„Neue Sortenzüchtungen mit hoher Konzentration an THC und geringem CBD-Werten, das anti-psychotische Wirkung hat, sind problematisch“, sagt Brendan Hughes, britischer Jurist und Experte für neue Drogen, Angebot und Europäische Drogengesetzgebung von der Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) mit Sitz in Lissabon. Gefahrenpotenzial sieht man seitens der EBDD jedoch primär bei „neuen psychoaktiven Substanzen“. Aber auch bei steigendem intravenösen Konsum von Amphetaminen, Stimulanzien und dem synthetischen Opiat Fentanyl. Interview mit Brendan Hughes, Rechtsexperte der Europäischen Behörde für Drogenmissbrauch und Sucht in Lissabon.
Hanf Magazin: Mehr und mehr Cannabis-Konsumenten suchen psychologische Hilfe, Statistiken zu Folge. Wie erklärt man diese Tendenz bei der EBDD in Lissabon?
Brendan Hughes: Knapp ein Prozent der EU-Bevölkerung, der Erwachsenen wohlgemerkt, sind tägliche Cannabis-Konsumenten. Und das ist in der Tat kein zu verharmlosendes Konsumverhalten. Es ist wahr, mehr und mehr Menschen suchen in Sachen problematischem Cannabis-Konsum um Hilfe von Experten an, primär Psychologen. Was wir aber nicht wissen, ist warum sie das tun. Ist es, weil sie wirklich Hilfe benötigen? Aus freiwilligen Stücken eben. Sehen sie das selber ein, dass sie zu viel Zeit im Cannabis-Rausch verbringen? Dass ihr Konsumverhalten bedenkliche Ausmaße angenommen hat. Merken sie, dass sie dadurch Probleme haben? Bei der Arbeit, beim Studium, im Sozialen etwa. Merken das eben auch ihre Freunde und ihre Familien, die sie zudem darauf hinweisen: Hey, das mit dem Cannabis und Dir ist nicht mehr lustig? Oder ist es, weil man sie an Psychologen verweist, aufgrund der Gesetze, eben um als Konsument einem Verfahren und einer Strafe zu entgehen?
Hanf Magazin: Wie es in immer mehr EU-Staaten Usus ist …
Brendan Hughes: Von einigen Staaten wissen wir, dass das Justizsystem oder eben wie im Falle Portugals, das Gesundheitssystem eine große Zahl an Konsumenten zu psychologischer Beratung verpflichtet und damit in Behandlung schickt. Sprich die Schwankungsbreite der Statistiken ist groß. Und dadurch auch der Interpretationsspielraum der dahinter liegenden Gründe. Auch das, was einzelne Staaten als therapeutische Maßnahme im Zusammenhang mit Cannabis verstehen variiert stark. Von einem Beratungsgespräch, bis hin zur langfristigeren Behandlungen. Doch zeigt sich eine Tendenz nicht mehr gerichtlich gegen Drogenbesitz und Gelegenheitskonsumenten vorzugehen. Oder zumindest die Strafen drastisch zu reduzieren. Sei es eine kleine Geldstrafe, eine Verwarnung der Staatsanwaltschaft, oder etwa ein verpflichtender Psychologentermin, nachdem oder auf dass das Verfahren ad acta gelegt wird.
Hanf Magazin: Das zeigt sich eben besonders in Portugal …
Brendan Hughes: Portugal schickt seit 2008 einen jeden, der mit Cannabis aufgegriffen wird, in spezielle Suchtberatungszentren. Die wie wir wissen einst vor 16 Jahren insbesondere für Heroinabhängige ins Leben gerufen worden sind. Das Problem bekam man in den Griff. Doch zugleich war man alarmiert vom Anstieg der Cannabis-Konsumenten, und dem einhergehenden Aufkommen neuer, stärkerer Sortenzüchtungen. Und man forderte die Polizei auf, Konsumenten nicht einfach die Blüten abzunehmen, sondern sie an die Zentren zu verweisen. Die dahinterliegende Hoffnung ist es, Konsumenten schon sehr früh in einer möglicherweise später in ihrem Leben gefährlichen Drogenkarriere in Präventionsprogramme zu bekommen.
