Ende November 2020 gründete die Chemikerin Rosa de la Torre (Leiterin des Bereichs Lebensmittelwissenschaft und -sicherheit) am CTAEX in Badajoz (Extremadura)/Spanien einen Hanf-Technologie-Cluster. Sie pocht auf eine Rotationslandwirtschaft statt Mais oder Tabak in der marginalisierten Region und ist überzeugt, dass Medizinalhanf die Zukunft ist und auch das Gros der Opiate in der Schmerztherapie obsolet machen würde.
Hanf Magazin: Sie sind seit der Gründung vor 20 Jahren beim CTAEX. Aller Anfang war schwer, nehme ich an?
Rosa de la Torre: Wir hatten hier in Badajoz einst ein Nestlé-Forschungsinstitut, eines von 17 weltweit und das einzige in Spanien. Unser Fokus lag hier auf den Agrarprodukten und der Ernährung des Mittelmeerraumes. Lebensmittel, die in die Mittelmeerküche fallen. Um das Jahr 1999/2000 hat Nestlé beschlossen, viele der Zentren zu schließen und die Forschung direkt an die Produktionsstellen zu verlagern, sei es Singapur für Reis oder Kakao oder Kaffee in Afrika oder Lateinamerika. Wir waren 30 angestellte Forscher und standen plötzlich vor dem Nichts. Wir wandten uns an die Regionalregierung und schlugen vor, das Zentrum doch weiterzuführen.
„Wir müssen aufbegehren und aufzeigen, dass die Nutzung und der Anbau dieser Pflanze normalisiert und reguliert werden muss“
Chemikerin Rosa de la Torre
Wir erhielten jedoch eine Absage. Doch wir ließen nicht locker. Wir suchten die Kontakte zu den Produzenten von Agrarprodukten in der Extremadura, Tomaten, Käse, der Ibérico-Schinken und hatten Erfolg. Es war dieser Zusammenschluss aus Unternehmen, der von Nestlé das Forschungszentrum kaufte und acht von uns auch weiter beschäftigte. Denn sie haben einen Jumbojet in Sachen Labor gekauft, und es fehlte ihnen an Piloten. Wir sind seither ein unabhängiger Verein, gemeinnützig, ohne Gewinnabsichten und nennen uns Centro Tecnológico Agroalimentario Extremadura (Anm. dt. Landwirtschafts- und Lebensmitteltechnik-Zentrum der Extremadura). Und wir haben unsere Sparten Landwirtschaft, Lebensmitteltechnik, Analyse, Finanzen und Wissensaustausch.
Im Januar 2000 starteten wir noch ohne Heizung an den ersten Tagen. Jetzt sind wir über 50 Mitarbeiter und haben Schule und uns einen Namen gemacht. Bis heute ist jedoch ein Manko, dass es kaum Verkehrsanbindungen gibt, kaum Züge, Flüge nur nach Madrid und Barcelona. Solange sich das nicht ändert, wird die Region industriell nicht abheben können. Synergien haben wir zum Glück mit dem grenznahen Portugal, das auch in Sachen Cannabis voranschreitet. Wir haben zahlreiche Projekte beim Nachbarn über die EU-Projekte der Interreg Europe mit Unternehmen und Universitäten.
Hanf Magazin: Folglich bekommen Sie keine Subventionen, staatlich oder regional?
Rosa de la Torre: Nein, wir sind ein privates Unternehmen. Wir müssen wirtschaften und sind so aber auch unabhängig. Und wir haben keine Beamtenmentalität, sondern wir wissen, dass unser Lohn von unserer Arbeit abhängig ist.
Hanf Magazin: Wie ist der Technologie-Cluster um Cannabis, Industriehanf entstanden, der Ende 2020 präsentiert wurde und mittlerweile über 21 Partnerunternehmen umfasst?
Rosa de la Torre: Das ist eine wunderschöne Geschichte, denn wir hatten lange Jahre keine Ahnung davon, wie Hanf angebaut wird, und in Spanien hat die Hanfproduktion in den 1950ern ein jähes Ende genommen. Den Anfang markierte schließlich eine Kooperation mit einem Spin-off der Universität von Córdoba in Andalusien. An der medizinischen Fakultät forschte man mit als die Ersten in Spanien an der therapeutischen Wirksamkeit von Cannabinoiden. Wir hatten Versuchsfelder, und so kultivierten wir die Samen, die man an der Universität gemeinsam mit Experten aus Italien gezüchtet hatten.
