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Krrrrrrrr… der Wecker klingelt. Es ist zehn Minuten vor fünf, eigentlich Zeit zum Aufstehen, aber wie jeden Morgen weigere ich mich hartnäckig, selbiges zu tun. Es folgt eine Bewegung, die wohl jeder von uns kennt: Arm ausfahren und die Schlummertaste drücken. Ich habe weitere 10 Minuten, die gerade so ausreichen, um noch einmal kurz die Augen zu schließen und einzunicken.
Am Ende gewinnt wie immer der Wecker, aber um ehrlich zu sein, gibt es Schlimmeres als aufzustehen und zu wissen, dass mich der Weg in ein mittelständisches Pharmaunternehmen führt, welches mit Cannabis arbeitet. Also nichts wie unter die Dusche, danach einen Kaffee und los geht’s zum Bahnhof.
Gestatten, mein Name ist Michael Beck. Ich lebe in der Region Basel und arbeite bei einem Pharmaunternehmen – kein klassischer pharmazeutischer Betrieb, der Aspirin herstellt – in der Ostschweiz. Mein Arbeitgeber gehört zu den führenden Cannabis Unternehmen in Europa, dessen Hauptfokus auf der Herstellung von CBD-Extrakten, Tinkturen und Blüten und deren medizinischen Anwendung liegt. Produziert wird der CBD-Hanf auf knapp 3000 Quadratmeter Indoor und auf ca. 16.000 Quadratmeter Gewächshausfläche.
Der ein oder andere wird sich jetzt vielleicht fragen, wie man in der heutigen Zeit an diesen Traumjob kommt? Dafür muss ich aber etwas ausholen. Ich stamme aus Deutschland, genauer gesagt aus Thüringen.
Wie die meisten Grower auch begannen meinen ersten Anbauversuche im Alter von 16 Jahren. Meine Ernten waren zu diesem Zeitpunkt mal mehr und mal weniger erfolgreich. Nach meiner Lehre bin ich für zwei Jahre nach Rotterdam gezogen, um in der chemischen Industrie zu arbeiten. Natürlich war auch das Geld ein ausschlaggebender Grund Deutschland den Rücken zu kehren. Ein anderer für mich wichtiger Faktor war die frei verfügbare Rauchware, die in jedem erdenklichen Coffeeshop erhältlich war.
2001 verschlug es mich nach Basel. Ich verliebte mich sofort in die kleine Stadt am Rheinknie, in der es zu diesem Zeitpunkt ungefähr 60 Hanfshops gab. Eine riesige Anzahl, wenn man bedenkt, dass es in der gleichen Zeit deutlich weniger Bäckereien gab. Ich hatte einen sehr guten Job und arbeitete bei einem der weltweit größten Pharmaunternehmen und konnte mir in diesen 12 Jahren das Wissen aneignen, das ich heute täglich bei Medropharm anwende.
Ich habe in dieser Zeit viele Hanfmessen besucht, unter anderem die Cannatrade in Bern. Dort lernte ich Dennis kennen, den Chefredakteur der THCene. Zwei Wochen später durfte ich schon meinen ersten Artikel unter dem aus heutiger Sicht etwas seltsamen Namen «MajorTom und Mr.Calyx veröffentlichen. Die Arbeit als «FreeLancer» machte mir extrem viel Spaß, ich traf viele verschiedene Züchter, Schweizer Bauern, ich fuhr zu diversen öffentlichen und nicht ganz so öffentlichen «Cannabis Cups» und ich lernte die richtigen Leute kennen, die mir später die ein oder andere Tür öffnen sollten. Nachdem ich in der THCene meine Artikel veröffentlichen konnte, tat ich das gleiche auch für das heute leider nicht mehr erhältliche «Hanfblatt» und das englische «Skunk Magazin».
2009 begann ich ein Fernstudium in molekularer Genetik an einer Mainzer Uni. Um es gleich vorwegzunehmen, ich habe das Studium nie abgeschlossen, weil ich die letzten drei Semester nicht vor Ort sein konnte. Ich lebe ja in Basel und hatte einen Vollzeitjob, keiner meiner damaligen Kollegen und Vorgesetzten kannte mein zweites Leben und ich bezweifle, dass sie mich dabei unterstützt hätten. Aber dennoch war ich fasziniert von der Möglichkeit eigene Strains zu kreuzen und Cannabis Sorten nach meinen eigenen Vorstellungen züchten.
