Anfang März dieses Jahres hatte eine Pressemitteilung der European Industrial Hemp Association (EIHA) wieder Bewegung in ein Thema gebracht, von dem viele dachten, dass die Situation etwas festgefahren und die Debatte zum Erliegen gekommen sei. Die Rede ist vom Status von Cannabidiol, cannabidiolhaltigen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hatte vor etwa einem Jahr auf seiner Webpräsenz eine Stellungnahme veröffentlicht, die manche als Sargnagel für die junge und erfolgreiche CBD-Branche interpretierten. Der Stellungnahme zufolge wäre kein CBD-haltiges Produkt verkehrsfähig, ohne ein langwieriges und aufwendiges Zulassungsverfahren zu durchlaufen.
Ministerium und Regierung stimmen der EIHA zu
Wie wir vor einigen Tagen berichteten, hatte die EIHA sich der Thematik angenommen und erfolgreich eine Reihe von Beweisen geliefert, die den traditionellen Verzehr von cannabinoidhaltigen Hanflebensmitteln nachweisen konnte. Dies betrifft ebenso den Gebrauch von Extrakten, die natürliche Konzentrationen an CBD beinhalten. Die EIHA hatte sich mit ihren Beweisen an die zuständigen Regierungsorgane gewandt, insbesondere an das BVL, aber auch an das vorgesetzte Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).
Während die Bundesregierung und das BMEL der Auffassung und den dargelegten Fakten der EIHA, dass nur isolierte Einzelsubstanzen wie Cannabidiol oder mit Cannabidiol angereicherte Extrakte als neuartige Lebensmittel im Sinne der Novel Food Verordnung zu beurteilen sind, nicht nur nichts entgegengesetzt, sondern sogar und in ihren Stellungnahmen insoweit übernommen hatten, zeigte sich das BVL bis heute immer noch uneinsichtig und nahm keine Änderung an der fehlerhaften Stellungnahme auf der Homepage der Behörde vor.
Uneinheitliche Berichterstattung über die Vorgänge zwischen Politik und Industrie
Die Klärung dieses Themas sollte den Unsicherheiten der Hersteller und Verbraucher eigentlich ein Ende bereiten. Dies ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch bisher nicht gelungen. Auch in der medialen Berichterstattung kursieren noch immer unterschiedliche Ansichten darüber, wie denn nun die Faktenlage sei. Um etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, wollen wir uns heute mit einem Mann unterhalten, der tiefere Einblicke in die Geschehnisse zwischen den Verbänden und den Behörden hat. Daniel Kruse ist seit 25 Jahren als Unternehmer im Bereich Hanflebensmittel tätig (Hempro Int. GmbH & Co.KG + HempFactory GmbH), gleichzeitig ist er Präsident der European Industrial Hemp Association (EIHA) und war gerne bereit, uns Auskunft über die Vorgänge der jüngsten Zeit zu geben:
Hanf Magazin: Nach der Fassung des Novel Food Katalogeintrags von 2017 bis Ende 2018 waren CBD-Hanf-Produkte kein Novel Food, wenn das CBD-Level nicht künstlich angereichert war, sondern dem natürlichen Level des zugrundeliegenden Ausgangsrohstoffs, also der Hanfpflanze, entsprach. Das ist auch die Position, die EIHA seit Jahren vertritt. Auf Basis dieser Version, der früheren Bestätigungen seitens der EU-Kommission und der älteren Novel-Food-Katalogeinträge hat die Hanfindustrie in den vergangenen 20 Jahren erhebliche Investitionen getätigt, Arbeitsplätze geschaffen und letztlich auch die CBD-Branche aufgebaut. Im Januar 2019 wurde der Novel Food Katalogeintrag abgeändert zur Version, auf die sich auch das BVL in der veröffentlichten Stellungnahme auf seiner Homepage stützt. Was besagt diese Änderung?
Daniel Kruse: Die alten Einträge im Novel Food Katalog waren kein Hindernis für die Industrie und waren sowohl historisch als auch logisch nachvollziehbar. Die Herstellung von hanfbasierten Lebensmitteln, auch mit einem darin natürlich vorhandenen Maß an Cannabinoiden, war damit möglich. Seit Januar 2019 besteht nun der neue Eintrag im Novel Food Katalog. Dem zufolge dürfte somit die Industrie eigentlich nur noch mit Hanfsamen als Rohstoff für Lebensmittel arbeiten. Hanfblätter, Blüten und daraus gewonnene Extrakte unterliegen dagegen jetzt plötzlich entsprechend dem neuen Katalogeintrag der Novel Food Verordnung und wären damit zulassungspflichtig.
