Ein äußerst hartnäckiges Vorurteil, mit dem sich Cannabiskonsumenten oder selbst Legalisierungsbefürworter, bis heute immer wieder konfrontiert sehen, ist die Behauptung, dass Cannabis dumm macht. So oder so ähnlich, lautet bis heute das altbekannte Dogma, welches man zu hören bekommt, wenn man Cannabis in der Öffentlichkeit anspricht.
Betrachtet man dieses pauschale Klischee des dummen Kiffers etwas differenzierter, stellt man fest, dass viele dieser Behauptungen lange überholt sind. Ähnlich wie die jahrzehntelange Behauptung der Einstiegsdroge einer kritischen Überprüfung durch Fakten nicht standhalten kann, bröckelt auch das Bild des debilen Cannabiskonsumenten. Korrekt angewendet, können Cannabinoide aufgrund ihrer neuroprotektiven Wirkung, sogar vor degenerativen Gehirnerkrankungen schützen.
Auswirkungen auf die jugendliche Gehirnentwicklung
Es steht außer Frage, dass Jugendliche kein Cannabis konsumieren sollten, denn in diesem Alter kann sich der Konsum im Extremfall tatsächlich auf die Reifung des Gehirns auswirken. Jugendliche sollten jedoch auch keinen Alkohol trinken, da dieser ebenfalls negative Auswirkungen auf das Gehirn hat. Dass Cannabis für Jugendliche legalisiert wird, stand zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Es ging immer um eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene und um einen dadurch verbesserten Jugendschutz, welcher aktuell überhaupt nicht stattfindet.
Es gibt mehrere Studien, die verschiedenste Gehirnparameter von Jugendlichen untersuchten, die nach eigenen Angaben chronische Cannabiskonsumenten sind. Wenn man die Parameter mit den Personen einer Kontrollgruppe vergleicht, die nie oder nur in Einzelfällen Cannabis konsumiert haben, gibt es einige Auffälligkeiten. Chronische Cannabiskonsumenten haben im Vergleich zu abstinenten Personen eine deutlich erhöhte Aktivität in einigen Regionen der rechten Gehirnhälfte. Diese Aktivitäten konnten mittels bildgebender Untersuchungsmethoden visuell sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig zeigte sich bei chronischen Cannabiskonsumenten eine verringerte interhemisphärische Aktivität. Das ist vereinfacht gesagt, die Aktivität in der weißen Substanz des Gehirns, welche für elementare Prozesse wie Gedächtnis, Problemlösung und Lernfähigkeit zuständig ist.
Forscher gehen davon aus, dass die erhöhte Aktivität in der rechten Gehirnhälfte, ein Kompensationsmechanismus ist, der die gestörte interhemisphärische Aktivität ausgleichen soll. Das Gehirn ist sehr anpassungsfähig, besonders während es noch in der Entwicklung ist, sodass Defekte durch andere Gehirnregionen bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden können. Ein Problem ist, dass sich diese Funktionsveränderung nicht eindeutig in Zahlen, wie durch Punkte in einem IQ-Test, pauschal für alle Studienteilnehmer klassifizieren lässt. Genau diese Fähigkeit, Defekte zu kompensieren, macht Unterschiede so schwierig in eindeutige Zahlen messbar.
2012 kam eine neuseeländische Studie zu dem Ergebnis, dass Jugendliche, die chronisch Cannabis konsumieren, später als Erwachsene durchschnittlich 8 IQ-Punkte weniger haben. Dem gegenüber steht jedoch eine im Jahr 2016 veröffentlichte US-Studie. Bei dieser Studie wurden Zwillinge, von denen einer Cannabis konsumierte und der andere abstinent war, bis zum 20. Lebensjahr beobachtet. Beide führten regelmäßig standardisierte IQ-Tests durch. Bei dieser Studie konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen einem Verlust von IQ-Punkten im Erwachsenenalter und dem Cannabiskonsum festgestellt werden. Ein Rückgang von IQ-Punkten in beiden Gruppen wurde hier auf andere Einflussfaktoren zurückgeführt.
Fest steht jedoch, dass Jugendliche während der Gehirnentwicklung am besten kein Cannabis konsumiert werden sollten. Das stand im Zuge der Legalisierung auch nie zur Debatte. Jugendliche sollten aber auch keine Alkoholexzesse feiern, da dieser neurotoxisch ist und ebenfalls in die Gehirnentwicklung eingreift.
Reversible Effekte auf das erwachsene Gehirn
Im Gehirn von Erwachsenen, die chronisch Cannabis konsumieren, lassen sich mit verschiedenen bildgebenden Verfahren und Messungen von Gehirnströmen, ebenfalls Veränderungen im Vergleich zu Nichtkonsumenten feststellen. Da hier das Gehirn bereits ausgereift ist, sind nach aktuellem Stand der Forschung diese Veränderungen jedoch reversibel. Fasst man 41 Studien zu diesem Thema, die auf PubMed veröffentlicht wurden, zeigen, dass bei chronischen Cannabiskonsumenten der globale und der präfrontale Blutfluss im Vergleich zu Nichtkonsumenten etwas geringer ist. Bei längerer Abstinenz kann jedoch dieser Unterschied nicht mehr festgestellt werden.
