bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hinein für ebenso vielfältige Zwecke erhältlich. Es war über lange Zeit ein Alltagsheilmittel, etwa mit dem Stellenwert von Aspirin vergleichbar, bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Krieg gegen den Hanf begann und dieser gänzlich aus der Medizin verschwand.
Medizinische Qualität von Cannabis wiederentdeckt
Erst in den 1990er-Jahren begannen immer mehr US-Staaten die medizinischen Qualitäten von Cannabis wiederzuentdecken. In Deutschland ist es seit 2017 mit einer Ausnahmegenehmigung für medizinische Zwecke verschreibbar. Einen besonders wichtigen Stellenwert, wenn es um die Lebensqualität von Patienten geht, nimmt Cannabis in der Schmerzbehandlung ein. Cannabinoide wie THC sind auf diesem Gebiet sehr interessant, da sie einen völlig anderen Wirkungsmechanismus haben, als konventionelle Schmerzmittel wie Opiate oder nicht steroidale Antirheumatika (NSAR). Die letzten beiden Stoffgruppen sind die am häufigsten verwendeten Klassen von Schmerzmitteln in der heutigen Schulmedizin. Diese Medikamente sind bei den meisten Patienten wirksam, bringen jedoch erhebliche Risiken mit sich. Opiate führen schnell zu einem starken Anstieg der Toleranz, was sie für eine Dauereinnahme nur als bedingt geeignet erscheinen lässt und NSAR haben im Laufe der Zeit oft erhebliche körperliche Nebenwirkungen, wie Leber- und Nierenschäden.
Dazu kommt noch das Problem, dass diese Medikamente allein bei einigen Patienten nicht ausreichend sind, um Schmerzfreiheit zu gewährleisten. Deswegen geriet in den vergangenen Jahren Cannabis wieder zunehmend in den Fokus der Forschung. So auch als mögliches Mittel zur Schmerzbehandlung, welches den Vorteil hat, dass keine gravierenden körperlichen Nebenwirkungen auftreten und auch der Toleranzanstieg bei Weitem nicht so stark ausgeprägt ist. Tatsächlich zeigt die aktuelle Datenlage, dass es einige Typen von Schmerzen gibt, gegen die Cannabis extrem effektiv ist und konventionellen Schmerzmitteln aus der Schulmedizin in nichts nachsteht. Besonders zu erwähnen sind an dieser Stelle neuropathische Schmerzen. Das sind Schmerzen, die auftreten, wenn der Körper infolge einer Autoimmunreaktion die Nervenbahnen angreift. Dies ist zum Beispiel bei Multiple Sklerose oder Diabetes der Fall, aber auch bei manchen Krebserkrankungen.
Wirkungsprinzip von Cannabinoiden in der Schmerzlinderung
Bei Beschädigungen von Nervenbahnen werden körpereigene Cannabinoide ausgeschüttet, um die Reizweiterleitung von Schmerz zu hemmen. Körpereigene Cannabinoide mit diesem Wirkungsprinzip sind Arachidonsäurederivate, die am CB1-Rezeptor wirken. Häufig reicht die modulierende Wirkung am CB1-Rezeptor nicht aus, um die Schmerzweiterleitung zu unterbinden, was dazu führt, dass der Patient dennoch Schmerzen verspürt. THC wirkt ebenfalls am CB1-Rezeptor und kann auf diese Weise die eben angesprochene modulierende Wirkung erhöhen, was zu einer signifikanten Schmerzreduktion führt. Aus diesem Wirkungsmechanismus ist ersichtlich, warum THC insbesondere bei neuropathischen Schmerzen wirksam ist. CBD allein spielt eine eher untergeordnete Rolle in der Behandlung neuropathischer Schmerzen. Zwar hat CBD eine neuroprotektive Wirkung, jedoch ist in der Behandlung neuropathischer Schmerzen immer auch THC als eigentlich wirksames Cannabinoid beteiligt.
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit in der Schmerzbehandlung, in welcher die Wirksamkeit von Cannabis als gesichert gilt, sind Spastiken.
Als Spastiken bezeichnet man eine krankhafte, dauerhafte und starke Erhöhung des Muskeltonus, welcher zu erheblichen Schmerzen führen kann.
