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Mexiko, der zweitgrößte Cannabisproduzent der Welt, der nur noch von Marokko in den Schatten gestellt wird, gilt als Kartell-Land, Korruptionsstaat und Mafiahochburg. Die Kartelle unter dem damaligen Drogen-Boss „El Chapo“, der durch seinen filmreifen Gefängnisausbruch weltweite Bekanntschaft erlangte, erwirtschaften jährlich über 39 Milliarden Dollar. Laut Experten wird zumindest ein Drittel der Summe mit Cannabis eingenommen.
Die mexikanische Regierung erwog deshalb einen diplomatischen und vor allem historischen Schritt: Am 8. November 2015 wurde vom „Corte Suprema“, dem Obersten Gerichtshof, das landesweite Verbot von Cannabis aufgehoben. Mit einer Mehrheit von 4:1 Stimmen erlaubte der Senat fortan den Anbau, die Ernte und den persönlichen Gebrauch. Doch im ganzen Land wurden nur zehn Lizenzen für den Anbau ausgestellt und die Regierung sah die Entscheidung des OBGH mit Zwiespalt.
Ganz Mexiko jubelte über die Entscheidung der „Corte Suprema“. Richterin Olga Sanchez Cordero glaubt, mit dieser Entscheidung den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Ein totales Verbot würde laut ihr gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen. Die „Mexikanische Gesellschaft für den verantwortungsvollen und toleranten Konsum von Cannabis zum Eigenbedarf“ (SMART), eine Gruppe von Anwälten und Unternehmen, die das neue Gesetz durch eine Verfassungsbeschwerde seit 2013 angestrebt hatte, gibt der Richterin vollkommen recht.
Die Regierung missbilligte die Entscheidung trotzdem, immerhin wäre der Besitz von bis zu fünf Gramm Rauchware schon seit 2009 legal. Doch alles, was im Zusammenhang mit Konsum stand, war strafbar. Nach Uruguay ist Mexiko somit der zweite lateinamerikanische Staat, indem eine Legalisierung politisch verabschiedet wurde. Mit einem großen Unterschied: Uruguay strebte zu diesem Zeitpunkt einen vom Staat kontrollierten Handel an. Die Kommerzialisierung von Cannabisprodukten blieb in Mexiko jedoch weiterhin verboten. Dies hängt laut Experten mit der Infiltration der Regierung durch die Kartelle zusammen, denn Mexiko befindet sich seit Jahren in einem blutigen Drogenkrieg, der schon Hunderttausende auf dem Gewissen hat. Die Entscheidung stellt für viele trotzdem einen Silberstreifen am Horizont dar, denn sie gilt als Signal, dass der Kampf gegen den Drogenhandel nicht nur durch Repressionen gewonnen werden kann.
SMART-Rechtsanwalt Francisco Torres Landa sieht darin den ersten Schritt, die Cannabis-Prohibition endgültig zu verabschieden. Laut ihm ist dies der einzige Weg, die Kartelle zu schwächen und ihnen ihre finanzielle Existenz zu rauben. Mexiko würde von einer staatlichen Entkriminalisierung der Drogenpolitik profitieren. Vor allem die Justiz, denn zwei Drittel der Verurteilungen aufgrund von Rauschgift, haben mit Cannabis zu tun. Das Gesetz würde somit den ganzen Justizapparat entlasten und dieser könnte sich gestärkt auf weitaus gravierende Delikte „stürzen“. Staatspräsident Nieto verkündete über den Nachrichtendienst „Twitter“, dass er die Entscheidung zwar toleriere, doch nicht gutheißen könne. Ebenso Gesundheitsministerin Mercedes Lopez. Diese versicherte der mexikanischen Bevölkerung, dass dieses Urteil definitiv keine kommerzielle Legalisierung von Cannabis herbeiführen wird. Laut dem Anwalt Torres brauch es noch vier gleich gelagerte Entscheidungen, um eine von allen Gerichten akzeptierte Präjudiz zu erreichen. Seiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit.
Wie sich im Juni 2017 herausstellte, hatte Torres recht. Der Staatspräsident Nieto veröffentlichte einen Gesetzesentwurf, zur Legalisierung von medizinischem Cannabis. Der Anbau zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken war somit nicht mehr strafbar. Doch die Legalisierung von Freizeitkonsum wird von der Regierung immer wieder aufgeschoben, obwohl die UNO, die USA und große Teile der Bevölkerung Druck auf die Politiker ausüben. Laut ihnen liegt in der totalen Legalisierung die einzige Möglichkeit, dem Drogenkrieg die Stirn zu bieten. Die Regierung will dies nun durch rechtliche Regelungen verwirklichen.
Im Oktober 2018, wurde das Verbot von Cannabis, medizinisch oder als Freizeitdroge, schließlich als verfassungswidrig anerkannt. Die obersten Richter gewährten der Regierung eine einjährige Frist, um Regelungen zur Legalisierung auszuarbeiten und zu bestimmen. Am 23. Oktober 2019 lief die Abgabe ab. In den Wochen davor feilte die Regierung an einer bestmöglichen Gesetzesänderung und 13 verschiedene Vorschläge wurden dem Senat vorgelegt. Schlussendlich wurde ein finaler Gesetzesentwurf zusammengefasst und die Legalisierung stand kurz bevor. Die vom OBGH vorgegebene Frist wurde somit eingehalten, doch die Regierung bat um Zeitaufschub bis zum 17. April 2020. Die Umsetzung der neuen Regelungen würden mehr Zeit beanspruchen als gedacht. Laut Regierung ändert diese Aufschiebung des Erlasses die Regelungen aber in keiner Weise. Zeitnah wird der staatlich kontrollierte Handel und der Freizeitkonsum in ganz Mexiko legalisiert werden.
Als der 17. April 2020 immer näher kam, wurde es Ernst für die mexikanische Regierung. Das Gesetz wurde bis dahin noch mal geprüft und alle Regelungen, wie Mindest-Konsumalter, Lizenzvergabe, Erbauung von staatlichen Cannabisinstituten und Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit dem Rauschgift, wurden vom Senat bewilligt. Doch auch in diesem Fall machte die Corona-Pandemie, dem für Mexiko historischen Schritt, einen Strich durch die Rechnung. Senatorin Monica Fernandez Balboa sprach sich für eine erneute Verschiebung des Erlasses aus, da Mexiko durch die Pandemie vor einer ökonomischen und gesundheitlichen Krise steht. Laut Regierung stellt die Bewältigung der Corona-Krise ein weitaus wichtigeres Ziel dar, als die Legalisierung von Cannabis. Deshalb wurde die Frist vom OBGH erneut auf den 15. Dezember 2020 verschoben.
Befürworter der Bevölkerung, Anwälte und auch internationale Interessenten blicken nun voller Hoffnung auf den Dezember, doch viele Aktivisten und Prohibitionsgegner glauben inzwischen nicht mehr an die versprochene Legalisierung. Dafür wurde der Gesetzeserlass schon zu oft verschoben. Die großen Gewinner der schleifenden Diplomatie stellen die Kartelle dar. Diese erwirtschaften trotz neuer Gesetzesentwürfe Milliardensummen und erfreuen sich an der politischen Unentschlossenheit.