Interview mit Jacopo Paolini
Der Umgang mit Cannabis in Deutschland, auch der medizinische, ist im Grunde nur auf THC und CBD ausgerichtet. Auch der Markt der cannabidiolhaltigen Produkte orientiert sich meist lediglich am CBD-Gehalt und bringt nur am Rande die Begriffe Vollspektrum und Entourage-Effekt ins Spiel. Die Betrachtung der Wirkstoffzusammensetzung als Ganzes, etwa das Cannabinoid- und Terpenprofil, wird eher vernachlässigt. Andernorts, zum Beispiel in Kalifornien, orientiert sich sogar der Handel mit THC-reichen Cannabisprodukten sowohl am Cannabinoid- als auch am Terpenprofil der Pflanzen und der Erzeugnisse. Natürlich ist das THC-Level dort auch enorm wichtig, aber ebenfalls das Wirkstoffspektrum als ganzes. Dieses Konzept und die Erfahrungen damit hat das europäische Hanf-Unternehmen ENECTA für seine Produkte übernommen, um ein zuverlässiges hochqualitatives Produkt zu standardisieren.
Auf der Suche nach dem besten Rohstoff für die Extraktion hatte ENECTA damit begonnen, selbst Hanfsorten zu entwickeln, die speziell auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Doch die Pflanzen genügten nicht nur den Ansprüchen der ENECTA Produktion, sie erwiesen sich auch schnell als eigenständiges, marktreifes Produkt. ENECTA FARM verfügt nun über zwei Unternehmens-eigene Hanfsorten, die im Europäischen Nutzhanfkatalog zu finden sind. Im Gespräch mit dem CSO von ENECTA, Jacopo Paolini, konnten wir in die Hintergründe eines führenden europäischen Hanfextrakt-Unternehmens eintauchen und vor allem einiges über die selbst entwickelten Hanfsorten von ENECTA FARM erfahren.
Hanf Magazin: Der Unternehmenssitz ist in den Niederlanden. In welchen Ländern der Welt ist ENECTA darüber hinaus geschäftlich tätig?
Jacopo Paolini: Natürlich findet man ENECTA in den Niederlanden und Italien, dann auch in Spanien, Deutschland, Österreich, Portugal und Griechenland. Wir haben aber auch einen Kunden in Brasilien, ein Pharmaunternehmen, und einen Kunden in Japan, in Großbritannien und Irland hatten wir auch schon Kunden. Im UK ist es allerdings durch den Brexit schwieriger geworden. Die Märkte, auf denen ENECTA am aktivsten ist und sehr präsent, sind Italien, Spanien, Griechenland und Deutschland.
Hanf Magazin: Ist das Geschäft in Japan eher im Wholesale Bereich, oder geht es doch um die ENECTA Extrakt-Produkte im Einzelhandel?
Jacopo Paolini: Nein, wir haben dort einen Vertrag mit einem größeren Unternehmen der Kosmetikbranche. Aus rechtlichen Gründen beziehen sich geschäftliche Aktivitäten in Japan im Moment noch ausschließlich auf Kosmetik. Derzeit werden auch Tests mit einem Nahrungsergänzungsmittel durchgeführt, doch bis diese Prozesse abgeschlossen sind, wird noch bis zu acht Monaten dauern.
Hanf Magazin: Gerade wurde eine Studie veröffentlicht, welcher zufolge in Deutschland jeder zweite eine Art Nahrungsergänzungsmittel verwendet. Das ist natürlich nicht nur CBD oder andere Hanf Extrakte, sondern auch Vitamine, Mineralien und alles Mögliche. Aber hättest Du gedacht, dass Nahrungsergänzung in der Bevölkerung eine solch große Rolle spielt? Der Markt ist also tatsächlich riesig.
Jacopo Paolini: Natürlich wünschen wir uns das auch so. In den Niederlanden ist CBD als Nahrungsergänzung schon wesentlich akzeptierter und dementsprechend weitverbreitet. Und für die Akzeptanz sind wir auch in Prozesse der Novel Food Anträge der EIHA (European Industrial Hemp Association) involviert. Vor wenigen Wochen hatte ich ein Meeting mit der Europäischen Kommission im Rahmen einer großen Debatte über Novel Food, zu der Unternehmen aus allen EU-Ländern eingeladen waren. Man hat uns zugesichert, dass in absehbarer Zukunft CBD als Nahrungsergänzung innerhalb der EU rechtlich vollständig akzeptiert werden soll. Wenn das geschieht, wird der CBD-Markt wirklich riesig werden.
