In den vergangenen Jahren hat sich unser Verhältnis zu den Produkten, die wir kaufen und in unserem Alltag nutzen, stark gewandelt. Das gilt ganz besonders für Lebensmittel und alle Dinge, die unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit beeinflussen. Während noch vor einigen Jahren ein Kriterium wie der Preis einer Ware für die meisten das entscheidende Kaufargument war, hat das Bewusstsein für Ganzheit, Nachhaltigkeit und Verträglichkeit für Mensch, Tier und Umwelt die Perspektive der Verbraucher:innen verändert. Man setzt sich auseinander mit der Herkunft eines Produkts, genauso mit den Bedingungen, unter welchen es hergestellt wird. Das Interesse für Details der Entwicklung und Produktion ist gestiegen.
Patient:innen, die medizinisches Cannabis verwenden, haben häufig auch eine positive persönliche Verbindung zu ihrer Medizin, die sie von Beschwerden befreit und ihnen nicht selten eine größere Lebensqualität beschert. Daher ist das Interesse an der Herkunft und dem Hintergrund einer Medizinalcannabisarznei in der Regel wahrscheinlich besonders groß.
Wer wählt die Sorten aus und unter Berücksichtigung welcher Kriterien wird die Entscheidung für die Herstellung einer Sorte getroffen? Welche Bedingungen müssen für den Anbau von Medizinalcannabis in Deutschland erfüllt werden?
Die Erfahrung und die Expertise, die wir benötigen, um unser Interesse und die Neugier an Details der Entstehung neuer Medizinalcannabissorten zu stillen, haben wir in Berlin gefunden. Wir konnten unsere Fragen an Thimo V. Schmitt-Lord von der Vayamed GmbH, richten. Die Vayamed GmbH gehört zur Sanity Group, einer Unternehmensgruppe, die sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Hanf-Erzeugnissen konzentriert. Dazu gehört auch Medizinalcannabis, welches von der Firma Vayamed unter dem Mariennamen AVAAY vertrieben wird. Thimo V. Schmitt-Lord ist bei Vayamed als Director New Markets & Innovation tätig.
Hanf Magazin: AVAAY Medical ist ein Teil der Sanity Group. Wie lässt sich die Marke ein wenig beschreiben und in die Unternehmensgruppe einordnen? Wie ist AVAAY gestaltet, ist die Marke aus der Sanity Group heraus gegründet worden oder wurde Vayamed als bestehendes Unternehmen in die Gruppe eingegliedert?
Thimo V. Schmitt-Lord: AVAAY Medical ist unsere Medizinische Cannabismarke für anspruchsvolle Blüten, die wir gezielt für Patient:innen entwickelt haben, die sich eine naturnahe Therapie mit spannenden Kultivaren und unbestrahlten Blüten wünschen. AVAAY ist Teil der Vayamed GmbH, der Medizinalcannabis-Tochter der Sanity Group.
Hanf Magazin: Im Gegensatz zu den meisten Menschen hast Du ja direkten Einblick in den Entwicklungsprozess von medizinischen Cannabisprodukten und die gesamte Wertschöpfungskette. Werfen wir einen Blick in die Entstehung ab Anfang. Anhand welcher Kriterien wird eine neue Sorte gewählt? Wer trifft die Entscheidung und wählt das Kultivar aus?
Thimo V. Schmitt-Lord: Wir denken unser Produktportfolio ganzheitlich und von der Zielgruppe her. Bei AVAAY Medical fließt daher primär der Indikationswunsch und die Erwartung der Patient:innen-Zielgruppe in die Sortenauswahl und Portfoliogestaltung ein. Am Ende ist es eine Teamentscheidung unter Beachtung von Indikationszielen, unserer Markt- und Trendabschätzung sowie die Charakteristik, die wir im Portfolio abbilden wollen. Hierzu haben wir einen Cannabis-Sommelier im Team, der uns bei der Entscheidung unterstützt und z. B. den Charakter der Sorten oder des Phänotyps anhand des Terpenprofils einordnet und damit die gewünschte Ausrichtung begleitet.
