In den letzten Jahren wird es in Deutschland zunehmend lauter um Cannabis – und zwar im positiven Sinne. Viele europäische Länder haben es inzwischen legalisiert, medizinische Programme eingeführt oder zumindest entkriminalisier. Ein Joint in Frankreich wird nun z. B. mit einem Bußgeld statt einer Anzeige geahndet. In Deutschland geht es langsamer voran, da wir wiederholt eine Drogenbeauftragte mit wenig Ahnung und großem Durst erwischt haben – was allerdings nicht bedeutet, dass wir nicht up to date wären.
Lauscht man in den letzten Wochen in die Chats der Dabbing-Fraktion oder liest einschlägige Blogs, stößt man auf die wildesten Abkürzungen wie CBN, CBG und THC Delta 8. “Muss ich jetzt den Chemie- Leistungskurs belegen, um einen Joint zu bauen?”, fragt sich da manch einer. Die Antwort ist Nein, denn wir erklären euch gern, was es mit den “neuen” Vertretern unter den inzwischen 113 bekannten Cannabinoiden auf sich hat.
Gesunde Tradition
Erstmals von CBN gehört haben die Meisten von euch vielleicht im Zusammenhang mit der Geschichte der traditionellen Nutzung von Cannabis. Die ältesten archäologischen Funde stammen aus dem Pamirgebirge im Westen Chinas und sind ca 2500 Jahre alt. Sie legen nahe, dass Samen und Fasern schon damals als Nahrung und Kleidung genutzt worden sind (Erste Funde dieser Art sind sogar auf 4000 Jahre v.Ch. Datiert), bergen aber ein noch viel interessanteres Geheimnis. Man fand Räucherwerk, welches einen höheren Wirkstoffgehalt besaß, als andere gefundene Pflanzenteile.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass hier im rituellen Rahmen von Begräbnisritualen Cannabis geraucht wurde, und das, obwohl man keinen Krümel THC fand. THC degradiert nämlich, das heißt, es wird abgebaut. An diesem Abbauprozess sind Strahlung, also Sonne, und Oxidation, also Sauerstoff beteiligt. Und da, wie wir schon in Physik gelernt haben, nichts einfach so verschwindet, entsteht als Degradationsprodukt Cannabinol. Dieses finden dann im Glücksfall ein paar Archäologen, ziehen Rückschlüsse auf den THC Gehalt, und bescheren uns ein Cannabinoid, dass es in sich hat. So sehr, dass ein CBN-Produkt im vorletzten Jahr in Kanada den Cannabis Award für die Top Innovation gewonnen hat
Chemie Grundkurs
Initial enthält eine Cannabisblüte kaum beziehungsweise kein CBN, da es von der Pflanze nicht produziert wird; selbst eine vollständig getrocknete Blüte enthält meist unter einem Prozent CBN. In Cannabis ist generell kein CBN, CBD, THC oder Ähnliches vorhanden. Es sind die Säuren der Cannabinoide, also CBNa, CBDa und THCa etc, welche erst beim Rauchen decarboxyliert, und somit in ihre uns bekannte Form umgewandelt werden. CBN ist also ein Metabolit von THC, welches durch Degradationsprozesse entsteht.
Bei der Reifung des Cannabis verliert THC Wasserstoffmoleküle und oxidiert zu CBN. Dieser Vorgang geht allerdings relativ langsam von statten, so wandeln sich in einer Cannabisblüte bei Raumtemperatur ca 5% des THC innerhalb eines Monats um. Bei reinem THC sind es um die 10%. Chemisch ähnelt CBN dem CBD, hat allerdings keine Doppelbindungen oder Stereoisomere. Cannabinol schmilzt bei 77 Grad Celsius, und siedet bei 185 Grad.
Bio Grundkurs
Cannabinol ist ein partieller Agonist des CB1 Rezeptors, was bedeutet, dass es den Rezeptor besetzt, und dabei einen Transmitter (Serotonin, Dopamin, Glutamat, Noradrenalin) teilweise imitiert oder ersetzt. Eine höhere Affinität besitzt CBN allerdings zum CB2 Rezeptor, an welchen auch THC andockt. Die Affinität von THC ist allerdings deutlich höher. CB1 Rezeptoren befinden sich hauptsächlich in Nervenzellen des Zentralnervensystems, vereinzelt aber auch im peripheren Nervensystem.
