Für Freunde des Hanf war 2017 ein sehr bewegtes Jahr, und das international. In Ländern rund um den Globus wurden rechtliche Situationen geändert, Bestimmungen gelockert und Märkte wurden geschaffen. Und immer noch erreichen uns regelmäßig Nachrichten über geplante Gesetzesänderungen und eingereichte Anträge und Petitionen, mit dem Ziel Cannabis aus der kriminellen Ecke zu holen.
Wir erinnern uns an das Anfang 2017 in Deutschland beschlossene „Cannabis als Medizin“ Gesetz, also die medizinische Freigabe von Hanf, gefolgt von Versuchen zur Entkriminalisierung oder Einrichtung von Modellprojekten, oder an die Gesetzesverstöße in der Schweiz, die Etablierung von CBD in Österreich und die vielen Cannabisfreigabemeldungen aus Übersee. Ganz offensichtlich tut sich etwas und die öffentliche Wahrnehmung Hanf betreffend befindet sich im Wandel. Auch wenn für den geneigten Nutzer in unseren Breiten die Prozesse mit der uns gewohnten Trägheit der Bürokratie in Gang zu kommen scheinen, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass etwas in Bewegung gekommen ist.
Und sollte diese Bewegung so weiter voranschreiten, dann könnte Hanf eine weltweite Renaissance erleben. Wer in der jüngeren Zeit in verschiedenen Staaten der USA war, durfte erstaunt feststellen, mit welcher Geschwindigkeit Wirtschaft und Industrie auf die Veränderungen reagieren und sich Bestimmungen und Nachfrage anpassen können. Beinahe scheint es mancherorts, als ob Recreational Cannabis dort eine genauso lange Tradition hat wie in den Niederlanden, oder als ob Einrichtung und Etablierung der Shops in den Städten und die Produktion einer gewaltigen Produktpalette von langer Hand geplant werden konnten. Und so überkommt mich manchmal solch ein Gefühl, dass die CEOs der großen Cannabis Firmen der Welt rund um Mitteleuropa versammelt stehen und darauf warten endlich über diesen neuen Markt legal herfallen und ihn mit riesigen Wellen ihrer Produkte überschwemmen zu dürfen.
Gerade wieder ist in Deutschland das Thema heiß umkämpft und so schauen wir auf ein ereignisreiches Jahr 2017 zurück und wenden dann unseren neugierigen Blick auf das nächste Jahr und die vor uns liegende Legislaturperiode.
Mit drei sehr interessanten, weil in viele Geschehnisse involvierten Interviewpartnern wollen wir vergangenes evaluieren und vielleicht einen Umriss zeichnen der Gestalt, die „unsere“ Cannabis Entkriminalisierung haben könnte, oder zumindest das nächste Stück Weg dorthin beschreiben. Hierzu stelle ich meinen Interviewpartnern einige Fragen, die sie frei und nicht zwingend einzeln beantworten sollten, sodass wir möglichst vielfältige Meinung über die Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart einfangen können, aber vielleicht auch möglichst kreative Ideen und Ansätze, die der Entkriminalisierung von Cannabis auf die Sprünge helfen.
Hanf Magazin: Einige Details der „Cannabis als Medizin“ Bestimmungen sowie deren praktische Umsetzung stehen in der öffentlichen Kritik. Mangel an kooperationsbereiten und gut informierten Ärzten, teils willkürlich scheinende Krankenkassenentscheidungen und Versorgungsengpässe bei den Apotheken sind die Regel, so heißt es. Wie haben Sie den Prozess wahrgenommen, in welchem das Gesetz auf den Weg gebracht wurde? Wurden Fehler in der Planung und Vorbereitung gemacht oder wo sehen Sie die Probleme begründet, von welchen seit Inkrafttreten des Gesetzes berichtet wird?
Florian Rister: Der entscheidende Fehler bei der Planung des Gesetzes dürfte die mangelhafte Einbindung von Interessenvertretern und organisierten Gruppen wie SCM / ACM, Grüne Hilfe oder Deutschem Hanfverband seitens der Regierung gewesen sein. Das Gesetz erfüllt in seiner jetzigen Form vorwiegend seinen von der damaligen Regierung gewünschten Effekt als Eigenanbauverhinderungsgesetz, jedoch weniger den von Betroffenen gewünschten Effekt als Gesetz, das die Verwendung von Cannabismedizin jedem ermöglicht, der diese benötigt.