Hanf Magazin: Neben Anträgen auf Zulassung von CBD-Produkten als Novel Food bestehen immer noch Anstrengungen darzulegen, dass ein Hanfextrakt, welches lediglich sein natürliches Wirkstoffspektrum beinhaltet, kein Novel Food ist. Wie stehst Du dazu?
Jacopo Paolini: Wenn man eine Extraktion vornimmt, ist es fast unmöglich, dass dabei das Verhältnis aller Wirkstoffe im Endprodukt das gleiche ist wie in der als Rohstoff verwendeten Pflanze. Das würde nur bei einer Extraktionsmethode funktionieren, die dem Aufbrühen von Tee entspricht. Das wäre aber äußerst ineffizient. Extrakte aus Hanf werden heute mit unterschiedlichen Methoden gewonnen, und diese Methoden liefern eine andere Wirkstoffzusammensetzung als der Ausgangsstoff.
Hanf Magazin: Der durchschnittliche Verbraucher kennt ENECTA durch die CBD-Produkte, er wird den Namen des Unternehmens nicht unbedingt mit Hanfsamen in Verbindung bringen. Wie würdest Du das beschreiben, ist das Geschäft mit Hanfextrakten wesentlich größer als der Handel mit Samen im Großhandel?
Jacopo Paolini: Die von uns entwickelten Hanfsorten ENECTALIANA und ENECTAROL wurden geschaffen, um unseren eigenen Anforderungen gerecht zu werden und unseren Bedarf zu befriedigen. Sie haben uns in die Lage versetzt, unseren Kunden eine konstante Qualität zu liefern, mit gleichbleibendem Terpenprofil. Im letzten Jahr hatten wir zum ersten Mal ENECTALIANA auf den Markt gebracht, mit dem Ziel, die Samen zu verkaufen. Es war eine kleine Charge, weniger als eine Million Samen. Nach zwei Monaten waren sie ausverkauft. Die Kunden waren begeistert von der Stabilität des Strains, vom reichen Terpenprofil und dem großen Ertrag an Biomasse, die man damit gewinnen konnte. In diesem Jahr haben wir dann ENECTA FARM als Tochterunternehmen gegründet und aufgebaut. So sind die zwei Geschäftsbereiche dann getrennt, ENECTA für die Hanf-basierten Produkte und ENECTA FARM für die Samen. ENECTA FARM ist also noch neu, aber der Markt für Samen ist groß und das Geschäft gewinnt daher an Bedeutung.
Hanf Magazin: Manche Nutzhanfsorten neigen dazu, gerade im Anbau in südlichen Regionen, höhere THC-Konzentrationen auszuprägen als die erlaubten 0,2 Prozent. Wie sieht es da bei ENECTAROL und ENECTALIANA aus? Welche THC-Konzentrationen können diese Sorten hervorbringen?
Jacopo Paolini: Im letzten Jahr war der größte Markt für uns in Spanien, in der Region um Almeria im Süden. Dort ist das Klima beinahe wie in Marokko, dort wachsen zum Beispiel auch Mango und Avocado. Wir hatten dort mehrere Tests durch die Behörden, und alle wiesen unseren Pflanzen einen THC-Wert von weniger als 0,2 Prozent aus. ENECTAROL und ENECTALIANA sind für die landwirtschaftlichen Betriebe also eine hervorragende Option.
Hanf Magazin: Man sagt, es geschieht wesentlich leichter, dass ein Strain aus dem EU-Sortenkatalog für Nutzhanf verbannt wird, als dass es gelingt, eine neue Sorte in den Katalog aufnehmen zu lassen. Ist das richtig?
Jacopo Paolini: Ja, absolut. Die Sorten müssen allein schon drei Jahre sehr strenge Test- und Kontrollverfahren durchlaufen. Die Varietät muss in der Reproduktion in industriellen Größenordnungen gleichbleibende Eigenschaften aufweisen hinsichtlich der Größe, der Farbe, der Form und der Dimensionen der Blüten. Die Pflanze muss einfach stabil sein. Weiterhin muss eine neue Sorte sich definitiv von anderen unterscheiden, sie muss sozusagen einzigartig sein. ENECTALIANA darf zum Beispiel nicht sein wie Carmagnola. Besteht man die Tests, so erhält man so etwas wie ein Copyright. Andere Züchter dürfen die Sorte nicht kopieren und auf den Markt bringen. Wenn man dieses Recht erworben hat, so wird die neue Sorte im Anschluss in größerem Maßstab kultiviert. Dadurch sieht man, ob die Varietät Eigenschaften besitzt, die für Landwirtschaftsbetriebe wünschenswert sind, wie einen besonders reichen Ertrag oder besonders qualitative Blüten.