Dort balanciert es die Aktivität der Neurotransmitter aus, gleicht Mängel aus und verhindert Überstimulation. Auf diesem Wege hemmt es Schmerzregelkreise, Übelkeit, Angst usw. Der CB2 Rezeptor befindet sich auf den Zellen des Immunsystems (Darm), Osteoblasten (Knochenaufbau) und Osteoklasten (Knochenabbau). Die unzähligen Möglichkeiten dieses Rezeptors sind allerdings Fokus eines anderen Artikels)
Wirkung ohne Nebenwirkung – das bessere THC?
Die Forschung an Cannabis steckt im Allgemeinen noch in den Kinderschuhen. Wie oft wird vor Gericht mit der dünnen Studienlage argumentiert, wenn mal wieder eine Krankenkasse das Medikament nicht zahlen möchte! Und wenn sich das schon bei Stars wie THC und CBD so verhält, kann man sich vorstellen, wie viel belastbares Wissen man über Cannabinol hat. Doch untätig war man nicht, und was die Wissenschaft jetzt schon zutage gefördert hat, verspricht Großes.
Antibakteriell
In einer italienischen Studie aus dem Jahr 2008 wurden 5 Cannabinoide auf ihre Wirksamkeit gegen den multiresistenten Krankenhauskeim MRSA (Methicillin-resistenter Staphyllococcus aureus) untersucht, und zwar THC, CBD, CBG, CBN und CBC. MRSA sind Keime, die nicht mehr auf Methicillin, und meist auch auf kein anderes Antibiotikum ansprechen und somit schwer bis gar nicht behandelbar sind.
Die Infektionen mit diesen Keimen sind für die Patienten oft mit schweren Verläufen verbunden, und meist sind sie bereits vorerkrankt, denn diese Keime sind oft in Krankenhäusern zu finden. In früheren Jahren waren ca. 20 % aller in Krankenhäusern untersuchten Staphylococcus aureus Bakterien multiresistent, da in Krankenhäusern viel mit Antibiotika umgegangen wird. Die gute Nachricht ist, dass sich alle fünf Cannabinoide gegen diese Keime bewährt haben. Offenbar hemmen sie wichtige Signalenzyme, welche die Bakterien benötigen.
Glaukom
Schon im Jahr 1984 untersuchte man erstmals die Wirksamkeit von CBN an Katzen. In der Studie konnte Cannabinol nachweislich den Augeninnendruck reduziert werden. CBN steht hier dem THC also in nichts nach.
Appetit
In Studien an Ratten konnte im Jahr 2012 gezeigt werden, dass CBN vor allem in der ersten Stunde nach Einnahme zu deutlich erhöhter Nahrungseinnahme aufgrund von gesteigertem Appetit führt. Sie verabreichten den Ratten CBN und schalteten per Antagonist den CB1 Rezeptor ab, um sicherzustellen, dass dieser nicht beteiligt ist. CBN könnte also ein Kandidat für Medikamente gegen Essstörungen sein. Sein enger Verwandter, das CBD, sorgt für den gegenteiligen Effekt, und käme dementsprechend für Appetitzügler in Frage. Beide Cannabinoide modulieren den Appetit am CB1 Rezeptor.
Hautkrankheiten
In einer Laborstudie aus dem Jahr 2007 fand man heraus, dass CBN das unkontrollierte Wuchern von Hautzellen (Hornzellen) stoppen kann. Somit ist es ein vielversprechender Kandidat für die Behandlung von Psoriasis (Schuppenflechte) und Epidermiolysis bullosa, einer genetisch bedingten Hautkrankheit, welche für sehr empfindliche Haut sorgt. Betroffene werden im Volksmund als Schmetterlingskinder bezeichnet, da ihre Haut ähnlich verletzlich ist.
