Wer sich im Jahr 2022 auf Messen und Veranstaltungen rund um das Thema Cannabis bewegt hat, spürte vielleicht, dass es anders war als in den Jahren zuvor. Einerseits haben viele natürlich Großveranstaltungen, für viele Monate bedingt durch Pandemie-Beschränkungen vermissen müssen, andererseits hat die etwas andere, leicht euphorische Atmosphäre sicher auch mit der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel zu tun, auf die wir seit der Ankündigung im Koalitionsvertrag warten. Gerade auf B2B Events, wo sich international agierende Unternehmen treffen, konnte man schon den leichten Anflug der Goldgräberstimmung spüren. Zahllose Augen aus aller Welt schielen auf Deutschlands Markt für Cannabis als Genussmittel.
Ein kleines Land mit einem riesigen Markt
Mit der Legalisierung von Cannabis für den Freizeitkonsum wäre Deutschland auf einen Schlag der größte nationale Markt. In diesen Tagen zieht dieses eigentlich eher kleine Land auf einmal große Konzerne aus Kanada, den USA, Israel und vielen anderen Ländern an. Sollten die Legalisierungsbemühungen der aktuellen Regierung erfolgreich sein, wird bei uns ein enormes Umsatzpotenzial frei. Viele internationale Unternehmen wollen sich also schon jetzt in Stellung bringen, um sofort Fuß zu fassen, wenn das Gesetz erst verabschiedet ist.
Dass Gesundheitsminister Lauterbach bekannt gab, dass man beabsichtigt, den nationalen Bedarf an Cannabis allein aus deutscher Herstellung zu decken, ist für internationale Akteure höchstwahrscheinlich wenig erfreulich. Zwar macht dies eine Teilnahme an der deutschen Cannabiswirtschaft nicht unmöglich, da man inländische Tochtergesellschaften gründen oder andere aufkaufen kann, doch mit einer Import-Regelung hätten sich wohl viele Unternehmungen leichter getan.
Legalisierung noch nicht in trockenen Tüchern
Über die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach veröffentlichten Eckpunkte der Legalisierung wird noch wild diskutiert und gespannt warten Industrie und Community auf Reaktionen der Europäischen Kommission, die gewissermaßen das mögliche „Go!“ für die Reform sein werden. Dass es auch anders kommen kann, dass es schiefgehen kann und dass auch eine deutliche Ablehnung aus Brüssel denkbar wäre, darüber spricht man selbstverständlich weniger gern. Manchmal keimt die Frage auf, ob viele Unternehmen aus dem Ausland sich der Tatsache gar nicht so wirklich bewusst sind, dass einerseits die EU und andererseits der Deutsche Bundesrat für die Legalisierung noch zum Stolperstein werden können.
Innerhalb von Deutschland sind sich viele der Tatsache bereits bewusst, dass der Legalisierung nach einer mehr als wahrscheinlichen Verabschiedung durch den Bundestag auch in der zweiten Kammer, dem Bundesrat, zugestimmt werden muss. Aktuell hat die Regierungskoalition im Bundesrat keine Mehrheit, also könnte das Gesetz dort blockiert werden. Aber das ist nicht die einzige Hürde, denn auch an der EU kann die Legalisierung theoretisch noch scheitern.
Was, wenn die Europäische Kommission nein sagt?
In der Bundespressekonferenz, als Gesundheitsminister Lauterbach das Eckpunktepapier (was ganz nebenbei ein guter Anwärter für das Unwort des Jahres ist) vorgestellt hat, kündigte er die Vorabprüfung durch die Europäische Kommission an. Drei mögliche Ergebnisse seien hier zu erwarten:
- Brüssel stimmt zu und die Bundesregierung wird auf Basis des Eckpunktepapiers den Gesetzentwurf fertigstellen, über den dann debattiert, beraten und abgestimmt wird.
- Die Kommission kritisiert einzelne Punkte, billigt aber das grundsätzliche Vorhaben und die Absicht dahinter. Die Bundesregierung wird die Eckpunkte in Abstimmung mit der EU überarbeiten und daraus dann den Gesetzentwurf entwickeln.
- Die EU lehnt die Reform prinzipiell oder auch einfach alle vorgeschlagenen Rahmenbedingungen ab. Laut Lauterbach wird es dann keine Legalisierung auf Grundlage der vorgelegten Eckpunkte geben.
Auf der Pressekonferenz wurde der Bundesgesundheitsminister nach einem Plan B gefragt. Eine konkrete oder halbwegs zufriedenstellende Antwort blieb Lauterbach aber schuldig. Er zeigt sich sehr zuversichtlich hinsichtlich der Reaktionen aus Brüssel und rechnet vielleicht nicht mit einer starken Ablehnung durch die Kommission. Viele Cannabiskonsumenten, Hanffreunde und Legalisierungsbefürworter in Deutschland zweifeln auf jeden Fall noch am Gelingen der Reform.
Da scheint es so, als ob die internationale Cannabisbranche mehr an die Legalisierung in Deutschland glaubt als die Menschen im Land. Hätte Lauterbach auch nur im Ansatz durchblicken lassen, dass es bei einer Ablehnung durch die Europäische Kommission andere Wege für eine Liberalisierung von Cannabis gibt, die die Bundesregierung erwägt, wäre das ein positives Signal gewesen für die Konsumenten im Land, aber auch für die Cannabisindustrie.