Niema Movassat: Die Bundesregierung hat sich massiv verkalkuliert, der Bedarf an Medizinalhanf ist weitaus größer als ursprünglich gedacht. Die Mengen, die im Ausschreibungsverfahren zum Cannabisanbau anvisiert worden sind, sind innerhalb der kurzen Zeit des Bestehens des Gesetzes erheblich überschritten worden, wie meine Kleine Anfrage jüngst ergeben hat. Die Zahlen weisen einen gigantischen Anstieg der Importmengen aus. Diese Versorgungsengpässe sind gefährlich für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten. Die Bundesregierung muss die ausgeschriebenen Mengen erhöhen und die teils überhöhten Anforderungen im Ausschreibungsverfahren korrigieren.
Hanf Magazin: Sind Nachbesserungen am Gesetz nötig oder können die Hürden und Hindernisse für Patienten mit anderen Maßnahmen abgebaut werden? Wenn ja, mit welchen?
Florian Rister: Nachbesserungen am Gesetzestext selbst sind aus unserer Sicht primär beim Eigenanbau nötig. Es spricht nichts dagegen, wenn Patienten, die in der Lage sind, selbst Cannabis anzubauen, dieses auch machen. Damit könnten sogar sehr kurzfristig die herrschenden Lieferengpässe gelöst werden.
Andere Probleme wie die mangelnde Bereitschaft von Ärzten, fehlende Fortbildungen und die chaotische bis willkürliche Behandlung durch die Krankenkassen ließen sich auch ohne gesetzliche Änderungen lösen.
Änderungen bei der Ausschreibung für die kommerzielle Produktion wären ebenfalls ohne Gesetzesänderung umsetzbar, wenn der politische Willen vorhanden wäre. Eine Ausschreibung, die nicht nur auf bereits vorhandene Erfahrungen im Cannabisanbau baut, wäre sinnvoll. Damit könnte nicht nur die Versorgungssicherheit für deutsche Patienten hergestellt werden, sondern dies könnte auch der deutschen Volkswirtschaft nutzen.
Niema Movassat: Das Gesetz muss dringend überarbeitet werden. Mehr als ein Drittel der Anträge auf Kostenerstattung wird durch die Krankenkassen abgelehnt. Ich bekomme sehr viele Zuschriften von Menschen, die sich über Willkür seitens der Kassen beschweren. Da die Prüfung der Rezepte in der Praxis zu großen Problemen führt, sollte der Regelfall sein, dass das Rezept gilt. Nur in absoluten, sehr gut begründeten Ausnahmefällen sollten die Kassen eine Übernahme der Kostenerstattung ablehnen dürfen.
Burkhard Blienert zu 1) und 2): Mit der Möglichkeit, die das Gesetz bietet, um medizinisches Cannabis zu verschreiben, haben wir in Deutschland Neuland betreten. Im Gesetzgebungsverfahren spiegelte sich dieses in der offenen und für den politischen Prozess eher ungewöhnlichen sehr ergebnisoffenen Debatte wider. Trotzdem war es aber kein Gesetz, welches „aus der Hüfte heraus“ schnell entworfen wurde, sondern insbesondere die inhaltlichen Fragen wurde viele Jahre vorher schon intensiv diskutiert. Diese Facetten spiegelten sich auch in der Anhörung und im eigentlichen Gesetzgebungsprozess wider. Noch zwischen 1. Lesung und 3. Lesung wurden daher erhebliche Änderungen vorgenommen, ganz nach dem ungeschriebenen Struck’schen Gesetz, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es hineingekommen ist.
Das Parlament hat dann das Gesetz in einer für drogenpolitische Themen sehr ungewohnten Einigkeit verabschiedet. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es kaum Anzeichen, dass das neue Gesetz erhebliche handwerkliche Verwerfungen mit sich bringen würde. Alle waren eher sehr positiv eingestellt. Das, was anschließend in der praktischen Umsetzung in Gang gesetzt wurde, welche ersten Erfahrungen gemacht wurden und wie das Problem- und Konfliktmanagement organisiert wurde, fand aus Sicht des Mandatsträgers erst einmal jenseits des Parlaments bei der Exekutive statt.