Hanf Magazin: Welchen Schaden richtet diese Änderung des Katalogeintrags an, wenn man das einfach so stehen lässt und sich danach richtet?
Daniel Kruse: Die Hanfpflanze soll natürlich weiter, wie bisher im Ganzen genutzt werden können. Dies entspricht im Übrigen auch der Jahrhunderte langen Verwendungsgeschichte von Hanf als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat. Aus den Hanfblättern zum Beispiel wurde und wird schon lange hervorragender Tee gemacht. Tee, genau wie Kaffee, ist übrigens auch ein sogenannter wässriger Extrakt. Aber auch andere Extraktionsmittel wurden schon seit Jahrhunderten zur Herstellung von Hanfextrakten genutzt. Die Blätter, Blüten und die Samen sind also schon immer ein wertvolles Lebensmittel gewesen. Zusätzlich können aus den Fasern Baustoffe und Textilien produziert werden. Wir benötigen als Industrie daher weiterhin die ganze Pflanze. Zum einen geht es hier um echte Nachhaltigkeit. Zum anderen wird ein notwendiger Aspekt von vielen nicht bedacht: Für Landwirte und Unternehmen muss der Anbau und die Produktion einen Deckungsbeitrag realisieren. Wenn man aber nun wieder nicht die ganze Pflanze verwerten darf, ist das also aus unterschiedlichen Gründen bereits problematisch.
Hanf Magazin: Nach der Pressemitteilung vom 03.03.2020 hat der Branchenverband der Cannabiswirtschaft (BVCW) an das BVL eine Anfrage gestellt. Die Antwort lautete, dass die Pressemittleilung der EIHA inhaltlich nicht nachvollziehbar und überraschend sei. Das wird von einigen Medien nun so interpretiert, dass das Thema noch nicht wirklich geklärt ist. Wie siehst Du das? Hast Du mit dieser Antwort des BVL gerechnet?
Daniel Kruse: Die Nachfrage des BVCW beim BVL war etwas unglücklich formuliert. EIHA hat in der Pressemitteilung nie behauptet, sich mit dem BVL geeinigt zu haben. Wie auch? Das BVL hat ja auch auf unsere Beweisvorlage und unsere mehrfachen Gesprächsangebote bis heute nicht reagiert. Hätte der BVCW die Anfrage an das BMEL gestellt, wäre die Antwort wohl eine andere gewesen. Auch aus der Anfrage der FDP an die Bundesregierung hätte man unschwer eine andere Faktenlage und Sprachregelung entnehmen können.
Hanf Magazin: Das BVL hat im Schriftverkehr geäußert, dass keine Beweise dafür vorliegen und ihnen bekannt wären, dass Hanf und CBD vor Inkrafttreten der Novel Food Verordnung in der EU in nennenswertem Umfang verzehrt worden sind. Ich selbst habe die Unterlagen gesichtet und die Aussage des BVL ist in dieser Pauschalität definitiv falsch. Kannst Du Dir erklären, wie die Aussagen des BVL zustande gekommen sind?
Daniel Kruse: Die letzten Aussagen des BVL machen in der Tat den Eindruck, als hätte man sich nicht in Kenntnis aller Daten und Fakten befunden. Mag sein, dass da etwas nicht angekommen ist. Mittlerweile ist der Erhalt aller unserer Unterlagen aber dort bestätigt worden. Das ist in jedem Fall schon mal ein Erfolg unserer Pressemitteilung. Nun gilt es, die nächste Reaktion des BVL abzuwarten. EIHA hat nach wie vor ein echtes, nachhaltiges Interesse daran, sich sachlich mit dem BVL anhand von Fakten auseinanderzusetzen. Dazu gehört nun aber auch die historisch nicht wegzudiskutierende jahrhundertelange Verwendung von Hanf als Lebensmittel in der heutigen EU.