Hanf Magazin: Welchen Anteil könnten neue, potentere Sortenzüchtungen daran haben?
Brendan Hughes: Das Cannabis heute ist um Weiten potenter, als etwa noch in den 1970er-Jahren. Was auch Grund sein mag, dass es die Effekte auf die Konsumenten steigert, und in ihnen psychotische Zustände auslöst, die in Neurosen münden können. Ein Problem hier ist, dass hohe Konzentrationen an THC in neuen Züchtungen mit sehr geringen CBD-Werten einhergehen. CBD hat zahlreichen Studien zufolge nämlich anti-psychotische, beruhigende Effekte. Während das THC eben die psychoaktiven Effekte auslöst. Dieses Ungleichgewicht macht Cannabis problematischer für manche Konsumenten.
Hanf Magazin: Es wird auch stets mehr Cannabis in Europa angebaut, In- und Outdoor, Kleingärtner und regelrechte Plantagen in Lagerhallen oder Gewächshäusern, wie in Südspanien …
Brendan Hughes: Exakt. Es wird in den letzten Jahren der Großteil des Cannabis in Europa produziert. Dadurch entgeht auch immer mehr der Produktion dem Visier der Polizeikräfte. Die Distanz vom Produzenten zum Konsumenten ist weit auch geringer. Was die Risiken, aufgegriffen zu werden, deutlich verringert. Nun kommt es aus Spanien, Frankreich, Portugal. Und eben nicht mehr in den Massen, die einst aus Marokko nach Europa geschmuggelt wurden. Man muss keine EU-Außengrenzen mehr passieren. Dadurch wird auch das Angebot größer, Preise fallen, und zudem, glaubt man den Zahlen, steigt der Wirkstoffgehalt.
Hanf Magazin: Wird die Legalisierung von Cannabis in den USA, für den rekreativen Gebrauch, sich auch auf Europa ausweiten?
Brendan Hughes: Keine Regierung in keinem EU-Staat steht einer solche Legalisierung aktuell offen gegenüber. Es gibt vereinzelt Parteien, kleinere, oder eben auf regionaler oder eben Gemeindeeben. Und eine Fülle an NGOs, die sich zwar dafür einsetzen, aber doch in der Minderheit sind. Wir sehen in den USA, in jenen Staaten die auf eine Legalisierung für den rekreativen Gebrauch gesetzt haben, Schattenseiten. Wie einen wachsenden Trend zu Extrakten. Sprich, man nimmt das Harz der Blüte, das auch im Regelfall einen höheren Stärkegrad aufweist, als die Blüte der Cannabis-Pflanze an sich. Damit nicht genug, nun setzen Produzenten an, das Harz an sich noch weiter zu konzentrieren, was über viele Jahre auch in Hippie-Kreisen mittels Butangas-Extraktion erreicht wurde. Damit erreicht man 50 Prozent, 70 oder gar 80 Prozent THC-Reinheit. Das ist verrückt.
Hanf Magazin: Sprich, es wurden demnach mehr Cannabis-Konsumenten in Notfallambulanzen behandelt?
Brendan Hughes: Es gab nicht nur Notfälle, die in Ambulanzen behandelt werden mussten. Damit ist es nicht getan. In Colorado sind ganze Wohnblöcke beschädigt worden, im Zuge von Explosionen, weil die Prozesse zur Extraktion und Konzentration Butangas, und damit einer hochexplosiven Mischung, bedürften. Das ist ein großes Problem geworden, in jenen Staaten wo Cannabis Legalisierungen umgesetzt wurden. Es gibt definitiv negative Auswirkungen, die sich auch nach bereits sehr wenig Zeit, wie etwa in Colorado, zeigen.
Hanf Magazin: Wie sollen Gesetzgeber das Beispiel annehmen, sinkende Inhaftierungen, sinkende Konsumentenzahlen, sinkende Krankenkassenkosten, und höhere Steuereinnahmen zum Trotz?
Brendan Hughes: Es gibt aber keinen richtigen und keinen falschen Weg, wie man mit dem Thema Drogen und Drogenkonsum als Staat umzugehen hat. Man muss dazu lernen, anhand der Beispiele, und immer darauf achten, dass die Schäden durch den Konsum und mit der Produktion, einhergehen, möglichst gering gehalten werden, für alle. Dabei ist es unsere Aufgabe, eine wissenschaftliche Basis zu erarbeiten, Daten auf denen man Entscheidungen treffen kann.
