Rund 65 Millionen Menschen weltweit leben mit der Diagnose Epilepsie. Drei Millionen davon leben in den USA. In Deutschland sind rund 500.000 Menschen wegen Epilepsie in ärztlicher Behandlung. Bei einem Drittel aller Epilepsie-Patienten schlagen herkömmliche Medikamente nicht an. Deshalb suchen Betroffene und Wissenschaftler nach neuen Lösungen.
Besonders vielversprechend im Kampf gegen Epilepsie zeigt sich die Cannabis-Pflanze mit ihren über 113 bekannten Cannabinoiden. Von diesen Wirkstoffen sind das rauschauslösende und noch verbotene THC sowie das nicht psychoaktive und damit legale CBD die wohl berühmtesten und auch am besten erforschten. Vor allem Cannabidiol (CBD) weckt große Hoffnungen bei Epilepsie-Patienten.
Epilepsie: Das Nervensystem ist krank
Bei Epilepsie handelt es sich um eine Erkrankung des Nervensystems. Ihre Symptome bestehen in Krampfanfällen, den epileptischen Anfällen. Epilepsie definiert sich dadurch, dass mehr als ein Anfall ohne ersichtlichen Grund stattfindet. Doch es gibt auch Ausnahmen: Bei sehr seltenen Formen der Epilepsie lösen bestimmte Reize einen Anfall aus. Generell unterscheidet die Medizin zwischen verschiedenen Epilepsieformen im Hinblick auf deren Ursachen, also das, was im Körper passiert, wenn ein Anfall stattfindet, sowie die Art, auf die sich die Anfälle äußerlich darstellen.
Warum es zu epileptischen Anfällen kommt, ist nur in etwa der Hälfte der Fälle bekannt. Häufig ist die Ursache die Schädigung des Gehirns, zu der es durch Traumata, Fehlbildungen des ungeborenen Babys im Mutterleib, Schlaganfälle, Meningitis, Alzheimer, Parasiteninfektionen, übermäßige Flüssigkeitsansammlung im Gehirn, Hirntumore oder andere Erkrankungen kommt. Diese Art der Krankheit ist auch als symptomatische (strukturelle, metabolische) Epilepsie bekannt. Auch Faktoren wie Vergiftungen durch Blei, Alkoholmissbrauch, Missbrauch von Drogen wie Antidepressiva oder illegalen Substanzen sowie Kohlenmonoxid können zu einer symptomatischen Epilepsie führen. In ganz wenigen Fällen liegt die Ursache für Epilepsie auch in den Genen. Die Rede ist dann von einer genetischen Epilepsie.
In 40 Prozent der Fälle sind keine Ursachen bekannt. Wissenschaftler vermuten, dass es sich bei diesen Fällen auch um eine genetische Epilepsie handeln könnte, über die allerdings noch keinerlei Forschungsergebnisse vorliegen. Schädigungen des Gehirns oder andere organische Ursachen sind bei der sogenannten idiopathischen (ungeklärten) Epilepsie nicht erkennbar.
Ungleichgewicht im Endocannabinoidsystem begünstigt Epilepsie
Kommt es zu einem epileptischen Anfall, sind daran Neurotransmitter beteiligt. Durch eine plötzliche Entladung vieler Nervenzellen auf einmal werden zu viele Neurotransmitter freigesetzt. Je nach Epilepsieform geschieht dies auf unterschiedliche Weise und an verschiedenen Stellen im Gehirn. Als Ergebnis kommt es zu unkontrollierten Muskelkontraktionen, Zuckungen oder Schütteln. Epileptische Anfälle werden auch konvulsive Anfälle genannt.
Das Endocannabinoidsystem (ECS) hat einen Einfluss auf die Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter. Das ECS produziert und funktioniert mit Endocannabinoiden. Das sind Cannabinoide, die vom menschlichen Körper selbst hergestellt werden. Kommt es aufgrund von Stress oder Erkrankungen zu einem Ungleichgewicht im ECS, ist die gesamte Balance im Körper gestört und kann dadurch weitere Probleme verursachen – zum Beispiel kann dadurch ein epileptischer Anfall begünstigt werden. Die Wirkstoffe der Cannabispflanze, die exogenen Cannabinoide, auch Phytocannabinoide genannt, haben im ECS fast identische Effekte wie die Endocannabinoide. Durch die Gabe von exogenen Cannabinoiden kann das Gleichgewicht wieder erlangt werden.