Hanf Magazin: Ist man in der Auswahl der Sorte beschränkt, oder kann man jeden Strain weltweit wählen? Kann man aus jeder beliebigen Cannabispflanze ein Medikament herstellen?
Thimo V. Schmitt-Lord: Medizinalcannabis ist ein komplexes Produkt, das man nicht beliebig von der Stange kaufen kann. Grundsätzlich eignen sich – rein von ihrer genetischen Abilität her – sicher erst mal sehr viele Cannabispflanzen zur Entwicklung eines Arzneimittels. Aber nicht alle sind gleichermaßen geeignet für die Herausforderungen des kontinuierlichen Anbaus und des Inverkehrbringens als Arzneimittel unter den engen regulatorischen Vorgaben.
Hanf Magazin: Viele Patient:innen haben sich wahrscheinlich bisher nicht intensiv mit der Entstehung ihres Cannabismedikaments beschäftigt. Wie steht es um die Anbaubedingungen für eine dem medizinischen Gebrauch angemessene Qualität? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt, welche Bedingungen garantiert werden?
Thimo V. Schmitt-Lord: Hier muss man zwischen Anbau und Verarbeitung unterscheiden, und zudem festlegen, was man unter „angemessener Qualität“ im Rahmen der eigenen Qualitätspolitik versteht. Rein technisch gesehen, müssen Medizinalcannabis-Produkte in Deutschland der Arzneibuchmonografie entsprechen, also festgelegte Spezifikationen in Hinblick auf Reinheit und Beschaffenheit erfüllen. Der Anbau muss dazu unter sogenannten Good Agricultural And Collection Practices (GACP) erfolgen – hier werden die grundsätzlichen Bedingungen für Anbau, Ernte und Verarbeiten von Heilpflanzen und pflanzlichen Stoffen zur Herstellung von Arzneimittel geregelt. Die weitere Verarbeitung als Arzneimittel für den europäischen Markt muss dann unter Good Manufacturing Practices (GMP) erfolgen – also den Mindestanforderungen an die Produktionsprozesse eines Arzneimittelherstellers entsprechen. Neben diesen „technischen Voraussetzungen“ sind für unsere Marke AVAAY weitere Kriterien sehr wichtig, die regulatorisch nicht nötig sind, aber für die Charakteristik des Produkts entscheidend: Wir achten unter anderem auf einen ausgeprägten Terpengesamtgehalt von idealerweise mindestens 2 % und einen schönen sauberen Schnitt, den Trimm, bestenfalls von Hand. Ebenso ist uns ein ausgeprägtes Curing – also das Fermentieren der Blüte nach dem Trimm – sehr wichtig, da erst dadurch Charakteristik und Note der Blüte zur Ausprägung kommen.
Hanf Magazin: Nun gehen wir einmal davon aus, es ist gerade eine neue Cannabissorte ausgesucht worden, die man in die Apotheken bringen möchte. Wie geht es dann weiter? Wie wählt man jetzt die Partner aus, mit denen man zusammenarbeiten möchte?
Thimo V. Schmitt-Lord: Für den Aufbau einer neuen Cannabissorte machen wir uns in unserem großen Netzwerk an Supply-Kandidat:innen auf die Suche nach Anbaubetrieben, die einen solchen „Strain“ für uns neu aufbauen können, oder bereits etwas Passendes in der Produktion haben. Aktuell stehen wir dazu mit über 160 potenziellen Partnerunternehmen im Austausch. Wenn wir fündig geworden sind, und uns auf die Terms und Konditionen einigen konnten, starten wir den Registrierungsprozess und alle erforderlichen Schritte, um das Produkt für unser Portfolio aufzubauen und in den Markt zu bringen.