Hanf Magazin: ENECTAROL ist eine Hanfsorte, die hohe Cannabigerol-Erträge liefern kann. CBG gewinnt zunehmend an Bedeutung, je mehr über das Gesundheitspotenzial des Cannabinoids herausgefunden wird. Spürt ENECTA einen wachsenden Bedarf an CBG-Hanf? Wie sind die Erträge bei ENECTAROL im Vergleich zu anderen CBG-reichen Sorten?
Jacopo Paolini: CBG ist gewissermaßen die Mutter aller Cannabinoide, im Verlauf des Lebenszyklus der Pflanze wandelt es sich in all die anderen Cannabinoide um. In Bezug auf CBG hat ENECTA ebenfalls einen Blick über den großen Teich geworfen. Natürlich ist CBD heute neben THC das bekannteste Cannabinoid. Doch verschiedene Studien aus den USA weisen gerade CBG hochwirksame antibakterielle Eigenschaften nach. Auf dem Markt ist es noch nicht so lange bekannt und viele haben die Potenziale dieses Cannabinoids noch nicht verstanden. Doch CBG wird das nächste Cannabinoid sein, auf das die Welt die Augen richtet. Darum haben wir uns auch so intensiv damit befasst, obwohl der Markt noch nicht wirklich reif dafür ist.
Hanf Magazin: Deutschland diskutiert die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel. Würde eine solche Reform anderen Cannabinoiden den Weg in die Mitte der Gesellschaft ebnen?
Jacopo Paolini: Definitiv! Selbstverständlich bin ich ein großer Fan von CBD, aber auch von den Möglichkeiten, die THC bietet. Und ein echtes Vollspektrum-Produkt ist auch nur möglich, wenn der Zugang zu allen Cannabinoiden legal und reguliert ist. Der echte Entourage-Effekt kommt nur mit allen Wirkstoffen zustande, und da gehört auch THC dazu, auch wenn es in manchen Fällen nur eine geringe Konzentration ist.
Hanf Magazin: Würdest Du erwarten, dass andere europäische Länder nach einer Legalisierung in Deutschland schnell nachziehen würden?
Jacopo Paolini: Ich hoffe es! Ich hoffe es, doch ich denke, dass einige Länder sich wesentlich mehr Zeit lassen als andere. Ich könnte mir vorstellen, dass beispielsweise Frankreich recht zügig legalisieren könnte, und auch die Niederlande könnten einen echten legalen Handel schnell umsetzen. In Italien denke ich, wird es noch lange dauern.
Hanf Magazin: Nun kommen wir zur Hanfsorte mit dem Namen ENECTALIANA. Ich nehme an, der Name hat etwas mit Italien zu tun. Vielleicht kannst Du uns die Pflanze etwas vorstellen und erzählen, wie sie zu ihrem Namen kommt.
Jacopo Paolini: Wir hatten mit einem italienischen Züchter zusammengearbeitet, einem tollen Unternehmen namens Canvasalus. Ich stelle zwar die Pflanze vor, doch ein ganzes, großartiges Team steht dahinter. ENECTALIANA ist eine tolle Sorte, deren Samen zu 95 Prozent nur weibliche Pflanzen hervorbringen. Das ist ziemlich einzigartig und es ermöglicht die Outdoor Reproduktion der Varietät, was wesentlich kostengünstiger ist als die Indoor Zucht. Den Namen hat die Sorte also zu Ehren ihres Züchters, ohne den diese einzigartige Qualität nicht möglich gewesen wäre.
Hanf Magazin: Da die Tätigkeiten von ENECTA sich bisher weitestgehend auf Extrakt-Produkte beziehen, gehe ich davon aus, dass die eigenen Sorten dahin gehend gezüchtet worden sind. Ist es für ENECTA Farm auch vorstellbar, einen Strain für die Fasergewinnung zu entwickeln?
Jacopo Paolini: Ja, das ist nun ein kleiner Spoiler. Im nächsten Jahr werden wir die Sorte CARMENECTA auf den Markt bringen. Diese ist für die Fasererzeugung entwickelt, und liefert dabei gleichzeitig auch einen hohen CBD-Ertrag. Diese beiden Aspekte gleichzeitig mit einer Varietät bedienen zu können bedeutet, dass von der Pflanze wirklich nichts ungenutzt bleiben muss.