Hanf Magazin: Was sind die Kerngebiete der EBDD aktuell und die kommenden Jahre?
Brendan Hughes: Neue psychoaktive Substanzen allen voran. Wir zählen knapp 100 neue, potenziell gefährliche Substanzen jedes Jahr. Aber auch neues Konsumverhalten, so sehen wir steigende intravenösen Konsum von Amphetaminen und Stimulanzien generell, wie auch bei synthetischem Koffein. Auch das synthetische Opiat Fentanyl ist eine Gefahrenquelle. Die Todesopfer steigen wieder, durch den intravenösen Gebrauch. Und keinem gefällt es, einen Anstieg in ebenjenem Hochrisiko-Bereich zu sehen. Konsumenten machen das, um einen stärkeren Effekt zu erzielen, und oft aus ökonomischen Gründen. Ein Problem bei den so genannten neuen Substanzen ist, dass es für Konsumenten als altbekannte Droge angeboten wird. Es gab hier einige Todesfälle, unter anderem wegen einem Fehler in einem Drogen-Labor. Das Resultat war eine weitaus stärkere Droge, die fast durch Zufall entstanden ist
Hanf Magazin: Wie kann man gegen neue Substanzen vorgehen?
Brendan Hughes: Man kann proaktiv agieren. Das ist eine Variante, sprich alleine die Annahme, dass eine Substanz psychoaktiv ist, reicht aus, auf dass diese schon nicht legal ist. Oder man geht den Weg der peniblen Analyse. Um erstmal zu klären, ob eine Substanz psychoaktiv ist. Dabei kommt hinzu, dass eine psychoaktive Substanz per se ja auch gar nicht schädlich sein muss. Wenngleich hier einem droht, die Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Denn wo ist die Grenze? Und man wird sich Argumente gefallen lassen müssen, wie: Auch Schokolade und Kaffee sind psychoaktive Substanzen und dergleichen. Beide Extreme sind nicht zielführend. Es braucht einen Mittelweg. Denn zeitaufwendige Tests kosten Ressourcen, und es kann sein, dass einem dadurch eine wirklich schädliche Substanz entgeht. Eine, die Leben kosten kann. Oder man verbietet fast alles. Dann schürt man aber die Zweifel der Konsumenten. Die ohnehin weiterhin konsumieren werden, weil sie davon ausgehen, dass die diversen Pülverchen ohnehin nicht schädlich wären. Und damit unterminiert seine Glaubwürdigkeit weiter. Wie Sie sehen, wir sind hier in keiner einfachen Position, weder als EBDD oder als Gesetzgeber. Auch synthetisches Cannabis bereitet hier zuletzt Probleme.
Hanf Magazin: Was sich deutlich am Umgang mit den „Smartshops“ zeigte, die ja längst im Internet- und auch im „Darkweb“ aktiv sind …
Brendan Hughes: Von 2009 bis 2014 waren es allen voran die „Smartshops“, die mit neuen psychoaktiven Substanzen für erhebliche Probleme gesorgt haben. Die meisten mussten nach Gesetzesänderungen geschlossen werden. Oder sie unterliegen nun eben sehr strengen Kontrollen. Die Versorgung hat sich aber online und in andere Staaten, mit lockereren Gesetzen verlagert. Da Gesetzesänderungen und Verbote meist lange dauern, können die Produzenten und Zwischenhändler abverkaufen oder auf andere Märkte umdisponieren. Polen war ein Beispiel, als dort knapp 200 Substanzen verboten worden sind. Substanzen wurden verramscht, und man sah eine starke Korrelation mit stationären Krankenhausaufenthalten und in Notfallambulanzen.
Zur Person
Der Brite Brendan Hughes (*1968) ist studierter Jurist und seit 2001 Rechtsexperte bei der Europäischen Behörde für Drogen und Drogensucht in Lissabon (EBDD). Dabei studiert er die Situation und die Gesetze im Drogenbereich aller EU-Staaten. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Webtipp:
emcdda.europa.eu