Im Internet gibt es zahlreiche, sehr widersprüchliche Berichte über die rektale Applikation von Cannabis. Der Forschungsstand zu dieser Applikationsform ist fast nichtssagend, gibt es bislang doch nur zwei kleinere Studien aus den Jahren 1985 und 1991 hierzu, die zudem zu widersprüchlichen Aussagen kommen. Während beide Tierstudien feststellen, dass die Bioverfügbarkeit von rektal eingenommenen THC im Vergleich zum Essen oder Inhalieren miserabel ist, stellt ein Schweizer Forscherteam 1996 fest, dass sie beim Menschen unter bestimmten Voraussetzungen sogar höher ist.
Der Trägerstoff ist entscheidend
„Bei der rektalen Anwendung unterschied sich die systemische Bioverfügbarkeit je nach der Zusammensetzung der Zäpfchen stark. Unter denen, die mehrere polare THC-Ester in verschiedenen Zäpfchenbasen enthalten, zeigte ein THC-Hemisuccinat in Witepsol H15 die höchste Bioverfügbarkeit bei Affen und wurde mit 13,5 % berechnet“, heißt 1991 es in der Zusammenfassung der ersten Forschungsarbeit.
In dieser Studie, auf die sich bis heute alle medizinischen Aussagen berufen, wurde allerdings festgestellt, dass die Bioverfügbarkeit von THC stark ansteigt, wenn man das THC Molekül zuvor umestert. Liegt es in Form von THC-Hemisuccinat vor, gelangt es über direkt in die Blutbahn bis zur Leber und wird dort verstoffwechselt. Das erste Patent für solche THC-Zäpfchen wurde bereits 1994 erteilt und ist 2019 schon wieder abgelaufen, weil sich die Cannabistherapie in Zäpfchenform bislang nicht durchsetzen konnte.
Insbesondere hatten die Forscher 1991 festgestellt, dass sich Pflanzenfette wie Kokosfett schlecht als Trägerstoff eignen. Die aktiven Substanzen in einem Zäpfchen müssen sich zunächst in dem wässrigen Schleim des Rektums lösen, um dann in den Blutstrom überzugehen. Ohne den Übergang durch die wässrige Schleimschicht können sie nicht direkt absorbiert werden. Weil das ihre Absorption verringert, sollten aktive Substanzen wie Cannabinoide bei der rektalen Applikation nicht mit einem fettigen oder öligen Trägerstoff kombiniert werden. Die beste Bioverfügbarkeit wurde erreicht, wenn THC zu THC-Hemisuccinat verbunden und in einem bestimmten Trägermaterial (Witepsol H15) verwendet wurde.
In der kleinen klinischen Studie des Schweizer Professors Brenneisen wurde die rektale Bioverfügbarkeit beim Menschen dann 1996 auf etwa doppelt so hochgeschätzt wie die orale Bioverfügbarkeit. Hier betrug die Bioverfügbarkeit bei zwei spastischen Patienten etwa 50 Prozent. Diese Pilotstudie aus dem Jahr 1996 wurde an zwei Patienten durchgeführt, um die Auswirkungen der oralen (Marinol ®) oder rektalen (Δ-9-THC-HS) Verabreichung von Cannabinoiden evaluierten. Brenneisen kam zu dem Schluss, dass die Bioverfügbarkeit rektal aufgrund einer höheren Absorption und eines geringeren First-Pass-Metabolismus etwa doppelt so hoch war als oral. Allerdings ist die Studie, die lediglich an zwei Personen durchgeführt wurde, aufgrund der geringen Zahl an Probanden kaum aussagekräftig.
Mehr glaubhafte Userberichte als wissenschaftliche Erkenntnisse
Neben den spärlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt sehr viele glaubwürdige Erfahrungsberichte von Patienten und Konsumenten, von denen die meisten über eine eindeutig entkrampfende und schmerzlindernde Wirkung berichten. Der psychoaktive Effekt sei weniger stark ausgeprägt als beim Rauchen oder Essen, halte dafür aber viel länger an. Zudem berichten die meisten über eine optimale Verträglichkeit. Aber auch bei der rektalen Aufnahme berichten einige User über ein sehr starkes High nach der Einnahme eines Cannabis-Zäpfchens.