Hanf Magazin: Nun möchte ich eine Frage zu den Qualitätsstandards und zur Transparenz stellen, auf die ENECTA so viel Wert legt. Jeder Schritt der Wertschöpfungskette soll nachvollziehbar sein, vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Wie schwer ist es solche Ansprüche aufrechtzuerhalten, angesichts des Preisdrucks durch den Markt, wo CBD-Produkte immer günstiger zu haben sind?
Jacopo Paolini: Ja, den Preisdruck spüren wir selbstverständlich und das ist nicht immer einfach. Wir suchen stets nach Möglichkeiten, wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig keine Abstriche in der Qualität zu machen. Die Entwicklung der Sorte ENECTALIANA ist unter anderem ein Ergebnis dieser Suche. Vor ein paar Jahren haben wir noch die Sorte Futura extrahiert, die einen durchschnittlichen CBD-Gehalt von etwa zwei Prozent hervorbrachte. ENECTALIANA enthält im Schnitt sieben oder acht Prozent. Bei einer Extraktion erhält man also ungefähr den vierfachen CBD-Ertrag bei den gleichen Extraktionskosten. Auf den Druck des Marktes kann man also auch anders reagieren als mit Qualitätseinbußen.
Hanf Magazin: Du kennst Dich im Hanf-Business gut aus. Wie sind eigentlich die Bedürfnisse des Marktes? Werden eher Sorten gefragt, die sich für die Extraktgewinnung eignen, oder wird auch viel Faserhanf nachgefragt? Und wie hat sich das in den letzten Jahren verändert?
Jacopo Paolini: Durch den CBD-Boom sind Hanfsorten, die für die Extraktion gezüchtet werden, heute stärker gefragt als früher. In den kommenden Jahren erwarte ich einen stark wachsenden Markt für CBD-Edibles, daher sollten Cannabinoid-reiche Sorten auch in Zukunft stark gefragt sein. Aber auch im Bereich des Faserhanfes werden wir ein starkes Wachstum erreichen. Die Fasern werden ja nicht nur für Textilien gebraucht, sondern beispielsweise auch für Baustoffe.
Hanf Magazin: Mit der letzten Frage möchte ich abermals einen Blick in die Zukunft riskieren. Was erwartest Du, wie sich ENECTA und ENECTA FARM in den kommenden Monaten und Jahren entwickeln werden? Welche Ziele verfolgt Ihr?
Jacopo Paolini: Eines unserer wichtigsten Ziele für die nächste Zeit wird es sein, uns damit zu beschäftigen, wie der Mensch Cannabinoide am besten aufnehmen kann. Viele schwören auf Kapseln oder Tropfen, doch tatsächlich absorbiert man nur einen geringen Teil, ungefähr zwanzig Prozent der eingenommenen Menge. Darum möchten wir herausfinden, was wirklich der effektivste Weg ist, CBD und andere Hanf-Wirkstoffe einzunehmen. Vielleicht ist es das Verdampfen und Inhalieren. Davon bin ich ein großer Fan, allerdings weniger von Liquids, eher von Ölen. Das größte Projekt, an dem ich mit ENECTA in der nächsten Zukunft arbeiten werde, wird der Aufbau eines Schulsystems für Hanf-bezogene Berufe sein.
Nur mit spezialisierter Weiterbildung kann die Branche auch professionalisieren. Die meisten an dem Markt beteiligten, wie Du und ich, haben sich ihre Expertise auf der Straße angeeignet. Nun ist es Zeit für den nächsten Schritt, die nächste Generation muss geschult werden, sodass sich die Branche aus dem Schwarzmarkt und der Subkultur herausentwickelt und eben professioneller wird. Wir wollen also gewissermaßen reinvestieren in Cannabis-spezialisierte Berufe, seien es Züchter, Farmer, Anwälte oder Journalisten. Im letzten Jahr hatten wir bereits einen Versuch gemacht, wir hatten zwanzig Schüler sechs Monate lang unterrichtet in Cannabis-bezogenen Fächern. Und diesen Ansatz der Weiterbildung mit der REEZO ACADEMY wollen wir auch in Zukunft weiter verfolgen.
The Italian company (Development of Enectaliana) is Canvasalus canvasalusrl.it
The Cannabis academy is Reezo Academy enecta.it