Mit an Bord war die Universität von Navarra auch in Sachen Analytik. Wir bauten nicht nur Cannabis an, viel wichtiger war damals auch, dass wir mit der Analyse der Cannabinoide der Pflanze begonnen haben. Um die therapeutische Wirksamkeit erforschen zu können, war es unabdingbar zu wissen, welche Cannabinoide in welcher Konzentration vorhanden sind. Am Anfang setzten wir bei der Analyse noch auf die Gaschromatografie mit Massenspektrometrie-Kopplung. Das war das, was damals für diese empfohlen wurde. Aber wir merkten schnell, dass die Resultate nicht in optimaler Auflösung sind. Die Cannabinoid-Spitzenwerte vermischten sich. Doktor Giovanni Appendino, ein Vorreiter der Cannabinoid-Forschung und der Extraktion von Reinsubstanzen von der Universität Navarra, riet uns mittels hochauflösender Gas-Flüssigkeits-Chromatografie (GLC) zu arbeiten. Wir identifizierten die wichtigsten Cannabinoide und konnten Muster entschlüsseln.
Heute ist das kein Problem mehr, aber damals war ein Milligramm THC noch als harte Droge eingestuft. Appendino schickte uns damals noch die Ergebnisse unter falschen chemischen Namen, Cannabinoid-Kristalle waren eben kein THC laut Etikett, sondern ganz simpel Natriumchlorid, eben Kochsalz (lacht). Kurz darauf nahmen wir an einem EU-weiten Projekt teil, mit 20 Staaten, darunter auch Nicht-EU-Staaten wie China, wo es um die Untersuchung von Hanf ging. Und wir konnten eine Menge über die Pflanze lernen. Dann hatten wir uns bereits unseren Namen gemacht, es langte eine regelrechte Lawine an Analyse-Gesuchen für Cannabis ein. Andere wollten mittels der Analyse um Lizenzen bei den Medikamentenagentur ansuchen. Es wurde rasch zum Selbstläufer.
Hanf Magazin: Was ist ihr Ziel mit dem Technologie-Cluster in Badajoz?
Rosa de la Torre: Viele Menschen und Unternehmen, die mit Cannabis arbeiten wollen, sind regelrecht verloren, wenn es um all die rechtlichen Auflagen geht. Wir wollen hier mit dem Know-how von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen wie Universitäten, die Pflanze Hanf und ihre Nutzung normalisieren. Wir müssen aufbegehren und aufzeigen, dass die Nutzung und der Anbau dieser Pflanze normalisiert und reguliert werden muss. Wie in vielen Staaten Europas, den USA oder Kanada muss das auch in Spanien möglich sein. Spanien hat das Zeug dazu, eine Macht im Cannabisfeld zu werden, auch wenn wir am Weg dorthin noch viel lernen müssen.
Wir müssen die ganze Hanfpflanze nutzen und diese auch vermarkten. Wie wir in Spanien so sagen, verkaufen wir alles bis zur Sonne, um den Mehrwert von Hanf für die Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es um Information, Aufklärung, die Finanzierung von Projekten und natürlich vor allem auch die Verbreitung unserer wissenschaftlichen Daten und Forschungsergebnisse sowie die Bewusstseinsbildung. Aktuell in der Pandemie führen wir Hanf-Webinare durch. Das Erste war rund um Nutzhanf und unseren Technologie-Cluster eine Art Präsentation, das Zweite geht nun um Recht und Legislatur.
Die Hanfpflanze sorgt für viel Verwirrung, und es kann durchaus um viel gehen, wenn man etwas nicht bedenken sollte. Dafür laden wir drei spezialisierte Anwaltskanzleien ein. Und zwei Agraringenieure, die Know-how zu Samen, Pflanzung, Schädlinge, Ernte unter anderen sprechen werden. Die Teilnahme ist kostenlos und ein jeder, sei es ein Landwirt oder einfach nur eine interessierte Person, kann teilnehmen. Hanf ist eine Chance für Spanien, nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Regierung, die Steuern einnehmen kann. Ganz zu schweigen als Mittel gegen die Landflucht, im so genannten „leeren Spanien“.
Hanf Magazin: Bei Industriehanf oder eben dem für CBD-Blüten und Extrakte ist es unabdingbar, periodische Analysen durchzuführen. Aber die Ergebnisse variieren von Labor zu Labor, von Probe zu Probe …
Rosa de la Torre: Wir arbeiten mit den wenigen Analyselabors, die es in Spanien gibt, zusammen und wir machen Gegenchecks der Proben für die Kunden. Wir sind eben dran, eine ISO-Zertifizierung für unsere Analysen zu bekommen, wo es um die Cannabinoidgehalte in vielerlei Produkten aus Hanf geht. Mit dieser Akkreditierung können sich Kunden dann sichergehen, dass der Nachweis und die Spurenanalyse total korrekt sind. Unsere Analyse-Methode fußt in den Vorlagen der weltweiten Organisation für Chemie und der staatlichen Akkreditierungsbehörde in Spanien. Damit sind wir aber vor allem unsere Kunden abgesichert.
