Cannabinoide steuern eine Vielzahl elementarer Prozesse in unserem Körper. Praktisch der gesamte Körper ist übersät mit Cannabinoidrezeptoren. Über diese Rezeptoren lassen sich eine Vielzahl an intrazellulären Prozessen modulieren, je nachdem welches Cannabinoid dort andockt. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen einer agonistischen und antagonistischen Wirkung an diesen Rezeptoren.
Dabei bedeutet agonistisch eine aktivierende und antagonistisch eine hemmende Wirkung. Eines der ersten körpereigenen Cannabinoide, das man entdeckte, war Anandamid. Dieses ist wahrscheinlich das bekannteste Endocannabinoid. Im Laufe der Jahre wurden immer mehr körpereigene Cannabinoide entdeckt und man begann zunehmend zu begreifen, wie essenziell das körpereigene Cannabinoidsystem für unzählige überlebenswichtige Funktionen ist. Ein eher unbekanntes Endocannabinoid ist Virodhamin.
Gegenspieler zu Anandamid
Anandamid ist ein Agonist am CB1-Rezeptor. Virodhamin hingegen hat auf den CB1-Rezeptor eine antagonistische Wirkung und eine agonistische Wirkung auf den CB2-Rezeptor. Es hebt also die Wirkung von Anandamid wieder auf. Jeder Prozess im menschlichen Körper, der über das Endocannabinoidsystem gesteuert wird, wird in seiner Stärker entweder durch agonistische oder antagonistische Bindungen an den jeweiligen Rezeptoren reguliert. Beispielsweise kann also die Intensität einer Entzündungsreaktion gesteuert werden, über die agonistische oder antagonistische Wirkung an den CB2-Rezeptoren der jeweiligen Immunzelle, die in den Prozess involviert ist.
Aber auch Empfindungen wie Glück oder Schmerzstillung werden in der gleichen Weise gesteuert. Anandamid sorgt über seine agonistische Wirkungen an den CB1-Rezeptoren im Gehirn zunächst für Glück oder Schmerzlinderung. Wird dieser Effekt nicht mehr benötigt, kommt sein Gegenspieler Virodhamin ins Spiel, hebt die Wirkung von Anandamid durch seine antagonistische Wirkung auf und lässt diese allmählich ausklingen. Ein weiterer Effekt von diesem Cannabinoid ist, dass es an der Regulierung der Blutgefäße, primär jenen in der Lunge, beteiligt ist. Es hat hierbei eine entspannende und erweiternde Wirkung.
Viele Cannabinoide wirken direkt auf die Blutgefäße und erweitern diese, was auch der Grund dafür ist, dass viele durch das Rauchen von Cannabis gerötete Augen bekommen. Die exakte chemische Bezeichnung von Virodhamin lautet O-Arachidonoylethanolamin. Es wird im Körper hergestellt aus einer Reaktion von Arachidonsäure und Ethanolamin. Virodhamin findet sich primär im Hippocampus, aber prinzipiell auch in jeglichem peripheren Gewebe. Während Anandamid bereits seit 1992 als erstes körpereigenes Cannabinoid entdeckt wurde, ist Virodhamin erst seit dem Jahr 2002 bekannt.
Wichtige Funktion in Leberzellen
Eine Studie im Universitätsklinikum Bonn aus dem Jahr 2010 fand heraus, dass Virodhamin darüber hinaus auch noch eine zentrale Rolle in Leberzellen spielt. Es wurde festgestellt, dass Virodhamin einen Zelltod in den sogenannten hepatischen Sternzellen auslöst. Hepatische Sternzellen sind krankhafte Ausprägungen von Leberzellen, die der Ausgangsort von schweren Lebererkrankungen sind. Die sogenannte Aktivierung von hepatischen Sternzellen erfolgt durch verschiedene toxische Einflüsse, wie Alkohol, lebertoxische Medikamente oder auch Stoffwechselprodukte bestimmter Viren. Genau diese hepatischen Sternzellen tötet Virodhamin durch eine Auslösung von intrazellulärem oxidativen Stress ab.
Das Forschungsteam isolierte aus Ratten Leberzellen und beobachtete dann mittels einer speziellen Färbetechnik das Absterben von hepatischen Sternzellen, in direkter Abhängigkeit von der Konzentration des vorhandenen Virodhamins. Man kann davon ausgehen, dass dieses völlig unbekannte Cannabinoid eine wichtige Rolle in der Gesunderhaltung der Leber spielt. Gäbe es diese selektive Auslöschung von entarteten Leberzellen nicht, würde sich deutlich leichter eine lebensbedrohliche Leberzirrhose entwickeln. Genau aufgrund dieser ausgeklügelten Selbstheilungsmechanismen ist die Leber eines der regenerationsfähigen Organe des Körpers. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich auf diese Weise toxische und entzündliche Schäden reparieren.
Potenzieller medizinischer Nutzen in der Zukunft
Das Forscherteam geht davon aus, dass aufgrund dieser sehr selektiven eliminierenden Wirkung auf entartete Leberzellen, die jedoch gesunde Zellen völlig verschont, Virodhamin in Zukunft in der Medizin eine größere Rolle spielen könnte. Dieses Cannabinoid könnte zukünftig der Ausgangsstoff für die Entwicklung neuer antifibrogener Medikamente sein. Antifibrogen bedeutet, dass es die Fibrose in der Leber hemmt.
Fibrose ist der Prozess, der zu einer krankhaften Veränderung der Leber führt, wenn hepatische Sternzellen vom Körper nicht mehr ausreichend bekämpft werden können. Aus dieser Fibrose können dann Leberzirrhose oder Leberkrebs entstehen. Hat man den Prozess verstanden, den dieses Cannabinoid hier ausführt, um genau diese entarteten Zellen zu eliminieren, so kann man den zugrundeliegenden biochemischen Vorgang als Vorlage zur Entwicklung neuartiger Medikamente nutzen.