Wie viel THC gelangt eigentlich beim Rauchen oder Essen ins Blut?
Gerauchtes THC ist innerhalb weniger Sekunden nach dem Inhalieren im Blut nachweisbar und erreicht bereits fünf Minuten nach dem Einatmen die maximale Blutkonzentration. Abhängig von der Tiefe des Einatmens, die Zugdauer und der Verweildauer des Inhalts in der Lunge erreichen 10 bis 35 Prozent des THC eines Joints die Blutbahn. 65 bis 90 Prozent gehen aufgrund von nicht inhaliertem THC, durch Seitenströme und durch eine unvollständige Aufnahme von THC über die Schleimhaut der Atemwege verloren. Etwa 30 Prozent gehen durch Verbrennung verloren. In einem Vaporizer-Test wurde festgestellt, dass durchschnittlich etwa 35 Prozent des Inhalierten THC sofort ausgeatmet wurden.
Bei der oralen Aufnahme (Essen, Trinken) wird die maximale THC-Blutkonzentration nach 60 bis 120 Minuten festgestellt. Ein Teil des THC wurde vorher schon durch die Magensäure abgebaut, der größte Teil wird jedoch im oberen Magendarmbereich aufgenommen und gelangt über die Pfortader in die Leber. Dort wird der größte Teil des THC gleich verstoffwechselt, sodass nur vier bis zwölf Prozent des THC in den gesamten Blutkreislauf gelangen. Ein Teil der Abbauprodukte von THC, besonders das Stoffwechselprodukt 11-Hydroxy-THC (11-OH-THC) wirkt allerdings ähnlich psychoaktiv wie THC.
Zu den Berichten über medizinische Selbstversuche mit der rektalen Applikation schreibt der deutsche Cannabinoid-Spezialist Dr. Franjo Grotenhermen im Beitrag „Einnahmeformen von Cannabisprodukten“ (Grow, Ausgabe 02/2024): „Ich habe zudem von Selbstversuchen von Cannabiskonsumenten erfahren, die sich selbst natürliche Cannabiszubereitungen rektal verabreicht haben. So wurde zum Beispiel gemahlenes trockenes Marihuana eine Stunde lang in Kakaobutter gekocht. Nach dem Abkühlen wurden daraus Zäpfchen geformt. Der typische Cannabiseffekt sei innerhalb von etwa zehn Minuten spürbar gewesen. Zu diesen Selbstversuchen gibt es allerdings keine zuverlässigen Daten.“
Der Selbstversuch
Natürlich habe ich die Applikationsform als langjähriger Cannabispatient mit einer empfohlenen Tagesdosis von 600 mg THC selbst getestet. Um einen lipophilen Trägerstoff zu vermeiden, habe ich mich für bereits decarboxyliertes Haschisch aus Marokko entschieden, von dem ich mir ein Gramm in die Zäpfchenform geknetet und pur appliziert habe. Das Haschisch hatte einen THC-Gehalt von ungefähr 35 %, den ich mit Teststreifen gemessen hatte und entsprach somit einer Dosis von ungefähr 350 mg THC*. Der Effekt erst hat eine gute Stunde nach der Einnahme eingesetzt, weil sich das THC erst auflösen musste. Mit THC-Hemisuccinat träte die Wirkung viel schneller eintreten, doch zum Umestern von THC benötigt man die chemische Reinsubstanz sowie ein Profi-Labor.
Die Wirkung war entspannend und entkrampfend, das High nach 1,5 Stunden eindeutig, wenn auch nicht so stark wie es beim Essen der gleichen Menge wäre. Eher wie nach zwei starken Joints am Stück, dafür hat es fast acht Stunden angehalten. Insgesamt sehr empfehlenswert, insbesondere für Menschen, die es lieber ein wenig smoother, aber dafür länger haben.
Neue Studien sind überfällig
Fast alle Aussagen zur Bioverfügbarkeit von rektal appliziertem THC zitieren eine 33 Jahre alte Studie an ein paar Affen sowie eine 28 Jahre alte Forschungsarbeit an nur zwei Probanden. Mittlerweile gibt es viele Erfahrungsberichte, von denen sehr viel die schmerzlindernden und entkrampfenden Eigenschaften bestätigen. Abgesehen davon berichten viele User von einem angenehmen und eindeutigen High. Zudem wäre die rektale Einnahme für viele Cannabispatienten mit Magen- und Darmproblemen die ideale Applikationsform. Um deren Potenzial und die Wirkungsmechanismen besser zu entschlüsseln, muss die Studienlage dringend auf den neuesten Stand gebracht werden.