Was die Schwankungsbreite betrifft: 0,3 Prozent THC ist aktuell das Wichtigste. Die Sammlung repräsentativer Proben: Wir geben unseren Kunden hier eine Vorgabe von einer Seite als PDF. Essenziell ist es, 30 Proben von der Anbaufläche, von unterschiedlichen Orten und stets Blütenspitzen von bis zu 30 Zentimeter Größe zu entnehmen. Diese muss man dann gut vermischen und daraus schickt man uns dann das zu analysierende Material. Die Schwankungsbreite fußt meist darin, dass wir nur eine Blüte bekommen.
Woher stammt die Blüte? Wuchs sie in der Sonne? Stand sie neben einer Straße? Das Probenentnehmen ist das Allerwichtigste.
Wir können kein Feld zertifizieren, nur die Probe, die man uns gibt. Der größte und schönste Blumenkohl auf einem Feld ist nicht repräsentativ, es ist besser, 50 Blumenkohl-Stücke vom ganzen Feld zu nehmen, diese zu hacken, zu mischen und dann zu analysieren. Natürlich gibt es Kunden, die nicht 30 Blüten verlieren wollen. Aber darin fußen schließlich die Varianzen bei den Ergebnissen.
Hanf Magazin: Wie stehen die Landwirte der Region zu Hanf?
Rosa de la Torre: Ich erhalte jeden Tag zahllose Anrufe von Landwirten aus der Extremadura, und alle haben eines gemeinsam. Sie sind alle überaus interessiert daran, Hanf anzubauen. Es wäre überaus gut für die Extremadura und für ganz Spanien. Und was bauen wir heute an? Mais in erster Linie, und der Anbau ist überhaupt nicht rentabel. Man pflanzt Mais an, weil es einfach geht. Dazu kommen Tomaten und auch Tabak, wo historisch gesehen die Extremadura Hauptanbaugebiet in Spanien ist. Die Tomatenernte war dieses Jahr wieder auch aufgrund der meteorologischen und klimatologischen Bedingungen ausgesprochen schlecht.
Das ist aber nicht der Hauptgrund, das Problem sind die ausgezehrten Böden. Wir müssen endlich beginnen, auf Rotationsanbau zu setzen, wofür sich auch der Hanf exzellent eignet. Und was den Tabak betrifft, zum Glück wird stetig immer weniger geraucht, und wir in der Extremadura bauen einen überaus hochwertigen Tabak an. Doch Tabak und Hanf ähneln sich sehr im Anbau, es wäre die ideale Lösung und Alternative. Die Anbauzeit ist dieselbe von der Aussaat bis zur Ernte, und auch die Trockenhallen sind für beide Produkte gleichsam nutzbar. Hier müsste eigentlich nur die staatliche Tabak-Verarbeitungs- und Vermarktungsorganisation CETARSA ihre Richtlinien ändern, und eben fortan auf Hanf setzen. Wie es auch in vielen Staaten der bereits EU gemacht wird, dass eben die CBD-reichen Blüten verkauft werden.
Hier in Spanien ist der Verkauf in Automaten oder bei Tabakläden verboten. Und Wasser ist in der Extremadura kein Problem, wir haben einen wasserreichen Norden dank der Sierra de Gredos, und im Süden haben wir ein System aus einer Vielzahl an Talsperren und Acequía-Bewässerungskanälen.
Hanf Magazin: Wie sehen Sie die aktuelle politische Lage für eine Regulierung von Hanf und in weiterer Folge auch Cannabis? Und auch eine Ausweitung des Technologie-Clusters in Badajoz auf Medizinalhanf und THC-reiche Sorten?
Rosa de la Torre: Das muss sich ändern, und es ändert sich auch international viel in einem doch ansehnlichen Tempo. Und es wird sich ändern. Wir haben hier in der Extramdura politisch auch den kompletten Rückhalt der Regionalregierung, die die Sozialdemokraten, der PSOE stellen. Und wir haben auch die Unterstützung von PSOE-Senatoren im Oberhaus in Madrid. Sie sind mit uns einer Meinung, und wenn wir belegen, dass diese Pflanze und deren Pflanzungen nützlich sind, nicht nur für die Extremadura, eine der ärmsten Regionen Spaniens, sondern für das gesamte Land, dann steigt unsere Hebelwirkung auch innerhalb des PSOE und der Regierungskoalition (Anm. Wo ja „Unidas Podemos“ klar für eine Regulierung auch des rekreativen Cannabis eintritt).
