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Was ist eine Schizophrenie und woher kommt sie?
Bis heute weiß kein Mensch, was genau eine schizophrene Psychose (nachfolgend synonym „Schizophrenie“ oder „Psychose“) ist und was sie auslöst. Die vielfältigen Forschungsbefunde zur Schizophrenie sind so heterogen, dass sogar hinterfragt wird, ob es die Erkrankung überhaupt gibt, so wie wir sie bislang verstehen. Wir definieren die Schizophrenie nicht aufgrund eines biologischen Markers (z. B. einer Blutanalyse), sondern aufgrund von beobachtbaren Symptomen, die zufällig häufig gemeinsam auftreten.
Und wir wissen, dass etwa einer von 100 Menschen daran erkrankt. Häufig sind Betroffene zwischen 16 und 25 Jahren alt, wenn sich erste Symptome zeigen. Cannabis konsumierende Menschen erkranken zumeist einige Jahre früher. Die Symptomatik der Schizophrenie ist komplex und tangiert nahezu jeden psychischen Funktionsbereich. Typischerweise treten Halluzinationen auf, vorwiegend akustisch in Form von Stimmenhören sowie körperbezogene Halluzinationen. Wahnerleben jeder Art kann auftreten, wobei Beziehungs- und Verfolgungswahn besonders häufig sind. Ferner leiden Betroffene oft unter verminderter Emotionalität, dem Verlust von Interessen, desorganisiertem Verhalten, indem die Person nicht mehr zielgerichtet denken und handeln kann. Schließlich treten häufig neurokognitive Defizite auf, vorwiegend Störungen der Konzentration und Aufmerksamkeit.
Der Verlauf der Schizophrenie kann sehr unterschiedlich sein. Etwa ein Drittel der Betroffenen wird nach einer Episode von durchschnittlich mehreren Monaten wieder gesund. Ein weiteres Drittel erlebt wiederholt auftretende Krankheitsepisoden. Zwischen den Episoden können einzelne Symptome teilweise bestehen bleiben. Das letzte Drittel leidet unter einem chronischen Verlauf. Es ist bis heute keine eindeutige Ursache für Schizophrenien bekannt. Dafür wurden sehr viele unterschiedliche Risikofaktoren gefunden. Eine genetische Komponente scheint aufgrund einer hohen Erblichkeit definitiv vorzuliegen. Stressige Lebensereignisse scheinen Psychosen bei veranlagten Menschen zum Ausbruch zu bringen. Die meisten der identifizierten Gene regulieren die Hirnentwicklung. Und hier könnte eine interessante Beziehung zum Konsum von Cannabis bestehen (s. u.).
Ferner gibt es einige Neurotransmitter, Botenstoffe im Gehirn, die mit einer Veranlagung für Schizophrenien assoziiert sind. Dazu zählt neben Dopamin, insbesondere Glutamat. Auch hier könnte der Konsum von Cannabis eine spezielle Bedeutung haben.
Was hat Cannabis mit Schizophrenie zu tun?
Die meisten Cannabiskonsumenten entwickeln keine Schizophrenie. Bei Menschen mit entsprechender Veranlagung scheint Cannabis jedoch ungünstig zu wirken. Sie erkranken durchschnittlich einige Jahre früher als Menschen ohne Konsum. Der weitere Verlauf ist bei Konsumenten durch stärkere Symptome und häufigere Krankheitsepisoden gekennzeichnet.
In den letzten Jahren wird jedoch zunehmend diskutiert, ob auch Cannabiskonsum bei Menschen Psychosen auslösen kann, die aufgrund einer geringen Veranlagung ohne den Konsum gesund geblieben wären. So zeigen Studien, dass sich innerhalb der letzten 30 Jahre die Häufigkeit von Schizophrenien in bestimmten Regionen verdoppelt hat, in denen parallel der Cannabiskonsum deutlich angestiegen ist (Studien aus England und der Schweiz). Allerdings sind in diesen Regionen neben dem Konsum von Cannabis auch andere Risikofaktoren für Schizophrenien angestiegen, wie beispielsweise Migration. Eine eindeutige Beziehung zu Cannabis besteht demnach nicht. Es gibt allerdings Befunde der Hirnforschung, die einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Schizophrenie wahrscheinlich machen.