Ich habe den Eindruck, dass sehr schnell Kritik geäußert wurde, die stellenweise unbegründet einzig aus einem Grunde geäußert wurde: Es ging vielen nach dem jahrelangen Warten nicht schnell genug. Viele Patientinnen und Patienten hatten schon lange auf eine gesetzliche Regelung gewartet. Das paarte sich dann mit Regulierungs- und Anpassungsprozessen, wozu dieses Mal kaum Zeit blieb, und Akteure auch unvorbereitet waren. Außerdem wurde mir zurückgespiegelt, dass es auch aufgrund ideologischer Vorbehalte bei der Umsetzung mit angezogener Handbremse agiert wurde. Hinzu kommen noch weitere kleinere Gründe, die aber allesamt ein Bild haben entstehen lassen, welches das Positive des Gesetzes leider in den Hintergrund gestellt hat.
Aus meiner Sicht hätte das zuständige Ministerium und die zuständige Beauftragte schneller, nachhaltiger und konkreter reagieren müssen:
Neben der Frage der Versorgung insgesamt bereitet die Auslegung der Frage „Therapiefreiheit des Arztes“ und die Frage der Kostenübernahme durch die Kassen Schwierigkeiten. Daher zeichnet sich jetzt schon ab, dass dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode sehr schnell evaluiert und wahrscheinlich reformiert werden muss, unabhängig davon, was in der Cannabispolitik der neuen Bundesregierung noch passiert.
Doch da eine Novellierung lange dauert, rege ich an, dass die Politik einen runden Tisch organisiert, an dem Betroffene, Krankenkassen, Apotheker, Unternehmen, der MDK, das BMG und das zuständige Bundesamt sowie Ärzte über den Status quo diskutieren und Erleichterungen bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten verabreden. Alle Rückmeldungen zeigen zur Zeit, dass es Handlungsbedarf gibt, zum einen bei der Frage nach den Gründen der Ablehnung eines Antrags sowie bei der Frage der zukünftigen Versorgung mit geeigneten Medikamenten.
Micha zu 1) und 2): Da habe ich eine ganz klare Meinung. Der Staat hat hier nicht agiert, sondern lediglich reagiert. Das Cannabis als Medizin Gesetz ist nicht auf Initiative des Staates oder aus Überzeugung des Gesundheitsministeriums zustande, sondern als Reaktion auf Gerichtsurteile, letztlich um den Eigenanbau zu unterbinden. Als aber klar war, dass man Cannabisblüten als Medizin in die Apotheken bringt, hat die Regierung das in meinen Augen ganz ordentlich durch reguliert. Die Schuld an der momentanen, nicht zufriedenstellenden Situation liegt hier nicht im Gesetz, sondern in der Ausführung. Natürlich wurden auch Fehler in der Planung gemacht, da sich beinahe ausschließlich Fachfremde damit befassten, aber die eigentlichen Probleme liegen in der Exekutive. Das Gesetz sollte noch ein wenig eindeutiger formuliert werden, was den Begriff „austherapiert“ betrifft, ansonsten sehe ich den Handlungsbedarf aufseiten der Verbände der Ärzte und der Kassen in Bezug auf Dinge wie die Preispolitik.
Hanf Magazin: Die Verfechter einer Legalisierung oder Entkriminalisierung in Deutschland und Europa schauen mit Spannung und auch etwas Neid auf die jüngsten Entwicklungen in den U.S.A., auch wenn die Cannabis Freigaben in verschiedenen Bundesstaaten nicht von der Regierung in Washington mitgetragen werden. Erwarten Sie, dass sich langfristig Trump gegen die Staaten durchsetzt mit seiner restriktiven Haltung und die Fortschritte zunichtemacht, oder ist es wahrscheinlicher, dass dieser mit immenser Geschwindigkeit herangewachsene Markt sich mit seinen politischen Interessen auch in Washington behaupten kann?
Florian Rister: Es ist nicht davon auszugehen, dass Donald Trump / Jeff Sessions sich mit ihren Vorstellungen bzgl. Cannabis in den USA durchsetzen werden. Dafür ist die Bewegung in den sogenannten „Legal States“ schon zu weit, die Industrie zu groß und das Thema für Herrn Trump sicher auch nicht bedeutsam genug. Bereits nach der Wahl Donald Trumps hatte der DHV verkündet, dass nicht damit zu rechnen ist, dass das Rad der Zeit zurückgedreht werden könnte.
