Kürzlich konnten wir in einigen Medienberichten lesen, dass der gemeinnützige Verein LEAP einen offenen Brief an die Abgeordneten des deutschen Bundestages verfasst haben, der unter anderem die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten fordert. LEAP ist ein Verbund aus denjenigen Menschen, die die Drogengesetze in die Praxis tragen und Verbote durchsetzen müssen, Richter, Anwälte und Polizisten.
Mit einem klaren Statement gegen die Prohibition, mit der sie täglich in ihren Professionen umgehen müssen, verlangen sie nach Evalierung des Drogenstrafrechts, nach Verhältnismäßigkeit im Strafrecht und dem Ende einer gescheiterten und für Mensch und Gesellschaft schädlichen Cannabisprohibition.
Wir hatten die Möglichkeit, jedem der fünf Vorstände von LEAP, dem ehemaligen Polizeipräsident von Münster Hubert Wimber, dem Rechtsanwalt Dr. Patrick Riebe, der Schatzmeisterin Grit Sperschneider, dem ehemaligen Abgeordneten der Linken im Bundestag und Kriminaloberkommissar Frank Tempel, und dem bekannten deutschen Jugendrichter Andreas Müller, die eine oder andere Frage zu stellen. So möchten wir Euch einen Überblick über die Bemühungen der Organisation geben, Euch die Personen im Hintergrund etwas näher bringen, und vor allem das aktuelle Anliegen unterstützen.
Hanf Magazin: Wie ist die Idee entstanden, einen Verein zu gründen, der insbesondere aus Personen besteht, die sich mit der Cannabisprohibition beruflich auseinandersetzen, und diese sogar durchsetzen müssen?
Hubert Wimber: Wir haben uns in der Gründungsphase stark am Vorbild von LEAP US orientiert. Der Anstoß, auch in Deutschland eine Sektion von LEAP zu gründen, ging u. a. von Annie Machon aus, einer ehemaligen Mitarbeiterin des britischen Nachrichtendienstes Security Service (MI5), die sich dann als Whistleblowerin zu illegalen Praktiken des MI5 betätigte. Annie Machon hatte zu der Zeit die Funktion einer Koordinatorin für die Gründung von LEAP Sektionen in Europa. Wir waren überzeugt, dass es sinnvoll ist, dass sich neben anderen Akteuren in der Drogenpolitik auch Mitarbeiter*innen aus Strafverfolgungsbehörden für eine Abkehr von der Prohibition einsetzen, weil sie in vorderster Front bei der sogenannten Bekämpfung von Drogenkriminalität stehen und einen professionellen Einblick in die kriminellen Marktstrukturen haben.
Hanf Magazin: Glauben Sie, dass eine solche Initiative dieses Personenkreises noch mal ein besonderes Gewicht auf die Forderung nach Legalisierung von Cannabis legen kann? Eine Art Nachdruck durch die Tatsache, dass es von Menschen kommt, die sich von Berufs wegen auskennen?
Hubert Wimber: Das glaube ich schon. Wir machen die Erfahrung, dass unser Engagement etwa bei den Medien eine besondere Aufmerksamkeit hervorruft. Außerdem begegnet man uns in den sozialen Medien sehr respektvoll und würdigt unsere professionelle Kompetenz. In der relativ kurzen Zeit unseres Bestehens haben wir es geschafft, dass wir regelmäßig zu Sachverstandgenanhörungen bei drogenpolitischen Gesetzgebungsvorhaben oder Anträgen in den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages eingeladen werden. Insofern ist unser Alleinstellungsmerkmal, dass wir in erster Linie Mitarbeiter*innen aus Strafverfolgungsbehörden organisieren, schon von Gewicht.
Hanf Magazin: Worin sehen Sie für die nächste Zeit die wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen für LEAP?
Dr. Patrick Riebe: Die wichtigste Aufgabe von LEAP besteht aus meiner Sicht darin, dass in der Drogenpolitik endlich der gesunde Menschenverstand einkehrt. Irrational und ausschließlich „nach Bauchgefühl“ handelnde Politiker möchten wir mit Fakten davon überzeugen, dass die Prohibition gescheitert ist. Das ist unglaublich schwierig. Im Englischen gibt es den schönen Satz: Don’t confuse me with the facts, my mind is made up. Vor allem konservative Politiker glauben, wenn etwas verboten ist, findet es auch nicht statt. Und das ist falsch. Gerade weil der Konsum jeglicher Betäubungsmittel gesundheitsschädlich ist und gerade weil Jugendliche vor deren schädlichen Auswirkungen bewahrt werden müssen, ist es so wichtig, nüchtern und pragmatisch vorzugehen. Dafür stehen wir. Als Praktiker, die im Gegensatz zu den meisten Politikern wissen, wovon sie reden. Als Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Anwälte sehen wir nämlich regelmäßig, welche verheerenden und kontraproduktiven Folgen die Kriminalisierung hat.