Spastiken treten häufig als Symptom bei Erkrankungen oder Schädigungen des zentralen Nervensystems auf. Da der CB1-Rezeptor, auf welchen THC agonistisch wirkt, auch an der motorischen Reizweiterleitung beteiligt ist, ist THC ein effektives Mittel, um die motorische Reizweiterleitung zu modulieren und auf diese Weise Spastiken und die damit verbundenen Schmerzen zu lindern. Bei Spastiken bekommt auch CBD aufgrund seiner krampflösenden Eigenschaften in der Muskulatur
eine nicht zu verachtende Bedeutung. In der Regel werden bei Spastiken Kombinationspräparate aus THC und CBD verwendet.
Aktuelle Studienlage
Eine der größten Studien an 800 Patienten aus dem Jahr 2019 zeigt eindeutig das Potenzial von Cannabis bei neuropathischen Schmerzen. In dieser Studie wurde den Patienten das Medikament Nabiximols für 12 Wochen als Ergänzung zu ihrer bestehenden Medikation verabreicht. Bei Nabiximols handelt es sich um ein standardisiertes Präparat, welches mittels CO₂-Extraktion aus Hanfblüten gewonnen wird und sowohl THC als auch CBD in definierter Konzentration enthält. Nabiximols wird als Mundspray verabreicht, da die Bioverfügbarkeit von THC sublingual sehr hoch ist. Nach diesen 12 Wochen erreichten 76 % der Patienten eine signifikante Reduktion der Schmerzen, bei gleichzeitig optimaler Verträglichkeit.
Eine der aussagekräftigsten Studien zur Behandlung von spastischen Schmerzen mittels Cannabis stammt aus Spanien und wurde an 50 Patienten durchgeführt.
Die Patienten inhalierten 5x täglich ein Gemisch aus THC und CBD, was dazu führte, dass bei 80 % der Patienten eine signifikante Reduktion der Beschwerden eintrat und somit die Kombination aus THC und CBD als Alternative zu bisherigen Behandlungsansätzen in der Schulmedizin angesehen wurde, insbesondere wenn die Patienten als behandlungsresistent galten.
Mögliche Nebenwirkungen
Cannabis als Schmerzmittel wird von den meisten Menschen ausgezeichnet vertragen und hat im Vergleich zu konventionellen Schmerzmitteln erheblich geringere Nebenwirkungen. Dennoch ist primär THC nicht ganz frei von Nebenwirkungen. Eine Kontraindikation für die Behandlung mit THC ist das Vorhandensein von Psychosen wie Schizophrenie. Dieses Krankheitsbild kann durch THC verstärkt werden. Auch bei Angsterkrankungen ist THC mit Vorsicht zu genießen, da Angst und Panik eine Nebenwirkung von THC sein kann, vornehmlich wenn Patienten übermäßig empfindlich darauf reagieren. In einigen Fällen können Schwindel und Benommenheit auftreten. Speziell in der Anfangsphase, in der häufig eine Phase der Dosisfindung für die optimale Wirkung nötig ist, kann die psychoaktive Wirkung von THC in den Vordergrund rücken, welche in diesem Fall unerwünscht ist. Jedoch tritt bei THC die schmerzlindernde Wirkung in vielen Fällen bereits in Dosen unterhalb der üblichen psychoaktiven Dosierung ein, sodass sich nach einer anfänglichen Einstellungsphase die psychoaktive Wirkung weitgehend
eliminieren lässt.
Fazit
Die Wirksamkeit von Cannabis ist bei einigen Arten von Schmerzen hervorragend, der Wirkungsmechanismus klar reproduzierbar und die Effektivität durch klinische Studien bestätigt. In diesen Fällen kann Cannabis sogar eine vollwertige und nebenwirkungsärmere Alternative zu konventionellen Schmerzmitteln darstellen.
Abseits von den genannten möglichen Einsatzgebieten von Cannabis in der Schmerzbehandlung, ist das Empfinden von Schmerz stets eine subjektive Empfindung, weshalb es weitere Anwendungsmöglichkeiten geben kann, die in ihrem genauen Wirkungsmechanismus nicht transparent reproduzierbar sind. Es gibt etwa Berichte darüber, dass CBD gegen Kopfschmerzen hilft und Migräneattacken vorbeugen kann. Jedoch sind Kopfschmerzen ein Symptom mit sehr vielschichtigen Ursachen. Aussagekräftige Studien zu diesem und weiteren Anwendungsgebieten fehlen aktuell noch.