Niema Movassat: In den USA erleben wir krasse Gegensätze in der Drogenpolitik: Auf der einen Seite eine positive Entwicklung in einigen Bundesstaaten, die Cannabis freigeben. Auf der anderen Seite Donald Trump, der eine harte Linie fährt und sogar die Todesstrafe für bestimmte Drogendealer ins Spiel brachte. Ich denke aber nicht, dass die Entwicklung in den Bundesstaaten aufzuhalten ist, dafür sind sie – zum Glück – zu autonom. Kritisch sehe ich die massive Kommerzialisierung. Aber zentral ist, dass durch die Freigaben in den Bundesstaaten gesellschaftliche Dogmen und Tabus aufgeweicht werden. Das ist auch ein guter Referenzpunkt für die Debatte, die wir in Deutschland hinsichtlich der Legalisierung von Cannabis führen.
Micha: Trump ist auch eher ein Wirtschaftspolitiker als ein Drogenkrieger. Wenn man sieht, was bisher passiert ist, und da waren seine Aktionen noch nicht besonders radikal und ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass das überhaupt wieder rückgängig zu machen ist, zumindest nicht, ohne dass die Menschen dort den Glauben an die Demokratie verlieren. In den USA ist Legalisierung keine linksliberale Angelegenheit, daher hätte Trump wohl auch nicht genug Rückhalt in den eigenen Reihen, um etwas an den Legalisierungen der Staaten zu drehen.
Hanf Magazin: Wenn wir in Deutschland oder auch in Europa eine Entkriminalisierung, eine Freigabe oder Legalisierung in welcher Form auch immer umsetzen wollen, was können wir von den internationalen Entwicklungen lernen, wie z.B. U.S.A., Schweiz, Uruguay, Niederlande etc.?
Florian Rister: Es gibt viele internationale Beispiele für einen liberaleren oder gar legalen Umgang mit Cannabis. Eines eint alle diese Beispiele: Nirgendwo steigt der Konsum von Cannabis exponentiell, nirgendwo steigen die Probleme mit Cannabiskonsum exponentiell. In allen Ländern gibt es positive Begleiterscheinungen. Insofern zeigen uns diese Beispiele ganz klar: Prohibition funktioniert nicht! Wir müssen auch für Deutschland einen anderen Weg finden.
Niema Movassat: Unser Modell unterscheidet sich in einigen Aspekten, von den bestehenden internationalen Lösungswegen. Wir streiten als LINKE für eine Legalisierung von Cannabis. Wir wollen, dass Erwachsene an sauberes Cannabis, frei von Verunreinigungen gelangen. Dafür ist es notwendig, dass Cannabis in zertifizierten Cannabisfachgeschäften verkauft wird. Als LINKE haben wir vorgeschlagen Cannabis Clubs einzurichten. Hier wird für die Mitglieder Cannabis angebaut, eine Gewinnerzielungsabsicht darf nicht bestehen. Nur Volljährige haben Zugang und der Vorstand muss seine Sachkunde für den Anbau von Cannabis nachweisen können. Was einen Verkauf von Cannabis durch Apotheken ohne Rezept angeht: Da bin ich skeptisch. Apotheken sollten kein Drogentreffpunkt werden. Außerdem halten sich auch Kinder und Jugendliche in Apotheken auf.
Burkhard Blienert zu 3) und 4): Die internationalen Entwicklungen dürfen uns in Deutschland nicht kaltlassen. Dabei ist es aus meiner Sicht erforderlich, dass wir keine Rosinenpickerei betreiben und aus den unterschiedlichen Erfahrungen der anderen Länder nur die Aspekte heraussuchen, die einem in der eigenen Debatte vielleicht angeblich helfen. Insbesondere in Europa gilt, dass jedes Land seine eigenen Besonderheiten aufweist. Um aber auch in die europäische Drogenpolitik als maßgeblicher Partner zurückzukehren, halte ich es für notwendig, dass wir das Betäubungsmittelgesetz reformieren und den Weg einer kontrollierbaren und regulierten Drogenpolitik gehen. Hierzu gehört aus meiner Sicht eine Entkriminalisierung, die Möglichkeit von Modellprojekten sowie die Absicherung kommunaler Suchtarbeit.