Hanf Magazin: Vielleicht können Sie als Anwalt etwas Licht ins Dunkel über die juristische Praxis der Behörden bringen. Inwieweit kann ein Staatsanwalt heute eigenständig darüber entscheiden, ein Verfahren wegen eines Cannabis-Konsumdelikts zu betreiben oder einzustellen? Wie groß ist da der Ermessensspielraum?
Dr. Patrick Riebe: Der Konsum von Cannabis ist – genauso wie der Konsum jeglicher Betäubungsmittel – nicht strafbar. Regelmäßig liegt aber Besitz vor, und der ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren. Eine Staatsanwältin kann aber ein Strafverfahren, das den Besitz von Cannabis zum Gegenstand hat, gemäß § 31a BtMG unter gewissen Voraussetzungen einstellen. Hierfür gibt es Richtlinien, die bundesweit aber nicht einheitlich sind. In Berlin gibt es das sog. Untergrenzenmodell, bei dem bis zu der unteren Grenze von 10 g eingestellt werden muss, während bis zu der oberen Grenze von 15 g eingestellt werden kann. Hessen, Niedersachsen und das Saarland haben in ihren neuen Richtlinien das dort zuvor geltende Untergrenzenmodell abgeschafft und nur noch eine Obergrenze festgelegt, bis zu der eine Einstellung erfolgen kann, die 6 g beträgt, in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ist ebenfalls eine Einstellung möglich bis 6 g. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen sind 10 g die Obergrenze, bis zu der eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erfolgen kann. Darauf hat man aber keinen Anspruch. Letztlich kann es die jeweils zuständige Staatsanwältin frei entscheiden, ob sie unter anderem eine vorherige Verurteilung wegen Schwarzfahrens oder Ladendiebstahls zum Anlass nimmt, von einer Einstellung abzusehen und die Sache anzuklagen. Letztlich ist man der Willkür der Strafverfolgungsbehörden ausgeliefert.
Hanf Magazin: Sie sind Schatzmeisterin von LEAP und wissen als solche, wie groß der finanzielle Aufwand ist, den Ihre Initiative betreiben muss. Welche Vorhaben benötigen als Nächstes die finanzielle Unterstützung von Aktivisten oder Sponsoren?
Grit Sperschneider: Nachdem LEAP Deutschland den Status eines gemeinnützigen Vereins erlangt hat, gilt es jetzt, durch regelmäßige Aktionen immer wieder auf uns aufmerksam zu machen, um so Mitglieder und Sponsoren zu werben und so auch in Deutschland ein starker, ernst zu nehmender Verein zu werden.
Hanf Magazin: International hat LEAP bereits 150.000 Unterstützer. Wie viele Mitglieder hat LEAP in Deutschland bisher?
Grit Sperschneider: Derzeit hat LEAP Deutschland 65 Mitglieder.
Hanf Magazin: Ganz aktuell ist ein offener Brief an die Mitglieder des Bundestages versendet worden, der klare Forderungen nach Beendigung der Strafverfolgung stellt. Wie schätzen sie als politischer Insider die Wirkung ein? Kommt so etwas an? Erreicht man die Abgeordneten damit?
Frank Tempel: Der Brief ist klar nach juristischen Aspekten verfasst – schließlich kommt er auch von Gesetzeshütern verschiedener Professionen. Und er greift Argumente auf, die bei den Parlamentariern des Bundestages mehrheitlich unstrittig sein dürften. Selbst ein Jens Spahn hat mehrfach seine Position zum Ausdruck gebracht, Konsumenten würden in Deutschland nicht kriminalisiert, eine Position, bei der ihm genau diese Konsumenten widersprechen. Der Brief zeigt eine Lösung, diesen Widerspruch aufzulösen. Wir haben bewusst auf Maximalforderungen wie ein Cannabiskontrollgesetz verzichtet, auf die Forderung nach einer grundlegenden Legalisierung verzichtet, um das vorzeitige Zuschlagen von Türen zu verhindern. Der Brief sollte so zumindest für eine gewisse Aufmerksamkeit sorgen – und zumindest, die die Türen für Verhandlungen ein wenig weiter öffnen. Vielleicht, das hoffen wir, gibt es intern auch Diskussionen, ob eine solche über fraktionelle Lösung tatsächlich umsetzbar – und gegenüber dem jeweils eigenen Wählerklientel verantwortbar ist.
