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Unsere Lieblingspflanze Hanf produziert natürlicherweise mehr als 100 verschiedene Phytocannabinoide, 113 sind bis heute beschrieben. Das bekannteste – und wahrscheinlich beliebteste – ist natürlich das Tetrahydrocannabinol, THC. Auch das beruhigende CBD, also Cannabidiol, ist vielen Hanffreunden inzwischen ein Begriff. Derzeit erlebt CBD einen Boom als Hauptwirkstoff des legalen Rauchhanfs in der Schweiz und in Österreich. Auch sorgt es seit jeher für die wohlige Entspannung im Wirkmuster der Indica-Sorten.
Aber auch die anderen Phytocannabinoide werden immer detaillierter erforscht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich viele gut für pharmazeutische Produkte eignen. Bei Cannabinoiden muss ja, wie der Name schon sagt, von regelmäßiger Interaktion mit dem menschlichen Endocannabinoidsystem ausgegangen werden. Phytocannabinoide werden alle pflanzlichen Substanzen genannt, die mit dem Cannabinoidsystem des Menschen – und anderer Wirbeltiere – interagieren können. Pharmazeutische Unternehmen, die keine Berührungsängste vor Hanfpflanzen haben, betreiben intensive Forschungen, um die Effekte einzelner Bestandteile der Cannabispflanzen zu verstehen und diese dann gezielt therapeutisch nutzbar zu machen.
Die Wirkung von Cannabidivarin
Cannabidivarin, CBDV ist ein solch unbekannteres, aber medizinisch hochinteressantes Phytocannabinoid. Genau wie CBD ist auch CBDV nicht psychoaktiv, zeigt dabei aber ähnlich positive Eigenschaften als Medikament. Es verhindert offensichtlich zuverlässig epileptische Anfälle, wirkt insgesamt krampflösend, entzündungshemmend und bekämpft Übelkeit. Weil es keine Rauschwirkung hervorruft, ist es nicht von Drogengesetzen betroffen. Das macht es für Forschungsunternehmen zu einem idealen Kandidaten als mögliches neues Medikament.
CBDV ist ein sogenanntes Homolog von CBD. Das heißt, die beiden Moleküle sind fast exakt gleich aufgebaut. Bei den beiden Cannabinoiden ist nur die Kohlenstoffkette am Ende kürzer, beim CBDV besteht sie aus nur drei Kohlenstoffatomen, anstatt aus 5 wie beim CBD. Chemiker nennen diese Dreierkette des CBDV Propylgruppe, die Kette aus fünf Kohlenstoffen am CBD wäre eine Pentylgruppe. Es gibt übrigens auch vom THC eine Variante mit kurzer Propylkette, die heißt dann auch entsprechend THCV, Tetrahydrocannabivarin. THCV und CBDV heißen deshalb auch Propyl-Cannabinoide.
CBDV sieht nicht nur ähnlich aus, wie CBD, es findet sich auch natürlicherweise vermehrt in Pflanzen mit höherem CBD-Anteil. Höhere Konzentrationen kommen in Pflanzen aus Nordindien und dem Himalaja vor, also Indica-Variationen. Vielleicht ist es ja das CBDV, was guten Nepal und nordindischen Charras so lecker macht? Für die moderne Cannabiszucht sind solche Fragen aber nicht wirklich von Belang, denn dank der kurzen Zyklen können gewünschte Eigenschaften sehr zuverlässig und vor allem schnell herausgezüchtet werden.
Von Studien, neuen Wirkungsweisen und Pharmaunternehmen
Vorreiter ist da zurzeit die britische Firma GW Pharmaceutics, die erfolgreich für den eigenen Bedarf spezialisierte Pflanzen züchtet. Der Hersteller des zugelassenen Cannabis-Medikamentes Sativex hat sich CBDV schon als Wirkstoff patentieren lassen und erforscht es unter dem Entwicklungsnamen GWP42006. Laut ihrer Website laufen schon klinische Studien für die Anwendung bei Epilepsie und autistischen Störungen.
Genau wie beim CBD aber sind auch für CBDV die genauen Wirkmechanismen noch nicht verstanden. Vom CBD etwa weiß man, eine Interaktion mit den menschlichen Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 findet wohl statt. Die funktioniert aber nicht nach einem deutlich messbaren An-Aus-Prinzip, sondern scheint eher eine modulierende zu sein. CBD kann unter anderem wohl die Empfindlichkeit der CB-Rezeptoren erhöhen, unter CBD-Einfluss wirken dann also andere Cannabinoide, pflanzliche oder körpereigene, stärker. Bei solchen komplexen Wechselwirkungen ist es aber schwierig, die genauen Wirkmechanismen experimentell zu bestimmen.
Da CBD und CBDV aber tatsächlich gegen Anfallsleiden helfen und dabei keine schädlichen Nebenwirkungen zeigen, haben sie bei der Suche nach neuen Medikamenten sozusagen einen Vertrauensvorschuss. CBD etwa ist in den USA als „Orphan Drug“ anerkannt, als Medikament also, das sich zur Behandlung seltener Krankheiten eignet und daher besondere Förderung der Zulassungsbehörden genießt.
Für CBDV wurde die heilende Wirkung aber auch schon auf molekularer Ebene nachgewiesen. So reduziert es die Genexpression etlicher Proteine, die mit Epilepsie assoziiert sind. Man weiß also noch nicht genau, wie es wirkt, aber das Resultat ist messbar. Unter CBDV-Einfluss wurden nämlich deutlich weniger der entsprechenden Proteine im Hippocampus und im Großhirn von Versuchstieren gemessen, deren Konzentration sonst bei Anfallsleiden erhöht ist.
Einen möglichen Hinweis auf den Wirkmechanismus gibt eine italienische Studie zur Behandlung von chronischen Darmentzündungen. Hier geriet eine Variation des sogenannten Vanilloidrezeptors ins Visier. Dieser TRPV-Kanal ist als Andockstelle für Cannabinoide bekannt, die Forschung konzentriert sich aber bisher meist auf die Rezeptoren CB1 und CB2, denn diese scheinen exklusiv nur auf Cannabinoide zu reagieren. Für die TRPV-Rezeptoren aber gibt es neben Cannabinoiden viele verschiedene Auslöser, was wiederum gezielte Forschung kompliziert macht. Speziell in Dünndarmzellen von Versuchstieren aber aktiviert das Cannabinoid CBDV die Rezeptoren TRPV 3 und TRPV4 und erhöht gleichzeitig ihre Anzahl. Hier könnte sich also ein weiterer Aspekt des menschlichen Endocannabinoidsystems erschließen.
Cannabis etabliert sich als normale Nutzpflanze und wird selbstverständlich auch von der Pharmaforschung vereinnahmt. Das Wissen über einzelne Bestandteile wächst, Pharmaunternehmen können daher spezialisierte Sorten züchten und möchten sich dieses Wissen auch bezahlen lassen. Die Forschung an einem kleinen „Geschwistermolekül“ wie dem CBDV zeigt aber auch, dass die vielen Wirkstoffe der Pflanze in ihren Wechselwirkungen eng zusammenarbeiten. Evolution und die lange Geschichte der Kultivierung haben in den Cannabis-Sorten praktisch funktionierende Kombinationspräparat erschaffen, die wir gar nicht mehr so stark verändern müssen, damit sie uns helfen.
Quellen
Studie bei CrescoLabs
Pipeline von GW Pharmaceutics
Beitragsbild: wikimedia.org