Warum diese Erzeugnisse jetzt plötzlich als „neuartig“ angesehen werden sollen, erschließt sich uns daher weder sachlich noch rechtlich. Dass man gerade hier in Deutschland „gelebte Geschichte vergessen und negieren möchte“, ist unbegreiflich. Ich verweise exemplarisch auf die von uns vorgelegten Belege wie die Inschrift vom Turm in Bologna „Cannabis Protectio“ (Cannabis ist Schutz) oder die alten Rezepte aus den Kochbüchern mit Extrakten und Hanfblätter-Tortelli, aber auch auf damalige Nahrungsergänzungsmittel sowie die Bezeichnungen für in Europa heimischen Hanf, der aus gutem Grund „essbares Grass“ und „Gemüse“ genannt wird. Mal ganz abgesehen von den schriftlichen Bestätigungen der EU-Kommission aus 1998, wonach „Lebensmittel, welche Teile der Hanfpflanze enthalten, wie bspw. Hanfblüten nicht unter die Verordnung (EC) 258/97 (Anm. d. V.: Novel Food Verordnung) fallen.“
Hanf Magazin: Ich denke in Deutschland haben viele den Eindruck, dass unsere Behörden besonders konservativ mit CBD umgehen. Gibt es noch andere EU-Länder, die vergleichbar streng sind?
Daniel Kruse: „Konservativ“ ist hier das falsche Wort. Dieses kommt von „conservare“, lateinisch für „an Hergebrachtem festhalten“. Bei solch einer Einstellung müssten dann nämlich Hanflebensmittel und deren Extrakte eigentlich überhaupt nicht infrage gestellt werden. Erstens, weil bereits vor Inkrafttreten der Novel Food-Verordnung am 15.05.1997 es jahrhundertelange Praxis in der heutigen EU war, Hanfextrakte zum Zwecke des Verzehrs herzustellen. Zweitens, weil man sich dann auch an bereits früher vor über 22 Jahren getroffene Entscheidungen der EU-Kommission – nämlich, dass Teile der Hanfpflanze nicht der Novel Food Verordnung unterliegen – halten würde. Und drittens, weil viele unserer täglichen Lebensmittel im eigentlichen (also hergebrachten) Sinne „Extrakte“ (lateinisch für „herausziehen“) sind – auch um Lebensmittel zu konservieren (!), also haltbar zu machen.
Leider tun die Behörden in Deutschland – aber auch andere Vertreter der Mitgliedstaaten in der PAFF Gruppe in Brüssel so, als wären Extrakte aus dem Hanf nun plötzlich etwas unheimliches Neues – also „Novel“. Das mag vielleicht für neuartige Extraktionstechniken zutreffen, nicht aber für die traditionellen Extraktionen, die in der EU-Richtlinie 2009/32/EC aufgeführt sind.
Demnach ist ein traditionelles Lebensmittel, welches mit einem der dort aufgeführten traditioneller Extraktionsmitteln (auch CO2 oder Ethanol) extrahiert wurde, immer noch ein zulässiges Lebensmittel – und kein Novel Food. Gem. Art. 2 Abs. 1, 2. Unterabsatz dieser Richtlinie 2009/32/EG ist geregelt, dass – ich zitiere – „die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Lebensmitteln oder Lebensmittelzutaten nicht aus Gründen im Zusammenhang mit den verwendeten Extraktionslösungsmitteln oder ihren Rückständen verbieten, beschränken oder behindern dürfen, wenn diese den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen“.
Die deutschen Behörden sind also eher „inkonsequent“ (aus dem Lateinischen inconsequentia = Folgewidrigkeit, Widersprüchlichkeit) bei Cannabinoiden als natürliche Inhaltssubstanzen des Nutzhanfes. Die Behörden in den Niederlanden sind deutlich pragmatischer, obwohl auch dort Ansprüche in Form von Standards an die Industrie gestellt werden. Aber es stimmt wenigstens die Kommunikation zwischen Industrie und Behörde. Auch in England, seitens der FSA, ist der neueste Ansatz äußerst kooperativ und konstruktiv.
Hanf Magazin: Das BVL zeigt sich, ungeachtet der Reaktionen des BMEL oder der Regierung, uneinsichtig und will offenbar die fehlerhafte Stellungnahme auf der Internetpräsenz nicht abändern. Was kann man nun weiter unternehmen?
