Zu wenig Menschen gehen auf Hanfdemos oder schließen sich zusammen, um aus der Gruppe heraus selbst als Legalize Aktivist aktiv zu sein. Wer doch auf diese Demos und Veranstaltungen geht, sieht einige Gesichter nicht zum ersten Mal. Viele dieser Menschen wirken gar nicht wie jene Kiffer, die all diese „schlimmen“ Klischees erfüllen – sie sind ganz gewöhnliche Bürger, viele sind Cannabispatienten oder Angehörige jener.
Was treibt einen Schwerkranken dazu, mit anderen zusammen eine Demo, eine Podiumsdiskussion oder einen Infostand zu organisieren? Ernst Schmidbauer ist so ein Mensch. Auf dem GMM Berlin 2017 nahm er in Sträflingskleidung teil.
Das Interview mit dem Legalize Aktivist Ernst Schmidbauer
Hanf Magazin: Du trägst auf dem GMM oder anderen Veranstaltungen gerne mal die Sträflingskleidung?
Ernst: Du meinst sicherlich die beiden Aktionen in Sträflingskleidung. Ein Fahrrad Gespann mit zehn Sträflingen und ein Anhänger mit einem Hanfblatt hinter Gittern. Das symbolisiert natürlich die Situation der Hanfpflanze, sie ist „eingesperrt“. Wir Fahrer symbolisieren die unter Strafe gesetzten Konsumenten und Patienten ohne Kostenzusage. In Wahrheit ist das nicht sehr anstrengend zu fahren. Das Gefährt gehört Torsten Dietrich, Gründer des CSC Berlin und seines Zeichens auch Aktivist, er veranstaltet auch die GMMs in Berlin. Ich kenne ihn und viele andere von den Treffen, die Maximilian Plenert organisiert, früher mit dem SCM, mittlerweile ohne. Dazu gehört auch eine Selbsthilfegruppe für kranke Menschen, die von der Ortsgruppe des Deutschen Hanfverbandes mit organisiert wird.
Hanf Magazin: Auch Cannabis-Patienten dürfen sich mit Pech den Knast von innen ansehen. Ist dir das als Patient schon passiert, kennst du Betroffene oder Vorfälle?
Ernst: Tatsächlich ja. In meinen jungen Jahren glaubte mir niemand, dass ich Schmerzen habe und natürlich versuchte ich erst gar nicht die Richter zu überzeugen, dass ich es aus gesundheitlichen Gründen konsumiere. Also, ja, ich habe eine Latte von Verstößen gegen das BtMG.
Hanf Magazin: Wie alt bist du eigentlich? Wie bist du zum Hanf gekommen? Wie bist du zum Cannabispatienten geworden? Wie zum offiziellen Patienten, der legal konsumieren darf?
Ernst: Ich bin 1966 geboren und zum Zeitpunkt des Interviews 50 Jahre alt. Ich habe mit 18 das erste Mal einen Joint geraucht, aber erst ein paar Jahre danach den therapeutischen Nutzen erkannt. Damals wusste ich nichts von verschiedenen Sorten und ich nutzte, was ich bekommen konnte. Damals eben Hasch vorwiegend aus Marokko. Mitte der Neunziger fand ich einen Arzt, der mir Glauben schenkte und mir Tilidin verschrieb, damals in Tropfenform, da es noch keine retardierende gab, wie heute. Aufgrund meines Vorlebens, wo auch Heroin eine Rolle spielte, kommen für mich keine anderen Schmerzmittel infrage, die aus Mohn gewonnen werden, oder eine ähnliche chemische Struktur aufweisen. Bei Tilidin wird ein Gegenmittel mitgegeben, das verhindert einen Missbrauch. Zu dieser Zeit hörte ich auf mit allen anderen Mitteln, auch Cannabis war kein Thema mehr.
Es muss 2002 gewesen sein, als ich das erste Mal davon hörte, dass man Cannabis in der Medizin nutzen könnte. 2009 fing ich an, den DHV finanziell zu unterstützen und las mich in das Thema ein. Hintergrund war der Umstand, dass die Nebenwirkungen des Tilidins immer stärker wurden, und ich eigentlich die Dosis erhöhen hätte müssen, um beschwerdefrei zu sein.
2014 begann ich Cannabis als Therapieoption ernsthaft ins Auge zu fassen. Hier begann ich auch meinen Arzt zu bearbeiten, also ihn zu informieren und darauf vorzubereiten, nach der Erlaubnis zu fragen. Am 01.10.16 war es dann so weit, ich hielt meine Erlaubnis in der Hand und ein paar Tage später das Cannabis.