Hanf Magazin: Sie kennen sich ja etwas mit den Abläufen im Bundestag aus. Warum hört man so lange nichts mehr von den Anträgen der Opposition oder der Petition des DHV?
Frank Tempel: Die Oppositionsfraktionen haben ebenso wie die Regierungsfraktionen das Recht, Themen fürs Plenum entsprechend der Antragslage aufsetzen zu lassen. Großen Druck macht da die Opposition gerade nicht, sie haben andere Prioritäten – was heißen dürfte, dass folgende Anträge und Schritte momentan nicht in Planung sind. Zudem dürfte da gerade kein Glaube vorherrschen, die eigenen Anträge durchzubekommen. Es ist kein Fortschritt, dass die Opposition in dieser Legislatur wieder getrennte Anträge stellt. Das ist gut für Beifall, aber nicht für Ergebnisse. Gegenwärtig fehlt in diesem Parlament der Glaube bei den Akteuren, etwas in der Drogenpolitik grundlegend verändern zu können. Diesen Glauben will LEAP mit seiner Initiative ein wenig zurück ins Parlament bringen. Dem Brief werden deswegen schnell Gesprächsangebote und interne Verhandlungen folgen.
Hanf Magazin: Sie sind außer bei LEAP auch beim DHV immer mal wieder mit viel Engagement zu sehen. Sind Aktionen wie die DHV Justizkampagne, die sich auch auf die Juristen des Lands bezieht, und der offene Brief von LEAP an die Bundestagsabgeordneten zeitlich oder anderweitig koordiniert?
Andreas Müller: Nein, es gibt noch keine Koordinierung in tatsächlicher Hinsicht. Aber natürlich arbeiten beide Organisationen zusammen. Mitglieder bei LEAP sind natürlich auch Unterstützer des Hanfverbandes. Und wenn es gelingt, dass viele Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte bei LEAP eintreten und ihre Legalisierungsgedanken in ihre Arbeit einbringen, wird dies sicher zu einer Unterstützung der Justizkampagne führen. So könnte das Bundesverfassungsgericht von vielen Gerichten aufgefordert werden, die Verfassung der Cannabiskriminalisierung einer erneuten Prüfung zu unterziehen – was dringend notwendig ist.
Hanf Magazin:Welchen Erfolg erhoffen Sie sich von beiden Aktionen, und inwiefern halten Sie eine positive Veränderung in der Cannabispolitik in den nächsten Monaten und Jahren für realistisch?
Andreas Müller: Da der Cannabisprohibition die Verfassungswidrigkeit sinngemäß auf der Stirn steht, ist jede Initiative oder Aktion wichtig und wertvoll zur Veränderung des verfassungswidrigen Zustandes. Wir haben mittlerweile eine Mehrheit in der Bevölkerung für die Legalisierung. Durch die Einführung von Cannabis als Medizin wurde dem Mittel das Odium des schrecklichen Giftes genommen. Im Ausland wie in Kanada und US-Amerika wird legalisiert und auch in vielen Parteien in Deutschland wird die Legalisierung für wichtig und gerecht erachtet. Politiker, die immer noch von der Einstiegsdroge reden, werden zunehmend ausgelacht. Und das letzte Argument, nämlich der Jugendschutz, bröckelt auch immer mehr, da wir eben bei bestehender Rechtslage keinen vernünftigen Jugendschutz haben. Ja! Ich sehe Licht am Horizont. Es wird abhängig sein von den in Zukunft gebildeten Koalitionen im Bundestag. Aber auch vom Druck der Straße. Würden zu den anstehenden GMM und zur nächsten Hanfparade die Millionen der deutschen Kiffer kommen und ihre Rechte einfordern, dann würde es – so glaube ich – relativ schnell gehen.
Neben der Forderung zur Überarbeitung des deutschen Drogenstrafrechts fordert LEAP die Befürworter der Legalisierung dazu auf, über die Fraktionen hinweg zusammenzuarbeiten. Dies kann natürlich auch für Cannabisaktivisten gelten. Man kann natürlich sowohl LEAP als auch den deutschen Hanfverband DHV unterstützen. LEAP ist in Bezug auf ihre Mitglieder zwar grundsätzlich auf die Angehörigen der Berufsgruppen ausgerichtet, die mit der Drogenpolitik zu tun haben. Aber man kann die Organisation als förderndes Mitglied unterstützen, wenn man nicht diesen Professionen angehört.
Informationen dazu oder auch zum offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten sind auf leap-deutschland.de zu finden.