Aus meiner Sicht ist es genauso wichtig, wenn wir auch die darüber liegenden Strukturen mit in den Blick nehmen. Diese sind aus meiner Sicht z. B. die Fragen der Gesundheit und der Prävention: Wie erreichen wir einen gesundheitsrelevanten Umgang mit Drogen- und Suchtmitteln? Wie können kommunale Unterstützungs- und Hilfestrukturen bei Missbrauch und Abhängigkeit aussehen? Gleiches gilt auch bei Fragen der Entkriminalisierung und Regulierung: Erreichen wir durch einen kontrollierten Markt eine Stärkung des Gewaltmonopol des Staates und ein Zurückdrängen der Organisierten Kriminalität? Wie sehen die internationalen Interdependenzen aus? Ich bin überzeugt, dass die betriebswirtschaftlichen Ansätze aus den USA nur einen Teilaspekt dieser Fragen aufgreifen und meinem Ansatz eines wohlfahrtsorientierten Staates eher widersprechen.
Micha: Lernen könnten wir vielleicht etwas von Kanada und der Schweiz, jedoch liegt in Kanada das Gesetz noch nicht spruchreif auf dem Tisch und auch die Schweizer sind noch nicht ganz so weit. International ist es generell sehr schwierig, da sollten wir uns eher das Cannabiskontrollgesetz heranziehen. Auch wenn ich kein Fan der Grünen bin, muss man zugestehen, dass dieser Entwurf das am besten ausgearbeitete Dokument weltweit zur Regulierung von Cannabis ist.
Hanf Magazin: Glauben Sie, dass eine zweite Amtszeit von Marlene Mortler als Drogenbeauftragte der Deutschen Sinn ergibt, und wenn ja, was qualifiziert gerade sie dafür? Es bestehen große Zweifel an ihrer Kompetenz für dieses Amt. Welche Expertisen und/oder Qualifikationen sollte der deutsche Drogenbeauftragte in Ihren Augen mitbringen? Gibt es jemand anderen als Frau Mortler, den Sie sich vorstellen können? Oder würden Sie selbst dies gern übernehmen?
Florian Rister: Frau Mortler hatte zu Beginn ihrer ersten Amtszeit keinerlei fachliche Qualifikation im Bereich Drogenpolitik. Nach mittlerweile vier Jahren hat sie sich zwar einiges Wissen angeeignet, dennoch ist die Entscheidung für eine zweite Amtszeit für uns überraschend. Sie hatte nie den Eindruck gemacht, als wäre die Arbeit als Drogenbeauftragte ihr Traumjob. Sicher wären andere KandidatInnen sinnvoller, die sich fachlich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Denkbar wären Menschen mit Erfahrung in Drogen- und Suchthilfe oder auch thematisch erfahrene Politiker wie Frank Tempel.
Niema Movassat: Ich denke, jeder Mensch, der nicht dogmatisch an Drogenpolitik herangeht, wäre besser geeignet als Frau Mortler, demnach auch ich. Ein guter Drogenbeauftragter sollte die bisherige Prohibitionspolitik beenden wollten, sollte bereit sein, Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Ich sollte auf die Expertise von Fachleuten hören. Drogenpolitik muss frei von Ideologien und Dogmen sein.
Burkhard Blienert: Ich glaube, dass es nicht meine Aufgabe ist, über den Sinn der Arbeit der derzeitigen Drogenbeauftragten zu urteilen.
Micha: Ja, ich finde, das macht absolut Sinn. Die Frau Mortler steht ja kurz vor der Pensionierung und wenn es mit dem Ministerposten nicht hinhaut, dann muss man wenigstens noch eine zweite Amtszeit einen Posten innehaben. Ich gönne ihr den, denn sie ist ja eine verdiente Agrarpolitikerin und ich gönne ihr das, ganz klar. Es qualifiziert gar nichts gerade sie dafür und das ist auch das Schöne. Denn dadurch bringt sie der Hanfszene wiederum viel Zulauf. Und würde eine linksorientierte SPD-ler auf dem Posten sitzen. Diejenige oder derjenige würde nach zwei Jahren frustriert zurücktreten, weil man in der Großen Koalition nicht durchsetzen kann, was cannabisfreundlich ist, jetzt mit Jens Spahn im Gesundheitsministerium schon gar nicht. Mit Marlene Mortler haben wir eine klare Position, und die kann sie gar nicht so gut begründen, und deswegen wird sie uns in den nächsten vier Jahren noch mehr Zulauf bringen. Ich denke, sie hat sehr viel dafür getan, dass die Cannabis Szene in den letzten Jahren so stark geworden ist.