* Bei 350 mg THC handelt es sich um eine sehr hohe, medizinische Dosis. Bei den meisten Freizeitkonsumenten würde eine solche Dosis gesundheitliche Probleme auslösen.
ACHTUNG:
Um Cannabis bei der oralen oder auch der rektalen Einnahme genau dosieren zu können, muss deren Wirkstoffgehalt bekannt sein. Das ist allerdings fast ausschließlich bei legal produzierten Produkten der Fall. Bei selbst hergestellten Extrakten oder solchen vom Schwarzmarkt kann man den THC-Gehalt allenfalls schätzen.
Ab 2 mg
Auch User mit niedriger Toleranz werden kaum beeinflusst. Es tritt ein leichter Entspannungseffekt ein. Regelmäßige Nutzer oder Patienten spüren nichts.
Ab 2,5 mg
Bei Gelegenheitsnutzern ist ein leichter, psychoaktiver Effekt zu spüren. Effekte wie ein leichter Alkoholschwips ohne Ausfallerscheinungen. Regelmäßige Nutzer oder Patienten spüren wenig bis gar nichts.
Ab 5 mg
Bei Gelegenheitsnutzern tritt hier bereits eine spürbar psychoaktive Wirkung ein. Das typische Cannabis-High, vergleichbar mit dem Konsum eines üblichen Joints bei Gelegenheitsnutzern. Regelmäßige Nutzer oder Patienten merken hier wenig.
Ab 10 mg
Bei Gelegenheitsnutzern wirkt diese Dosis stark. Lachanfälle, ein sehr trockener Mund und Heißhunger auf Süßes sowie Fettiges gelten als typische Symptome. Regelmäßige Nutzer oder Patienten fühlen sich leicht entspannt, ohne ein intensives High zu verspüren.
Ab 15 mg
Für Gelegenheitskonsumenten oft schon zu viel. Sie berichten von einem sehr starken High, das oft mit unangenehm empfundenen psychischen Nebenwirkungen wie Panikattacken oder Verwirrtheit einhergeht. Für geübte Konsumenten sind 15 mg eine beliebte Standarddosis mit einer sanft psychoaktiven, entspannenden und beruhigenden Wirkung.
Ab 20 mg
Gelegenheitskonsumenten empfinden diese Dosis meist als zu stark. Regelmäßige User berichten von starken psychoaktiven Effekten. Effekte wie Heißhunger, Lachanfälle und ein trockener Mund werden oft als angenehm empfunden, wobei Paranoia oder eine zu starke Emotionalität während des Rausches oft als unangenehm wahrgenommen werden.
Ab 25 mg
Auch regelmäßige User sind von Dosierungen ab 25 mg THC nicht selten überfordert. Sie berichten von Panikattacken, innerer Unruhe und ausgeprägten Angstzuständen (siehe „Überdosierung“ Anfang dieses Kapitels).
> 50 mg/Sonderfall Cannabis-Patienten
Menschen ohne eine sehr hohe, über Jahre gebildete THC-Toleranz bekommen bei solchen Dosierungen psychische und physische Probleme!
So haben Cannabispatienten, die an chronischen Krankheiten leiden und deshalb mehrmals täglich Cannabis konsumieren, selbst im Vergleich mit Usern, die zwei, drei oder vier Konsumerlebnisse pro Woche haben, eine sehr hohe Toleranz.
Sehr hohe Dosierungen pro Konsumeinheit sind besonders in der Schmerztherapie keine Seltenheit. Doch solch hohe Dosen sollten nur im Rahmen einer ärztlich begleiteten Cannabistherapie zur Anwendung kommen. Grundsätzlich möchte ich hier keine Aussagen zu medizinischen Dosierungen treffen. Das ist ein Terrain, auf dem sich ausschließlich Mediziner und Angehörige anderer Heilberufe bewegen sollten.