Strukturelle Veränderungen scheinen bei Erwachsenen, aufgrund des ausgereiften Gehirns erheblich seltener zu sein. Lediglich drei Studien konnten mittels bildgebenden Verfahren strukturelle Unterschiede im Vergleich zur Kontrollgruppe feststellen. Doch auch hier konnte Cannabis nicht als der entscheidende auslösende Faktor identifiziert werden, da unser Gehirn unzähligen Einflüssen ausgesetzt ist. Cannabis kann während der akuten Wirkung das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen. Jedoch gibt es keine Hinweise darauf, dass selbst chronischer Cannabiskonsum mit einem messbaren Verlust von IQ-Punkten einhergeht, wenn erst im Erwachsenenalter mit dem Konsum begonnen wurde.
Praktisch alle Horrormeldungen über verlorene IQ-Punkte durch Cannabis, die sich in den Mainstream-Medien finden, gehen davon aus, dass bereits im Jugendalter, teilweise mit 12 oder 13, mit dem Cannabiskonsum begonnen wurde. Vielfach wird auf die oben angeführte neuseeländische Studie verwiesen. Es gibt keine Untersuchung, die beweist, dass Cannabiskonsum, der erst als Erwachsener begonnen wird, mit einer dauerhaften Verminderung des IQs einhergeht. Auch andere kognitive Defizite, wie das verschlechterte Kurzzeitgedächtnis, sind nach einer Pause reversibel, wenn mit dem Konsum erst im Erwachsenenalter begonnen wird.
Genetische Disposition als entscheidender Faktor
Ob jemand durch den Konsum von Cannabis negative Auswirkungen auf sein Gehirn erfährt, ist zu einem sehr großen Teil von seiner genetischen Veranlagung abhängig. Der schwerste anzunehmende Fall, der durch den Konsum von Cannabis eintreten kann, ist eine drogeninduzierte Psychose. Häufig handelt es sich bei dem Typ der Psychose um eine paranoide Schizophrenie. Die Tatsache, dass eine latent vorhandene Psychose ausbrechen kann, die, je nach Ausmaß, den Alltag der betroffenen Person erheblich einschränken kann, ist seit Langem eines der Hauptargumente der Verbotsideologen. Wichtig zu wissen ist an dieser Stelle, dass Cannabis selbst keine Psychose auslösen kann, die nicht genetisch bedingt bereits geschlummert hat und auch ohne Konsum irgendwann zum Vorschein gekommen wäre.
Die Forschung geht aktuell davon aus, dass ein bestimmter Defekt des Gens, mit dem Namen AKT1, mit einer signifikant höheren Anfälligkeit für psychotische Symptome durch Cannabiskonsum einhergeht. Eine entscheidende Grundlagenforschung leistete hier ein britisches Forscherteam in Jahr 2016. Eine Gruppe von 442 freiwilligen Testpersonen, die angaben, Cannabis zu rauchen, wurden hier jeweils 7 Tage vor und 7 Tage nach ihrem letzten Konsum von THC, auf ihre Gehirnaktivität untersucht. Dabei wurde die Aktivität der Gehirnregionen, den Eigenschaften des Gens AKT1 gegenübergestellt. Es zeigte sich, dass bei einem bestimmten Defekt dieses Gens, die Versuchspersonen deutlichere Anzeichen von psychotischen Nebenwirkungen hatten, die auch über die eigentliche Wirkungsdauer von THC hinaus gingen.
Eine andere Studie kam zu dem Ergebnis, dass auch die Auswirkungen von Cannabis auf das Gedächtnis, maßgeblich von der genetischen Veranlagung abhängig ist. Ein bestimmter Defekt in einem Gen mit dem Namen COMT führt dazu, dass sich der Abbau von Dopamin durch den Konsum von Cannabis verändert. Dies geht mit einer neurokognitiven Beeinträchtigung einher, die sich zum Beispiel über ein vermindertes Gedächtnis bemerkbar machen kann.
Schutz vor degenerativen Erkrankungen
Dass Cannabis bei Erwachsenen nicht nur für keine messbaren dauerhaften Veränderungen im IQ sorgt, sondern darüber hinaus auch noch vor degenerativen Gehirnerkrankungen schützen kann, dürfte noch nicht in der breiten Masse angekommen sein. Aktuelle Forschungsergebnisse gehen davon aus, dass THC vor Alzheimer schützen könnte, genauer gesagt auch den Verlauf einer bestehenden Erkrankung verlangsamen könnte. Alzheimer ist eine im höheren Alter beginnende, fortschreitende Degeneration des Gehirns, die zu einem erheblichen Verfall der kognitiven Fähigkeiten führt. Ausgelöst wird Alzheimer durch ein spezielles Protein, dem sogenannten Beta-Amyloid. Dieses Protein wird im fortschreitenden Alter zunehmend im Gehirn gebildet und ist umgangssprachlich als „Verkalkung“ bekannt. Dieses Protein lagert sich an Nervenzellen ab und verursacht dort Entzündungsreaktionen, die mit dem Absterben der Nervenzellen einhergehen.
2016 stellte ein kalifornisches Forscherteam fest, dass THC genau diesen Prozess zu blockieren scheint. Die Forscher erstellten eine Zellkultur aus entsprechenden Nervenzellen und konnten dabei beobachten, dass THC durch eine Aktivierung des CB1-Rezeptors an diesen Zellen, einerseits das Beta-Amyloid Protein abbaut und gleichzeitig die Entzündung hemmt. Die Entzündung wurde gestoppt, indem die durch das Protein freigesetzten Zytokine blockiert wurden. Aufgrund der breit gefächerten neuroprotektiven Wirkung von THC und vielen anderen Inhaltsstoffen im Hanf, kann davon ausgegangen werden, dass auf diese Weise auch andere degenerative Erkrankungen des Gehirns verhindert, oder zumindest verlangsamt werden können.