Das körpereigene (endogene) Cannabinoidsystem als Wächter im Gehirn
Cannabis wirkt im Gehirn, indem die Cannabinoide an spezifischen Rezeptoren andocken. Diese Rezeptoren bilden das körpereigene, also endogene Cannabinoidsystem (ECS). Es gibt mehr als 60 verschiedene pflanzliche Cannabinoide, deren Wirkungen kaum erforscht sind. Relativ gut untersucht ist dagegen das Δ⁹-Tetrahydrocannabinol (THC), sowie das Cannabidiol (CBD). THC ist für die Rauschwirkung verantwortlich und scheint Schizophrenien negativ zu beeinflussen (propsychotische Effekte). Propsychotische Effekte werden vermutlich über das ECS vermittelt, indem THC dessen natürliche Funktionen stört. Das ECS hat mit Sicherheit nicht die Aufgabe, Menschen den Cannabiskonsum zu ermöglichen, sondern ist für viele verschiedene Prozesse zuständig. Unter anderem kann es die Hirnaktivität regulieren und ein homöostatisches Gleichgewicht aufrechterhalten. Das liegt daran, dass das ECS kein eigenes System darstellt wie andere Neurotransmittersysteme. Seine Rezeptoren sitzen wie „Trittbrettfahrer“ auf Nervenzellen von anderen Transmittersystemen: Glutamat ist das erregendste System im Gehirn, und GABA ist das hemmendste System im Gehirn.
Indem die Cannabinoidrezeptoren auf diesen beiden Systemen sitzen, können sie die Aktivität der entsprechenden Nervenzellen beeinflussen. Damit können sie über Aktivierung/Erregung (Glutamatsystem) und Hemmung (GABAsystem) ein stabiles Gleichgewicht im Gehirn erzeugen. Wenn ein anderes Transmittersystem, wie Dopamin, aufgrund einer Veranlagung für Schizophrenien zu entgleisen droht, übernimmt das ECS die Aufgabe eines Wächters, der wieder für Stabilität sorgt. Die körpereigenen Cannabinoide, die das ECS normalerweise bildet, sind dabei extrem fein dosiert. Cannabiskonsum dagegen überschwemmt das ECS dermaßen, dass dessen natürliche Funktionen vermutlich weitgehend außer Kraft gesetzt werden. Das ist nicht weiter tragisch, wenn der Konsument ein gesundes Gehirn hat. Ähnlich wie in einem Club mit anständigen Gästen, in dem die Türsteher nicht eingreifen müssen. Bei Menschen, deren Hirnstoffwechsel jedoch instabil ist (Menschen mit Veranlagung für Schizophrenie), ist ein funktionierendes ECS wichtig, ähnlich wie in einem Club mit randalierenden Gästen, wo die Türsteher aktiv eingreifen müssen. Dies erklärt, warum der Konsum bei manchen Menschen Schaden anrichten kann, während andere Konsumenten vermutlich keine Probleme bekommen.
Früher Cannabiskonsum und Hirnentwicklung
Das körpereigene (endogene) Cannabinoidsystem (ECS) entwickelt sich bis ins frühe Erwachsenenalter hinein. Das erklärt, warum Menschen, die vor dem 16. Lebensjahr mit Cannabiskonsum beginnen, ein erhöhtes Schizophrenierisiko aufweisen, während dies bei älteren Erstkonsumenten nicht nachweisbar ist. Der frühe Konsum greift womöglich nachhaltig in die Entwicklung des ECS ein, sodass es Störungen seiner natürlichen Funktionen aufweist, etwa die zuvor genannte „Wächterfunktion“. Ferner kann früher Konsumbeginn einen Prozess im Gehirn beeinflussen, der primär in der Pubertät stattfindet, und der im Falle einer Störung wiederum mit der Schizophrenie in Verbindung steht – das sogenannte „Pruning“.