Hanf Magazin: AVAAY zeigt hinsichtlich des Qualitätsanspruchs noch Bemühungen, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Worauf achtet Ihr besonders? Welche Kriterien muss Euer Produkt erfüllen?
Thimo V. Schmitt-Lord: Über die gesetzlichen Anforderungen hinaus ist uns bei AVAAY ein gutes Bag Appeal – also die ansprechende Gesamterscheinung und authentische Charakteristik bezüglich z. B. Farbe, Geruch, Druckgefühl, Größe und Trimm – sehr wichtig. Ebenso eine ausgeprägte Terpen-Reichhaltigkeit, üblicherweise sollte der totale Terpengehalt über 2 % liegen. Außerdem achten wir darauf, dass die Mikrobiologie unter einem bestimmten Wert bleibt, sodass unsere Blüten für alle Patient:innengruppen zur Inhalation geeignet sind.
Hanf Magazin: Neben der Produktqualität gehört die Nachhaltigkeit zu einem sehr bedeutenden Aspekt, auf den immer mehr Verbraucher:innen großen Wert legen. Auch für die Sanity Group, und somit für AVAAY als Teil davon, ist die Verantwortung für Mensch und Umwelt eine der wichtigsten Leitlinien. Wie wird man dieser Verantwortung gerecht?
Thimo V. Schmitt-Lord: Nachhaltigkeit in der Cannabis-Industrie ist nach unserer Erfahrung – wie in vielen anderen Industrien auch – leider oft nur heiße Luft. Wir achten sehr darauf, dass vor Ort klare und wirkungsvolle Konzepte für einen nachhaltigen Anbau bestehen. Einer der Anbaubetriebe in Afrika, mit dem wir in Kontakt stehen, hat unter anderem einen Staudamm zur Stromversorgung für die Anbauanlage und umliegende Dörfer errichtet. Für uns sind darüber hinaus faire Arbeitsbedingungen und gute Nachbarschaft am Anbauort sehr wichtig; das fassen wir unter dem Begriff Fairstainability zusammen. Dazu gehören auch sichere Arbeitsplätze im Zusammenhang mit überdurchschnittlich guten Löhnen und faire Arbeitsplatzbedingungen, die in vielen Sourcing-Ländern bedauerlicherweise nicht Standard sind, sodass die Cannabis-Industrie hier positive Impulse für Prosperität und bessere Lebensverhältnisse sendet.
Hanf Magazin: Wie funktionieren das Qualitätsmanagement und auch die mögliche Weiterentwicklung des Produkts und des Sortiments? Ist es denkbar, dass eine Sorte später wieder vom Markt genommen wird, weil sie in der Praxis nicht die gewünschten Ergebnisse liefert, oder weil sie durch eine bessere Sorte abgelöst wird, die den gleichen Einsatzbereich abdecken kann? Arbeitet man da auch mit Patient:innen-Feedback?
Thimo V. Schmitt-Lord: Die Weiterentwicklung unseres Produktportfolios ist uns ein großes Anliegen. Wir sind sehr bemüht, hier im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch Patient:innen-Feedback einzubinden. Dazu beobachten wir das Feedback von Patient:innen über online Medien, sprechen viel mit Selbsthilfegruppen und Ärzt:innen, und werten systematisch die Studienlage weltweit aus. Zudem beobachten wir sehr genau, was im Markt an Produkten trendig ist, neu kommt oder herausgeht, und sprechen mit führenden Breedern über Trends und Portfolio-Innovationen.
Hanf Magazin: Welche weiteren Vorbereitungen sind zu treffen bzw. welche Vorarbeit zu leisten, bis das Produkt über die Apotheken, die Patient:innen erreicht?
Thimo V. Schmitt-Lord: Nach der Marktfreigabe durch unsere qualifizierte Person und Auslieferung an die Apotheke liegen die weiteren Verarbeitungsschritte in der Apotheke und in der Verantwortung der Apotheker:innen. Von dort erreicht unser Produkt dann die Patient:innen.