Überraschenderweise läuft dieser Mechanismus nicht über die CB-Rezeptoren. CBN ist zusätzlich ein Agonist für den TRPV2 Rezeptor, und könnte somit zusätzlich die Schmerzen einer Hautentzündung lindern. Was beinahe noch überraschender ist – die Tatsache, dass ein Medikament mit diesem Cannabinoid bereits kurz vor der Zulassung steht. Die Pharmafirma InMed hat Ende 2019 die zweite und letzte Testphase ihrer Creme eingeleitet, die bei Psoriasis Abhilfe schaffen soll.
Neurodegenerative Zustände
Ineiner Studie an Ratten konnte festgestellt werden, dass CBN vor freien Radikalen schützt, und somit neuroprotektiv ist. Es schützte Ratten mit Parkinson ähnlichen Erkrankungen, und trug zum Erhalt ihrer kognitiven und emotionalen Fähigkeiten bei. Auch eine krampflösende Wirkung konnte aufgezeigt werden, diese war jedoch geringer als die von THC oder CBD.
Sedierend
Bereits im Jahr 1970 verglich man in einer Laborstudie die sedierende Wirkung der Kombination CBN + CBD mit den Monopräparaten CBD und CBN. Das Kombipräparat verursachte eine stärkere Müdigkeit und Schwindel, während CBN isoliert keine schlafanstoßende Wirkung aufzeigte.
Eine Studie der Steephill labs hingegen, zeigte eine beeindruckende anxiolytische und sedierende Wirkung. In ihrer Studie wirkten 5mg CBN wie 10mg Diazepam, welches ein Benzodiazepin ist. Die Gruppe der Benzodiazepine ist durch eine stark schlaffördernde und angstlösende Wirkung gekennzeichnet, macht jedoch durch die Bank weg furchtbar abhängig. CBN ist dagegen nebenwirkungsfrei, doch es müssen Studien her. Ohne Evidenz keine Zulassung für Medikamente.
Arthritis
Laborversuche an Mäusen haben gezeigt, dass CBN ebenso gut gegen Entzündungen in Gelenken helfen kann, wie NSAR (Nichtsteroidale Antirheumatika). Das sind zum Beispiel Ibuprofen und Diclofenac, aber auch selektive Cox Hemmer, welche ein schauderhaftes Nebenwirkungsspektrum haben. Somit könnte vielleicht bald eine weitere Salbe mit CBN auf den Markt kommen.
THC Ersatz?
CBN ist ca 8-10 Mal weniger psychoaktiv als THC. Da CBN einen guten Teil des Wirkspektrums abdeckt, den auch THC bedient, ist dies eine relevante Information. Für viele Patienten ist der Rausch, der den meisten anderen Menschen so viel Spaß macht, eine Nebenwirkung. Die Problematik liegt auf der Hand; wenn man Auto fahren und Maschinen bedienen muss, ist eine dämpfende Wirkung im Zentralnervensystem oft nicht erwünscht. Hier kommt CBN ins Spiel. Durch seine fehlende Rauschwirkung, also auch Verwirrung, Müdigkeit etc, kommt es für viele Patienten infrage.
Das Gesetz
Im Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von den Vereinten Nationen von 1961 ist CBN nicht erwähnt. Auch in der Konvention über psychotrope Substanzen von 1971 ist CBN nicht erwähnt, und somit in Deutschland legal. Eine meiner Quellen erklärte, in Kanada gäbe es Beschränkungen der Verkehrsfähigkeit, was natürlich Blödsinn ist. Legal CBN herzustellen oder zu gewinnen ist in Deutschland allerdings leider nicht möglich, da es ja aus THC, welches nicht legal ist, gewonnen werden muss. In der Pflanze kommt CBN, wie erwähnt, kaum vor.
Fazit
CBN ist ein Cannabinoid, das in den nächsten Jahren sicher noch viel für Aufregung sorgen wird. Abhängig davon, wie sich die Legalisierung entwickelt, hat es großes Potenzial, nicht nur für Patienten, sondern auch für die Wirtschaft.