Daniel Kruse: Wie vorhin gesagt, muss man jetzt erst einmal abwarten. Erst nach der Pressemitteilung hat das BVL den Erhalt unserer Unterlagen endlich bestätigt. Daher ist die Behörde jetzt am Zug, dazu Stellung zu nehmen oder zu reagieren. Auch deutsche Behörden sollten lernen, wie in anderen Ländern sich mit Vertretern und Experten der Industrie zusammenzuarbeiten, statt „preußisch-beamtet“ alles „von oben herab“ zu entscheiden. Als Hanfindustrie sind wir sehr wohl gewillt und in der Lage, sichere und gesunde Produkte auf den Markt zu bringen. Als Lebensmittelhersteller bin ich mit dem Thema seit mehr als 15 Jahren befasst. Aber dafür benötigt man verlässliche, sinnvolle und wissenschaftlich fundierte Regelungen und Standards – und keine inkonsequente und nur ideologisch geprägte Willkür.
Hanf Magazin: Worum geht es dem BVL eigentlich? Das Thema trifft ja nicht den ursprünglichen Sinn der Novel Food Verordnung. Ist das ein Kampf gegen die allgemeine Liberalisierung von Hanf?
Daniel Kruse: Das weiß man nicht. Ein Teil der Gegenwehr gegen CBD könnte vielleicht von der Pharmaindustrie kommen. Das wäre nicht neu und erinnert an die Zeit, als noch in Deutschland beispielsweise Knoblauchkapseln penibel und streng als Arzneimittel eingestuft wurden, obgleich Knoblauch an jeder Ecke in Natur als Lebensmittel gekauft und verzehrt werden konnte. Erst durch ein Klageverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof ist diese Sichtweise hier endlich geändert worden. Es gibt aber viele weitere Beispiele für natürliche Substanzen, welche sowohl in traditionellen Lebensmitteln vorkommen als auch höher dosiert in Nahrungsergänzungsmitteln und die wiederum mit sehr hohem Wirkstoffgehalt sogar als Medizin eingesetzt werden.
Aber der Interessenskonflikt zwischen der Industrie, die dann Geld verdient, wenn der Mensch krank ist (Medizin), und der Industrie, die damit erfolgreich ist, wenn der Mensch gesund bleibt (z. B. Nahrungsergänzungsmittel), ist nun mal bekannt. Ein interessantes Thema, gerade zu Zeiten einer Corona-Pandemie, wie ich finde. Gerade in der aktuellen Pandemie-Debatte zeigt sich aber auch, wie wichtig es ist, auf Wissenschaftler, die sich fachlich mit dem Thema beschäftigen und dazu wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Vergangenheit gemacht haben, zu hören und die Dinge nicht einfach nur naiv wegzudiskutieren, weil es einem gerade nicht passt.
Das aktuelle Verhalten in Deutschland kann aber auch auf eine ideologisch geprägte Unwissenheit in Bezug auf die gesamte Hanfthematik basieren. Unsicherheit erzeugt fast immer Voreingenommenheit und defensives Verhalten. Daher könnten Gespräche mit einem Verband wie EIHA, der auf eine jahrzehntelange Erfahrung verfügt, eine wichtige Rolle spielen.
Thema Novel Food und Wirtschaft beim Hanf Magazin Roundtable
Die Hanfindustrie und die Verbraucher warten jetzt also gespannt, wann wir etwas Neues vom Bundesamt hören werden. Am Dienstag, dem 26. März werden wir uns noch einmal dem Thema Novel Food und Wirtschaft beim Hanf Magazin Roundtable widmen. Daniel Kruse wird auch wieder mit dabei sein. Außerdem Joscha Krauss, Geschäftsführer der MH medical hemp GmbH, Julian Sarwat von Cannabis Catalysts, Tobias Pietsch von Hanfnah und die Hanfsaft-Lady Galathea Bisterfeld von Meer. Wir freuen uns auf Dich!
Um dabei zu sein, klicke folgenden Link: https://roundtable.hanf-magazin.com/
Foto
Daniel Kruse, Präsident der European Industrial Hemp Association (EIHA)
fotocredit: European Industrial Hemp – „obs/European Industrial Hemp Association (EIHA)/Hempro Int. GmbH & Co. KG“