Der regionale Rückhalt der Sozialdemokraten kann auch die gesamte Partei wirken, wie ich hoffe. Sicher ist, dass Thema Hanf und Cannabis muss sich normalisieren, und es muss reguliert werden. In erster Linie der Industrie- und Nutzhanf, aber auch der psychoaktive, dem man eine Permissivität einräumen sollte, die es zu ermessen gilt, vom Eigenbedarf bis wohin? Man kann beide Themen nicht separat voneinander betrachten. „Wenn man in der „Champions-League“ von Hanf bestehen möchte, dann muss man mit Medizinal-Cannabis arbeiten“.
Daran besteht kein Zweifel. Der Medizinalhanf ist die Zukunft, es ist nicht nur das lukrativste Feld, es ist auch das Beste, weil dieser vielen Menschen helfen kann. Unter unseren Partnern im Cannabis-Cluster haben wir medizinische Labors wie das CICAB in Badajoz, das mit dem Gesundheitssystem der Region zusammengehört, und wir haben Kooperationen mit einer Vielzahl an Universitäten wie die polytechnische Universität von Valencia.
Alle wollen mit Medizinalcannabis arbeiten. Wir wissen, das CBD überaus wirksam ist, aber weit wirksamer ist die Pflanze in der Summe ihrer Bestandteile. THC ist in der Medizin fundamental. Angefangen von der Schmerztherapie bis hin zu Verhaltenstherapien bei Angstzuständen und vielem mehr. Cannabis in seiner gesamten Zusammensetzung kann, und da bin ich mir sicher, den überwiegenden Teil der Opiat-Präparate ersetzen, von denen man ja nur zu gut weiß, welche Abhängigkeiten diese verursachen, bis hin zum Risiko der Überdosierung. Das muss reguliert werden, und nicht nur für die Pharmakonzerne, die ohnehin längst daran forschen. Es muss ein Zwischenglied geben für Schmerzpatienten, für terminal Erkrankte, bei Knochenleiden und vielem mehr.
Es braucht Cannabis auf Rezept, Blüten oder Extrakte oder Öle, die aber CBD und THC enthalten. Und man muss die Mediziner dahingehend schulen. Es gibt noch immer Ärzte, für die Cannabis nur ein Joint ist. Es kann nicht sein, dass schwer Kranke in der Pandemie ihr Leben riskieren, um ein paar Blüten aus einem marginalisierten Bezirk der Städte zu besorgen. Dispensatorien in den Apotheken und auf Rezept wäre ein Weg. Es müssen die überaus restriktiven Auflagen der Medikamentenagentur gelockert werden. Diese stellen einen Filter für Forschung und Unternehmungen dar, der zahllose Initiativen aussiebt.
Auch bei uns im Cannabis-Cluster müssen alle mitwirkenden Unternehmen ihre eigenen Lizenzen und Genehmigungen haben. Es gibt noch einige Hindernisse, die man sukzessive überwinden muss. Und gleichzeitig ist es Aufgabe der Forschung, eine wissenschaftliche Basis zu liefern. Mittlerweile gibt es auch immer mehr klinische Studien.
Hanf Magazin: Wie viel Anbaufläche hat der Cluster?
Rosa de la Torre: Wir haben eine Kooperation mit Bhalutek Hemp, für eine Forschung gemeinsam mit der spanischen Medikamentenagentur. Bhalutek Hemp war es mit uns vom CTAEX, die quasi als Tandem den Cluster geschaffen haben. Der Anbau ist nur Indoor, und auch hier geht es um die Analyse der Pflanzen-Züchtungen. Mit einer italienischen Firma haben wir noch eine zweite Anbaufläche, auch Indoor, wo es um die Reproduktion von Hanfsamen geht, die reich an CBD sind und kaum THC enthalten, die zertifiziert sind, und für künftige Hanfbauern bestimmt sind. Die Warteliste ist jetzt schon elendslang, und erst im Mai werden wir die ersten Samen ausliefern können. In der EU gibt es nur knapp 70 zugelassene CBD-Hanfsamen, auch da man unlängst einige von der Liste gestrichen hat.
Zur Person
Rosa de la Torre (*1959 in Badajoz, Extremadura) ist Chemikerin und leitet die Lebensmittel-Technik-Sparte am CTAEX (Centro Tecnológico Agroalimentario Extremadura) in Badajoz, wo sie seit dem Jahr 2000 forscht. De la Torre begann dort Industriehanf und Cannabis in Kooperation mit Universitäten zu analysieren, und wurde damit sukzessive zu einer Referenz in Spanien in Sachen Cannabidiol-Analyse. Im November 2020 rief sie mit Bhalutek Hemp den Technologie-Cluster der Extremadura, den Polo Tecnológico del Cañamo ins Leben. 21 Unternehmen sind hier vereint, um Hanf und auch Medizinalcannabis zu erforschen und zu vermarkten.
fotocredit: CTAEX die Laborfotos, die Plantage Bhalutek Hemp