Hanf Magazin: Seit wann stehst du als Legalize Aktivist in der Öffentlichkeit und was sind seitdem deine typischen Aktivitäten?
Ernst: Mit meinen Namen erst, seit ich die Erlaubnis habe. Ich bin Gründungsmitglied der Berliner Ortsgruppe des Deutschen Hanfverbandes. Seit ich in Berlin lebe, lies ich keinen GMM aus und auch keine Hanfparade. Zu Beginn als Sympathisant, dann als Betroffener und nun als Aktivist.
Hanf Magazin: Du hast zum 420 in diesem Jahr den ersten legalen deutschen „Smoke-in“ im Görlitzer Park veranstaltet. Patienten fanden sich ein, rauchten öffentlich und auch legal ihre Medizin. Hat solch ein Event mediale Tragweite, können solche Aktionen das Denken der Menschen rund um den Hanf normalisieren?
Ernst: Eines hat er definitiv geschafft: Er hat Menschen dazu gebracht, über den Irrsinn zu diskutieren, dass wir von der Polizei bewacht werden und die uns zusehen, wie wir genau dasselbe konsumieren, das gestern von denselben Uniformträgern verfolgt wurde. Irre, oder? Also manifestiert hat es sich in einer Beschwerde eines Anwohners bei der Polizei. Er fragte zu Recht, „Wie kann es sein, dass ich 500 Eure Strafe bezahlen soll für eine kleine Pflanze, die ihr mir weggenommen habt, und die hier kiffen vor aller Augen?“ Diese Frage kann ich natürlich nicht beantworten, das sollen mal schön Frau Mortler oder Herr Gröhe tun.
Derzeit haben wir schon wieder kein Cannabis in ausreichender Menge in den Apotheken und die MDKs beginnen sämtliche Diagnosen infrage zu stellen, um eben kein Cannabis bezahlen zu müssen. Natürlich konsumiere ich zu Hause meine Medizin nicht in einer Bong mit viel Rauch und Gehuste, nein ich nutze einen Vaporizer. Aber um medienwirksam Aufmerksamkeit zu erregen, ja, da nutzen wir unseren Patientenstatus und rauchen in aller Öffentlichkeit Glaswasserpfeifen.
Je nachdem, was ich erreichen möchte, ist es eben die Bong, oder nur eine Purpfeife. Laufe ich mit dem großen Kolben durch eine Demo oder fahre auf dem Rad mit, sind Kameras garantiert. Damit zeige ich zum einen den anderen Konsumenten, sie müssen keine Angst haben, sie dürfen ruhig in aller Öffentlichkeit konsumieren, ich machte das sogar, beim CSD 2017 hinter dem Mottowagen der Polizei, der von Polizisten natürlich umzingelt war.
Wer das sieht, ein Rezept hat und sich danach traut in der Öffentlichkeit normal zu konsumieren, hat verstanden, um was es ging. Nun, wenn das plötzlich überall geschieht, es überall nach Blüten riecht, dann haben wir unser Ziel erreicht. Der normale Bürger wird sehen und verstehen, dass es sich hier nicht um das „Teufelszeug“ handelt, sondern eben etwas eher Harmloses ist. Es normalisiert sich.
Hanf Magazin: Du hast mehrere Aktivitäten nebeneinander am Laufen. Du bist in der DHV Ortsgruppe Berlin aktiv, gehst auf Veranstaltungen oder wirkst an diesen mit. Wie genau gestaltet sich das?
Ernst: Ich habe damals mit Florian Rister die Berliner Ortsgruppe des DHV gegründet, das war kurz nach der Millionärswahl. Ich sehe das so: Die Legalisierung kann nur kommen, wenn das Volk aufgeklärt ist. Solange Hanf unbekannt ist, hat die Mehrheit Angst und glaubt diese Lügenmärchen von der Einstiegsdroge. Das bedeutet, dass wir so viele wie nur irgend möglich aufklären müssen. Zu diesem Zweck haben sich immer mehr Ortsgruppen gegründet, die mehr oder weniger erfolgreiche medienwirksame, lokale Aufklärungsarbeit leisten.
Ich versuche so viele Veranstaltungen, wie nur möglich, mitzunehmen. Umso mehr Menschen sich zeigen, um so mutiger werden die restlichen noch im verborgenen wirkenden, sich auch zu zeigen. Allein der Umstand, dass die Verantwortlichen der neu gegründeten Cannabisagentur sich so dermaßen verrechnet haben, was die Bedarfsmenge angeht, zeigt doch deutlich, wie hoch der echte Bedarf ist und wie viele Menschen wirklich so weit gehen und sich neben den echten Kranken sogar ein BtM Rezept holen würden.