Der nächste logische Schritt war die Gründung einer Samenbank: Alpine-Seeds war geboren. Das war meine Erfüllung, mein Baby, mein Traum und mein Versuch den zehntausenden von Growern sehr gute Sorten zur Verfügung zu stellen. Ein paar gute und erfahrene Freunde, ein ehemaliger Herbaria Seeds Züchter und viele alte Stecklingsgenetiken brauchte es, um in relativ kurzer Zeit überraschend erfolgreich zu werden.
In genau dieser Zeit bekam ich eine Anfrage von einem amerikanischen Verlag. Ich sollte ein Buch über Cannabis schreiben und da sich eine solche Chance nicht jeden Tag bietet, arbeitete ich die nächsten zwei Jahre an der Umsetzung. Ich veröffentlichte dieses Buch aber nicht über den US-Verlag, sondern über den Schweizer Nachtschatten Verlag. Die Enzyklopädie der Cannabiszucht erschien 2013 in den Buchhandlungen. Mein Autorenname und mein Nickname in verschiedenen Boards war Mike/MoD. Ein Synonym, welches in der deutschsprachigen Szene schon etwas bekannter war und so kam es, dass eines Tages der Name Mike Toniolo in meinem E-Mail Eingang auftauchte und mir ein Angebot unterbreitete, das ich so nicht abschlagen konnte. Ich sollte eine führende Position bei Medropharm begleiten, verantwortlich für die Qualität und die Umsetzung aller behördlichen Vorgaben, die ein Pharmaunternehmen von einem Hobby CBD-Anbau unterscheidet. Und genau hier beginnt unsere kleine Reise hinter die Kulissen der Schweizer Medical Firma Medropharm.
Mittlerweile sitze ich im Zug nach Zürich. Ein zweiter Kaffee steht auf der kleinen Ablage des Klasse zwei Waggons der Schweizerischen Bundesbahn. Es ist mittlerweile 6 Uhr morgens, um mich herum überraschend viele Pendler, die, wie ich zur Arbeit wollen. Einige schlafen, andere hören Musik, manche essen ihr Frühstück oder tippen einfach auf dem Handy herum. Man merkt, dass es Montag ist, die Motivation der Menschen um mich herum ist nicht gerade auf dem Höhepunkt. Ich klappe meinen PC auf und checke als Erstes meine E-Mails. Ich beantworte Fragen, die ich am Abend zuvor noch bekommen habe, oder schreibe E-Mails, um Informationen weiterzugeben. Ist das getan, habe ich in den meisten Fällen den Bahnhof in Zürich erreicht. Jetzt heißt es PC zuklappen, noch schnell eine Zigarette anzünden und ab die Post zum nächsten Gleis, damit ich den Zug Richtung Romanshorn erwische. Im letzten Abteil, dort wo die wenigsten Leute einsteigen lasse ich mich nieder, klappe meinen Laptop auf und arbeite meine Termine für heute durch. Ich lade meine Kollegen zu den Sitzungen ein und bereite schon mal ein paar Dokumente vor, die ich heute ganz sicher noch brauchen werde.
Um halb neun bin ich im Büro, hinter mir liegen zweieinhalb Stunden Zugfahrt, die ich aber mit Arbeiten verbracht habe, also stören mich diese Fahrten nicht weiter. Ich laufe am ersten Lieferanteneingang vorbei und sehe unseren verantwortlichen Gärtner. Er winkt mich zu sich rüber und wir diskutieren über die ersten Dinge des Tages und verabreden uns für den täglichen Rundgang in den Anbauräumen. Fünfzig Meter weiter ist die Tür zum Bürokomplex und zu meinem Büro, das ich mir mit Herrn Tschäppät, unserem Leiter der Herstellung und gleichzeitig Leiter der Forschung & Entwicklung, teile.