Cannabis hat sowohl pro- als auch antikonvulsive Effekte
Auf dem Kongress der DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie) 2016 in Mannheim warnte Professor Heidrun Potschka allerdings davor, unkontrolliert Phytocannabinoide zu sich zu nehmen, um Epilepsie zu bekämpfen. Laut Erfahrungsberichten einiger Epilepsie-Patienten hätten diese nach dem Genuss eines Joints des Öfteren einen Anfall erlitten. In diesen Fällen wirkte Cannabis also prokonvulsiv, krampffördernd.
Als Begründung gab sie zunächst den aktuellen Stand der Wissenschaft an: Der Cannabinoid-bindende Rezeptor CB1, der Teil des ECS ist, hemmt über eine Rückkopplungsschleife überaktive Synapsen. CB1 ist präsynaptisch. Setzen nun die überaktiven Synapsen zu viele Neurotransmitter frei, kommt es an der Postsynapse zur Ausschüttung von Endocannabinoiden, welche am CB1-Rezeptor binden und damit die Produktion der Neurotransmitter einschränken. Dieser Prozess geschieht sowohl bei hemmenden als auch bei erregenden Verbindungen. Potschka ist überzeugt, dass es deshalb vom augenblicklichen Zustand des Gehirns abhänge, ob der CB1-Agonist THC eher krampffördernd oder krampflösend wirken würde. Genaues ist zu diesem Thema jedoch noch nicht bekannt. Nicht unerwähnt sollte an dieser Stelle bleiben, dass Potschka am Pharmakologischen Institut der LMU München beschäftigt ist und ihre Meinung wohl vom pharmakologischen Standpunkt aus und mit entsprechenden Interessen vertreten dürfte.
In der Cannabispflanze kommt darüber hinaus ja nicht nur THC als Wirkstoff vor, sondern auch ganz viele andere Verbindungen, die sich positiv oder negativ auf Krämpfe auswirken können. Die Wissenschaft tappt hier weitestgehend noch im Dunkeln. Derzeit wird in der Epilepsieforschung das Augenmerk nicht vornehmlich auf THC, sondern auf seinen Gegenspieler, das Cannabidiol gelenkt. Mit CBD gab es durchweg positive Ergebnisse.
Cannabis: Studien belegen positive Wirkung bei Epilepsie
Verschiedene Studien weltweit – sowohl an Menschen als auch an Tieren – haben inzwischen ergeben, dass die Einnahme von Cannabinoiden dem Auftreten epileptischer Anfälle entgegenwirkt. Ferner konnte belegt werden, dass nicht nur akute Epilepsieanfälle durch die Gabe von Cannabinoiden gemindert werden können, sondern dass die pflanzlichen Wirkstoffe auch einen wirksamen Schutz vor der Entstehung von Epilepsie bieten können. Zudem wirken Cannabinoide neuroprotektiv. Das heißt, sie schützen die Nerven. Außerdem wirken sie höchstwahrscheinlich einer übermäßigen Freisetzung von Glutamat, das dem Gehirn schaden kann und während eines epileptischen Anfalls ausgeschüttet wird, entgegen.
Vor allem CBD ist derzeit in aller Munde, wenn es um effektive Medikamente gegen Epilepsie geht – auch wenn THC nachweislich Krampfanfälle ebenso verhindern kann. Die Nebenwirkungen von CBD sind sehr überschaubar. Vor allem Schläfrigkeit und Appetitlosigkeit sind hier zu nennen. Eine weitere, im Falle von Epilepsie als positiv zu wertende Nebenwirkung von CBD ist, dass es die Wirkungen herkömmlicher Epilepsie-Medikamente wie Carbamazepin, Diazepam, Felbamat, Gabapentin, Phenobarbital, Topiramat und Valproinsäure eventuell verstärken kann. Die Ergebnisse einer Studie deuten in hohem Maße darauf hin. Tiefgehende Erkenntnisse hierzu stehen jedoch noch aus. Denkbar wäre in der Zukunft, dass CBD in Medikamentenform gezielt für eine derartige Verstärkung genutzt werden könnte.