Ich selbst wäre nicht dafür geeignet, ich polarisiere zu sehr. Ein guter Drogenbeauftragter muss über großes Fachwissen verfügen und darf aber nicht polarisieren. Tilmann Holzer wäre für mich der beste Drogenbeauftragte. Er ist Wissenschaftler und hat bereits im Büro der Drogenbeauftragten gearbeitet, er wäre der beste Drogenbeauftragte der Welt, nach Mortler natürlich.
Hanf Magazin: Wir haben nach einer sehr erfolgreichen Cannabispetition des Hanfverbands nun drei unterschiedliche Anträge im Bundestag in der Diskussion gehabt. Welche Erwartungen darf man an deren Ergebnisse stellen? Wie wird es weitergehen?
Niema Movassat: Das Ergebnis der Beschäftigung mit den Anträgen im Ausschuss wird tatsächlich spannend. Alle drei Anträge gehen in die richtige politische Richtung. Die SPD hat in der Bundestagsdebatte erstaunlicherweise eine unerwartete Bereitschaft gezeigt, über eine Abkehr von der strikten Prohibitionspolitik nachzudenken. Ich hoffe sehr, dass diese Haltung nicht wieder Opfer einer falschen Koalitionsräson wird. Martin Schulz hatte im Wahlkampf noch gesagt, der Umgang mit Cannabis solle eine Gewissensentscheidung sein. Da sollte man ihn und die SPD beim Wort nehmen.
Micha: Änderungen im BtMG stehen nicht im Koalitionsvertrag. Daher ist es sehr erfreulich, dass sich die SPD zum Teil sehr positiv geäußert hat in der Debatte im Bundestag. Dies wird aber wohl leider nichts daran ändern, dass sie für den Koalitionsfrieden gegen alle drei Anträge stimmen werden. Was ich in dem Zusammenhang interessant fände, wäre, wenn die SPD zu Martin Schulz´Aussage im Wahlkampf die Entscheidung über Cannabis zu einer Gewissensentscheidung zu machen. Es wäre schön, wenn die SPD zu dieser Aussage stehen würde. Dann hätten die Anträge eine gute Chance, ich halte es allerdings für unwahrscheinlich. Mit den liberalen Rednern kann die SPD Meinungspluralität zeigen, ohne es in die Koalitionsverträge hinein zu verhandeln ist das aber heiße Luft. Die einzige Chance um das Thema wie die Homoehe ohne Fraktionszwang abzustimmen, wäre ein großer gesellschaftlicher Druck, der zum Beispiel entstünde, wenn Umfragen der großen Institute mit über 60%iger Mehrheit zugunsten einer Legalisierung entschieden würden.
Hanf Magazin: Welche Entwicklungen sind 2018 bzw. in der kommenden Legislaturperiode absehbar, wenn man das überhaupt sagen kann? Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Erfolg einer oder mehrerer der aktuellen Initiativen mit der neuen Großen Koalition am Steuer, und welcher Antrag hat Ihrer Meinung nach am meisten Aussicht auf Erfolg?
Florian Rister zu 6) und 7): Aufgrund der herrschenden Regierung ist bei keinem der aktuell laufenden Anträge im Bundestag mit einer Mehrheit im Bundestag zu rechnen. Dennoch tragen alle diese Anträge mit dazu bei, das Thema in der Prioritätenliste von Politikern weiter nach oben zu treiben. Unsere Cannabispetition 2017 wird dank mehr als 50.000 Unterschriften auf jeden Fall im Gesundheitsausschuss diskutiert werden. Dies ist mehr, als vor einigen Jahren denkbar gewesen wäre.
Niema Movassat: Dem Bundestag liegen mit den drei Anträgen von Grünen, FDP und DIE LINKE. nun verschiedene Wege vor. Gerade unser nicht allzu weitgehender Antrag wird hoffentlich endlich eine Besserung der Situation von Konsumentinnen und Konsumenten zur Folge haben. Zumindest eine Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten bei geringen Mengen sollte drin sein. Das sollte der Mindestkonsens sein, auf den sich alle, die keine rigide Verbotspolitik mehr wollen, einigen können. Unser Antrag ist somit auch ein Angebot an den progressiven Teil der SPD. Es wäre fatal, wenn hier keine Bewegung reinkommt.