Das BtMG sagt eigentlich deutlich, dass es zwei Gründe gäbe, um zu legalisieren. Einmal der Wissenschaftliche und Medizinische und zum anderen der Umstand des öffentlichen Interesses. Wenn es die Mehrheit will, haben wir das Interesse, also schaffen wir es.
Hanf Magazin: Hattest du vorher auch bezahlte Arbeit oder ist das jetzt die große Chance für dich auf ein normaleres Leben?
Ernst: Ja hatte ich, ich war Supervisor der Kundenbetreuung eines Computerhändlers. Ich habe dort dem Druck nicht mehr standgehalten. Als meine Schmerzerkrankung eine neue Qualität erreichte, kündigte ich diese Stelle auf ärztlichen Rat. Kurz danach erhielt ich die Erlaubnis. Die Bundesagentur für Arbeit versuchte alles, mich wieder in Arbeit und Lohn zu bringen. Ein Arzt bescheinigte mir vorher, bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausführen zu können. Im Moment gibt es noch nicht viele Arbeitgeber, die es tolerieren, dass ich an schlechten Tagen alle zwei Stunden Cannabis konsumiere und danach gleich wieder arbeite. Die meisten haben immer noch Angst davor. Unwissenheit eben.
Hanf Magazin: Mit dem März 2017 sollen die Kassen bei schweren chronischen Leiden die Cannabismedizin erstatten. Welche Leiden beklagst du und zahlen die Kassen für dich?
Ernst: Ich leide an Fibromyalgie und einer Gicht-Form, bei jedem anziehenden Unwetter oder sich ändernde Großwetterlagen schmerzen meine Finger und Zehenglieder, besonders die großen Zehen. Morgens brauche ich etwa 3 Stunden, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Erst das erste Cannabis am Morgen vertreibt die Steifigkeit, ohne könnte ich nicht normal laufen, nicht Rad fahren oder etwa Buchstaben auf der Tastatur treffen. Die Kasse bezahlt nicht. Noch nicht. Ich war so naiv zu glauben, wenn das Gesetz sowieso auf dem Weg ist, den Antrag vorher zu stellen. Weit gefehlt, weder die Kassen noch die medizinischen Dienste sind bereit, flächendeckend den Patienten das Kraut zu bezahlen.
Der Gesetzgeber hat eindeutig den Ärzten die Therapiehoheit zugesprochen, die Kassen aber verhindern es. Nun wurde wohl mein Hausarzt eingeschüchtert mit Regressandrohung. Man warf ihm wohl vor, ich sei nicht austherapiert, obwohl ich es bin. Aber das dürfte gar kein Grund sein. Jetzt hat er mich an eine Schmerzärztin überwiesen, die mich vor Jahren mal ablehnte, als sie hörte, dass ich in der Vergangenheit Heroin nahm. Dieses Mal hörte sie mich an und war auch sehr interessiert, nahm das Buch von Dr. Grothenhermen dankend an und kopierte sich die Vordere und Rückseite. Ich hatte es mir nur geliehen und musste es zurückbringen. Glücklicherweise hat sie es auch bei einem Schmerzkongress in Berlin ihren Kollegen gegeben. Jetzt muss ich alle möglichen Untersuchungen von vorne beginnen, ich bin auch bereit neue Therapieoptionen auszuprobieren und bin nicht auf Cannabis fixiert. Aber die Erfahrung hat mir gezeigt, dass nichts anderes so gut hilft.
Hanf Magazin: Du selbst hast als Legalize Aktivist gewiss ähnliche Erfahrungen wie andere gemacht: Viel zu wenige Menschen besuchen die Demos oder Veranstaltungen und man sieht dort viele Gesichter immer wieder. Woran liegt das, dass jeder die Kraft findet, zum Dealer zu gehen, aber kaum einer für sein Recht auf einen sinnvoll regulierten Markt auf die Straße geht?
Ernst: Ich glaube, es liegt nicht an der Kraft, sondern am Umstand nicht betroffen zu sein. Zumindest denken es die meisten. Und viele sind Feige. Sie trauen sich nicht auf die Straße zu gehen, aus Angst, der Ruf könnte Schaden nehmen, wenn sie erkannt oder womöglich verhaftet werden. Wer beim Deutschen Hanfverband nachfragt, woher die meisten Unterstützer kommen, erhält als Antwort, aus Süddeutschland, dort wo die Repression am höchsten ist.
Hört man sich bei den Berliner Aktivisten um, kommen die meisten aus diesen Bundesländern. Ich stamme aus Bayern, Florian Rister vom DHV aus Hessen, viele weitere aus Bayern, Franken, Schwaben, Baden-Württemberg. Wir sind omnipräsent.