Im vergangenen Jahr hat eine große Studie gezeigt, dass eine bestimmte genetische Veränderung mit Schizophrenien in Verbindung zu stehen scheint. Diese Veränderung sorgt für eine gestörte Hirnentwicklung während der Pubertät. Bei Gesunden sorgt das betroffene Gen für eine Art „Tuning“ des Gehirns („Pruning“). Dabei wird das Gehirn von überflüssigen Nervenverbindungen befreit, die sich im Leben entwickeln, aber nicht aktiv genutzt werden. Das Gehirn wird somit ausgedünnt und letztlich funktionsfähiger. GABA-Neuronen scheinen diesen Prozess auszulösen und Glutamat-Neuronen scheinen die Intensität des Prozesses zu regulieren. Da wären also erneut GABA und Glutamat, die beiden Systeme, die das ECS als Trittbrettfahrer nutzt. Dazu passend ist auch in einer aktuellen Studie nachgewiesen worden, dass früher Cannabiskonsum den Pruningprozess stört.
Bei der Entwicklung der Schizophrenie scheint dieser Pruningprozess ebenfalls eine zentrale Bedeutung zu haben. Durch eine Störung des zuständigen Gens wird der Prozess derart überreguliert, dass es zu einem sog. „Overpruning“ kommt, einem übersteigerten „Hirn-Tuning“. Nicht nur irrelevante neuronale Verbindungen werden eliminiert, sondern auch relevante Verbindungen. Das Gehirn verliert damit deutlich an Substanz und im weiteren Verlauf treten erste Symptome der Schizophrenie auf. Die Assoziation zwischen gestörtem Pruning und der Schizophrenie wurde schon vor Jahren in Betracht gezogen, die aktuelle Studie liefert erst mal einen belastbaren Befund. Da Cannabiskonsum den Pruningprozess ebenfalls negativ beeinflusst, vermutlich vermittelt über eine Störung des ECS und somit der Glutamat- und GABA-Aktivität, ist eine Assoziation mit Schizophrenien auch hier deutlich. Noch ist jedoch unklar, inwiefern der bei schizophren veranlagten Menschen ohnehin schon veränderte Pruningprozess durch Cannabiskonsum weiter beeinflusst wird. Das müssen weitere Studien zeigen.
Gibt es auch positive Cannabiswirkungen bei Schizophrenien?
Cannabis kann tatsächlich auch heilsame Wirkungen bei Schizophrenien entfalten. Allerdings dürfte dieses Cannabis für die Konsumenten dann nicht mehr interessant sein. Denn die negativen Effekte werden primär durch THC vermittelt, welches gleichzeitig die Rauschwirkung erzeugt. Cannabidiol (CBD) dagegen hemmt die THC-Wirkung auf vielen Ebenen. Es erzeugt keinen Rauscheffekt, im Gegenteil konnten im Tierexperiment die THC-Effekte durch Gabe von CBD rückgängig gemacht werden. Interessanterweise wirkt das CBD auch lindernd auf schizophrene Symptome. Mittlerweile gibt es Studien, in denen CBD als Ersatz oder Ergänzung der üblichen antipsychotischen Medikation effektiv eingesetzt wurde (allein dies ist übrigens bereits ein Hinweis auf propsychotische THC-Effekte). Im Gegensatz zu den herkömmlichen Medikamenten, die alle ziemlich unangenehme Nebenwirkungen haben, ist CBD ausgesprochen verträglich. Es dürfte allerdings noch einige Zeit und viele Studien dauern, bis CBD als Standardmedikation gegen Schizophrenien eingesetzt werden kann.
Im Cannabis, welches Konsumenten üblicherweise beziehen, ist tendenziell wenig CBD und viel THC enthalten, da es den Konsumenten schließlich um den Rauscheffekt geht. Besonders kritisch sind in diesem Kontext übrigens die sogenannten „legal-Highs“ zu bewerten, wie „Spice“ und seine Verwandten. Diese Produkte enthalten explizit nur synthetische THC-ähnliche Verbindungen mit hohem Rauscheffekt. Diese sind zwar nicht dahin gehend erforscht, dürften aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnliche Prozesse im Gehirn aktivieren, wie es vom THC bekannt ist.