Micha: Die größte Aussicht auf Erfolg hat meines Erachtens der Antrag der FDP, da er keine wirkliche Entkriminalisierung beinhaltet. Dies ist auch innerhalb der SPD am ehesten durchsetzbar. 2018 wird relativ wenig geschehen, wenn es bei Abstimmung nicht zur Gewissensfrage erklärt wird. Es wird vielleicht hier und da Nachbesserungen im Cannabis als Medizin Gesetz geben, wenn die Ärzteverbände und Kassen nicht selbst einschwenken.
Hanf Magazin: Sind in ihrIhrerer Partei (oder Organisationen, denen Sie angehören) für die kommende Regierungsperiode bereits Schritte geplant, sollten die Anträge, die aktuell der Bundesregierung vorliegen, allesamt erfolglos bleiben?
Florian Rister: Der DHV wird auch nach einer möglichen Ablehnung der aktuell laufenden Anträge weiterhin Druck machen, um das Thema wachzuhalten. Konkrete Pläne diesbezüglich können aktuell noch nicht öffentlich gemacht werden.
Niema Movassat: Wir werden selbstverständlich unermüdlich weiterkämpfen. Die Zahl der Menschen, die unter der schädlichen Prohibitionspolitik leiden, ist groß. Wir werden immer wieder, und zwar nicht nur beim Thema Cannabiskonsum, auf das Problem aufmerksam machen und Lösungen vorschlagen.
Micha: Ich bin da beruflich sowieso stark eingebunden, mit meinem Kanal, mit Weedmaps, beim Nachtschattenverlag, und ich bin auch in einer Berliner Patientengruppe tätig, der ersten Cannabis-Selbsthilfegruppe in Deutschland. Wir versuchen hier die Politiker auf die Probleme der Patienten aufmerksam zu machen, wie zum Beispiel den Mangel an Ärzten, die Cannabis verschreiben.
Hanf Magazin: Was würden Sie dem geneigten Cannabis Aktivisten raten? Was können diejenigen tun, die sich eine Freigabe oder kontrollierte Abgabe wünschen? Welches sind die nächsten zielführenden Schritte in Richtung moderner Drogenpolitik, die durch Bürger initiativ unterstützt werden können?
Florian Rister: Es gibt viele Möglichkeiten, sich für die Legalisierung einzusetzen:
- Briefe, Kommentare und E-Mails an Politiker, Journalisten und andere Entscheidungsträger schicken.
- In Parteien für eine liberale Drogenpolitik starkmachen.
- Auf Demonstrationen wie die Hanfparade Berlin im August oder den Global Marijuana March im Mai gehen.
- In anderen lokalen Gruppen organisieren und aktiv werden.
- Mit Freunden und Familie über die Legalisierung und den DHV sprechen
- Im DHV Forum an Online-Projekten mitarbeiten
- Flyer verteilen, die gibt es hier zum Selbstkostenpreis
- DHV-Fördermitglied werden
- In DHV-Ortsgruppen und anderen regionalen Gruppen beteiligen
- Eine einmalige Spende an den DHV leisten
Wenn die vielen Millionen Betroffenen anfangen, ihren Mund aufzumachen, wird die Prohibition schnell fallen. Davon sind wir überzeugt.
Niema Movassat: Gerade die Arbeit von Akteurinnen und Akteuren wie der Hanfverband oder des Schildower Kreises sowie vieler anderer zivilgesellschaftlicher Akteure ist sehr wichtig und bedeutsam. Dieser Druck der Zivilgesellschaft auf Veränderungen der sinnlosen Prohibitionspolitik muss aufrechterhalten bleiben.
Burkhard Blienert zu 6),7),8) und 9)1) und 2): In der laufenden Legislaturperiode sollten alle Verantwortlichen davon ausgehen, dass der eherne Grundsatz der Demokratie auch weiterhin auf dem Prinzip der Mehrheit beruht. Insofern sollten man sich keine Illusionen hingeben, dass durch das Stellen von gut (gemeinten) Anträgen schon die Wirklichkeit verändert wird.