Hanf Magazin: Vor wenigen Jahren sagten viele noch, dass „die niemals den Hanf legalisieren“ werden. Heute ist es nur noch die Frage von Jahren, dann wird Hanf auch hier wieder richtig legal sein. Was denkst du, wie geht es für die Patienten, wie geht es für die Genusskonsumenten weiter in diesem Land?
Ernst: Ich glaube, der Spuk ist in ein paar Jahren vorbei. Patienten werden, je nach Krankheit, Pillen oder Blüten erhalten, auf Kosten der Kassen. Genusskonsumenten werden sich in CSCs organisieren und, das Ganze wird einen Kult entwickeln, wie rund um das Bier.
Hanf Magazin: Denkst du, dass deine Arbeit dabei einen Unterschied macht? Oder ist das alles die Frage vom großen Bruder und wir können das sowieso nur aussitzen und abwarten?
Ernst: Ich allein bin nur ein Tropfen, doch wir alle können ein reißender Fluss sein. Deswegen müssen alle auf die Straße gehen und das Gesicht zeigen. Wenn wir die Mehrheit sind, haben wir es geschafft.
Hanf Magazin: Abgesehen von der Öffentlichkeitswirkung: Hattest du persönliche Erfolge oder auch Niederlagen in deiner Tätigkeit als Legalize Aktivist?
Ernst: Ja hatte ich. Mein größter Erfolg war der Smoke-in am 20.04.2017 im Görlitzer Park. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass die Anmeldung mit Bong, medizinischem Cannabis und allen anderen Rauchgeräten gelingt. So ohne Weiteres ging das durch, wir mussten lediglich einem angrenzenden Jugendheim Bescheid geben und ansagen, dass man keine Weitergabe dulden wird und auch keinen offensichtlich illegalen Konsum. Mit Letzterem war Hasch gemeint. Tatsächlich wurde nichts kontrolliert und niemand festgenommen. Unsere Aktion wurde von Exzessiv TV, Vice und von vielen Privaten gefilmt und auf Facebook und YouTube verbreitet.
Die Aktion wurde von einigen Patienten nicht gut aufgenommen. Es folgten einige Angriffe in sozialen Medien gegen mich und einige Mitstreiter. Ich fragte unter anderem Max Plenert und Michael Knodt, ob sie eine Rede halten. Beide sind beim SCM zu dieser Zeit aktiv gewesen, mein Chef, Rüdiger Klos-Neumann war auch beim SCM. In dessen Mailverteiler wurde über diese Aktion extrem hergezogen. Die Sache ist aber vorbei, die Wogen geglättet. Aber bei jeder Aktion von einem von uns geht es wieder von vorne los. Maik Zorn zum Beispiel ist auch im SCM aktiv, aber er lässt sich sein Leben nicht vorschreiben und startet mit mir zusammen die ein oder andere provokante Aktion. Der Streit nach dem richtigen Wie frisst viel zu viel Energie, die eigentlich für das Erreichen des gemeinsamen Ziels nötig ist. Daher versuche ich mich zu ändern, indem ich nicht mehr auf solche Provokationen eingehe.
Hanf Magazin: Was planst du für die Zukunft, um vielleicht noch etwas mehr Druck auf die Gesellschaftsentscheider zu machen?
Ernst: Ich werde weiterhin bei jeder Aktion mitmachen, zu jeder Demo, die für mich erreichbar ist, fahren und jedem erzählen, wie gut Cannabis mir hilft. Und jede Gelegenheit nutzen, um aufzuklären. Zum einen, dass man keine Angst haben muss und Cannabis die Welt ändern wird, zum anderen, dass jeder gebraucht wird, jede Stimme zählt. Ich schicke auch E-Mails an Politiker. Ich bitte um die Freigabe und dafür, dass man sich dafür einsetzen soll.
Hanf Magazin: Dein Aufruf an unsere Leser:
Ernst: Kommt zur Hanfparade nach Berlin dieses Jahr, erfahrt selbst, wie sich Freiheit anfühlen kann, und tragt dieses Gefühl zurück in eure Orte. Unterstützt eure lokalen Cannabisaktivisten bei deren Aktionen. Schließt euch zusammen und kämpft für euer Recht. Spendet den euch naheliegenden Organisationen Geld. Es gibt viele, die ihr Gesicht zeigen und ihr komplettes Leben für den Kampf um Cannabis widmen. Das ist ein Vollzeitjob, der nicht besonders anständig bezahlt werden kann. Es liegt an euch, wie es weitergeht mit unseren grünen Lieblingsdame.
Soweit Ernst Schmidbauer als einer der Legalize Aktivisten, die die Cannabis-Legalisierung hoffentlich etwas schneller vorantreiben.