Derzeit ist Cannabidiol vor allem als sogenannte „Orphan drug“, also als Waisen-Medikament, zugelassen – und zwar nur für eine eingeschränkte Zahl von Epilepsieformen, als da wären: das Dravet-Syndrom, das Lennox-Gastaut-Syndrom sowie die Tuberöse Sklerose. Orphan drugs unterliegen starken Zulassungsbeschränkungen und dürfen nur für sehr selten auftretende Krankheiten vertrieben werden. Da CBD aber legal und ohne Rezept erhältlich ist, solange es nicht in Medikamentenform, sondern als eine Art Nahrungsergänzungsmittel angeboten wird, berichtet eine Vielzahl von Epilepsie-Patienten, die sich selbst mit Cannabidiol therapiert haben, von positiven Effekten des pflanzlichen Wirkstoffs. Die Häufigkeit der Anfälle ging mit der Einnahme von CBD in vielen Fällen zurück, was sich mit Erkenntnissen anderer Studien bezüglich des Themas CBD und Epilepsie deckt.
CBD für an Epilepsie erkrankte Kinder
Auch bei Kindern, die unter Epilepsie leiden, ließ sich die Anzahl der Anfälle bei jedem vierten Kind um 50 Prozent reduzieren. Dies ergab eine Auswertung der Krankenakten in einem US-amerikanischen Kinderkrankenhaus (Colorado). Bei kleinen Kindern tritt häufig das Dravet-Syndrom auf. Diese Form der Epilepsie lässt sich nachweislich gut mit CBD behandeln.
Dennoch sollte die Gabe jeglicher Medikamente oder natürlicher Mittel bei Kindern nur unter strengster Beobachtung stattfinden, da sich die kleinen Körper noch im Wachstum befinden und körperfremde Substanzen sich im schlimmsten Fall negativ auf die Entwicklung auswirken können.
Ausblick: Cannabinoide als alternative Medikation bei Epilepsie
Trotz weniger kritischer Stimmen, die sich teilweise gegen die Nutzung von Cannabinoiden in der Behandlung von Epilepsie aussprechen, liefert die Wissenschaft immer weitere hoffnungsvolle Erkenntnisse im Hinblick auf Cannabis und Epilepsie. Der erste Schritt hin zur Zulassung von Medikamenten, die Cannabinoide enthalten, wurde bereits gemacht. In Anbetracht der derzeitigen Bemühungen in der Forschung darf in nicht allzu ferner Zukunft wohl noch mit einer ansehnlichen Anzahl weiterer Medikamente gerechnet werden. Ob die Cannabinoide dann synthetisch hergestellt oder aus der Natur genommen werden, bleibt noch offen.
Fest steht jedoch, dass Phytocannabinoide, welche nicht im Labor produziert werden, besser verträglich sind als von Menschenhand gemachte Verbindungen. Mit den Wirkstoffen der Cannabispflanze könnte eventuell sogar ein Durchbruch in der Epilepsie-Behandlung geschafft werden. Es ist – wie so häufig – nicht zuletzt eine Frage der verschiedenen Interessen, die im Gesundheitssystem aufeinandertreffen, ob und in welcher Form und mit welchem Nachdruck und Erfolg letztlich den betroffenen Menschen Hilfe durch neue Medikamente geboten wird.
In der Zwischenzeit bleibt noch einiges an Spielraum für die Selbsthilfe. Das legal erhältliche CBD – egal, ob in Form von Öl, Kapseln, Tabletten oder Tinkturen – ist (noch) frei zugänglich, sodass jeder Epilepsie-Patient damit seine Behandlung ergänzen kann. Natürlich sollte bei solchen Eigentherapien immer ein fachkundiger Arzt zurate gezogen und auf eine gute (Bio-)Qualität des CBD-Produkts geachtet werden. Wer so verfährt, dürfte sich mit ein wenig Geduld berechtigte Hoffnung auf Besserung machen.