Daher sollte das Parlament die Möglichkeit der starken inhaltlichen Debatte suchen, und nicht nach ideologischer Duftnote diskutieren. Das starke inhaltliche Argument halte ich für sinnvoller als ideologische Kraftmeierei.
Ein drogenpolitischer Fahrplan der nächsten vier Jahre könnte aus meiner Sicht wie folgt aussehen:
- Eine Enquete-Kommission, die die Auswirkungen des Betäubungsmittelgesetzes auf den Prüfstand stellt,macht Sinn.
Eine Kommission würde die notwendige Evaluierung leisten können, Argumente abwägen und Sachverstand in eine Debatte bringen, die im politischen Raum in der Vergangenheit häufig zu ideologisch geführt wurde.
- Falls keine Enquete zustande kommt, würde ich den Fraktionen raten, einen fraktionsübergreifenden Arbeitszusammenhang zu bilden, die sich u.a. mit folgenden Anforderungen beschäftigt:
- Wir brauchen in Hinblick auf den Cannabis-Konsum eine bundesweit einheitliche Eigenbedarfsmenge vergleichbar zur deutschlandweit einheitlichen Promillegrenze beim Alkohol.
- Wir brauchen die Entkriminalisierung der Cannabis-Konsumierenden , um die Polizei und Justiz zu entlasten und um damit den Weg für mehr Jugendschutz und Prävention freizumachen. Verbote und Strafverfolgung haben den Konsum nicht verhindert, Aufklärung und Hilfe müsste vielmehr gestärkt werden, um den gesundheitsschädlichen Konsum zu reduzieren.
- Wir brauchen kommunale Modellprojekte zur kontrollierten Abgabe von Cannabis und damit verbundenen Präventionsprojekten. Nur so bekommen wir Erfahrungen und Kenntnisse, wie eine Regulierung endlich funktionieren kann. Damit haben wir auch mehr Möglichkeiten zur Bekämpfung des Schwarzmarktes und der Kriminalität. Das Ermöglichen von Modellprojekten in den Bundesländern soll diesen auch freigestellt werden. Damit erlangt der Staat sein Kontroll- und Machtmonopol zurück.
Micha: Da muss jeder seine Lücke finden. Der eine baut an und verschenkt es an Patienten, der zweite zeigt Gesicht auf der Straße, der Dritte hat ein Talent und macht YouTube Videos und erreicht damit viele Leute. Man sollte einfach das machen, was man im normalen Leben auch gut kann. Jeder kann ja etwas, und wenn man überlegt, wie man seine Fähigkeit auf das Thema Cannabis übertragen kann, kann man sich gezielt einbringen. Und dann gibt es natürlich zahlreiche Gruppen und Aktionen, wo man sich einbringen kann, Hanfverband, Hanfparade, Global Marjiuana March, Die Grüne Hilfe. Die Plattformen bestehen ja, und die brauchen alle Hilfe und Fachleute, die was können.
Nachdem ich die verschiedenen Interviews geführt oder die Antworten auf meine Fragen schriftlich erhalten habe, stelle ich also beim Zusammentragen fest, die Ansichten über die Situation sowie die Veränderungen im Bereich Legalisierung sind so verschieden wie die Menschen hinter den Ansichten und die Partei oder die Organisation, für welche sie stehen, auch wenn allesamt Hanf Befürworter sind. Einigkeit scheint leider bei der Frage nach den Chancen der aktuellen Initiativen im deutschen Bundestag zu herrschen, dass wir mit vier weiteren Jahren weitestgehenden Stillstands in der Drogenpolitik zu rechnen haben oder nur sehr geringfügigen Veränderungen.
Die Antworten über die Möglichkeiten, die man hat sich für die Entkriminalisierung zu engagieren, sind hoffentlich für viele erfreulich und zeigen einerseits auf, dass jeder etwas tun kann, dass es eben halt aber wichtig ist, dass es auch getan wird. Der Druck der Öffentlichkeit kann den Unterschied ausmachen, daher muss, wer in der Zukunft zuhause legal und bequem auf der Couch Cannabis konsumieren will, vorher mal dafür aufstehen, auf die Straße gehen, oder eben je nach Fähigkeiten auf die eine oder andere Art aktiv werden.