PC raus und einschalten, Skype öffnen, Kaffeemaschine anmachen und mein Postfach am Empfang leeren – jeden Morgen die gleichen Abläufe. Als ich ins Büro komme, sehe ich, dass ein externer Gärtner 62 kg Indoor CBD-Cannabis geliefert hat. Die Eimer schön aufgereiht in meinem Büro. Da ich unter anderem für die Qualität verantwortlich bin, ziehe ich mir meine Handschuhe an, einen Einwegschutzmantel und einen Mundschutz und nehme die erste Probe von 15g. Diese wird sofort an ein Labor verschickt, um den Gehalt an Cannabinoiden analysieren zu lassen. Parallel dazu testen wir auch bei uns im Haus die Cannabinoid Werte der Blüten, einfach um einen zweiten Vergleichswert zu haben und um 100 % sicherzugehen, dass der THC-Gehalt unter der 1 % Grenze liegt, und um zu prüfen, wie hoch der für uns so wichtige CBD-Gehalt ist. In der Schweiz liegt der THC-Grenzwert bei 1 %. Alles darüber zählt zu den illegalen Betäubungsmitteln, alles unter 1 % ist legal. In Deutschland liegt die von Behördenseite festgelegte Grenze bei 0,2 % THC, ein deutlicher Unterschied zu den Schweizer Gesetzen.
Die zweite Probe von etwas über 200g geht an ein anderes externes Labor, das die Pestizide analysiert. Diese dürfen nicht über dem Wert liegen, welchen die Europäische Datenbank für Pestizide in Pflanzenteilen vorgibt. Übersteigt der Wert die Vorgaben, dann wird die gesamte Menge an Blüten zurückgewiesen und wieder zum Gärtner zurückgeschickt.
Bei Medropharm werden ausschließlich Blüten bzw. Rohstoffe verwendet, die frei von Pestiziden sind.
Die dritte Probe ist das sogenannte Rückstellmuster. Dieses Muster nehmen wir, um jederzeit weitere Analysen durchführen zu können. Zum Anderen muss man Proben von allen Chargen viele Jahre lang aufbewahren, falls es später einmal Reklamation oder Beschwerden gibt. Dieses Rückstellmuster wird bei uns in einem sicheren Schrank verwahrt. Alle drei Proben, die ich gerade genommen habe, werden darüber hinaus ausführlich dokumentiert. Es wird vermerkt, wann die Proben genommen wurden, wer die Proben gezogen hat, wie die Probe zu lagern ist und natürlich welche Chargennummer, die gesamte Lieferung hat. Es werden sogar Bilder der Blüten gemacht. Jeder kleine Punkt der Musterentnahme muss dokumentiert werden, da zu jeder Zeit nachvollziehbar bleiben muss, woher die Charge kommt und was am Ende aus ihr hergestellt wurde.
Pharmazeutische Behörden auf der ganzen Welt haben einen wichtigen Leitsatz der besagt, dass alles was nicht dokumentiert wurde, wurde nie gemacht, und da wir uns mit Medropharm in einem pharmazeutischen Bereich bewegen müssen wir alles dokumentieren und nachweisen. Die Beweispflicht liegt immer beim Unternehmen.
Die letzte Probe, die ich nehme, ist für mich, ich muss ja schließlich auch die Qualität testen und einen kleinen PQ-Bericht schreiben. PQ steht für Product Quality, dieser Bericht ist vergleichbar mit einem kurzen Qualitätsreport.
Also Papers raus, Filter-Rips raus und los geht’s. Ich zerkleinere eine schöne Blüte zwischen meinen Fingern und beurteile den Geruch, die Restfeuchte und natürlich das Aroma. Ich drehe das Tütchen zusammen und rauche es gemütlich draußen vor dem Eingang. Dabei mache mir einzelne Stichpunkte und schreibe mir die Eigenschaften auf.
Dann geht’s an die eigentliche Arbeit. Ich öffne alle 124 Eimer mit je 500g und suche nach Schimmel. Entdecke ich eine Schimmelstelle, dann gehen die gesamten 62 kg zurück zum Gärtner. Schimmel geht gar nicht, ein absolutes No-Go. Konsumenten oder Patienten, die sich durch CBD Linderung von Symptomen und Krankheiten erhoffen, sollen nicht durch toxisch wirkenden Schimmel kränker werden und noch mehr Probleme bekommen. Man muss wissen, dass Schimmel stark toxisch wirkt und das Immunsystem schwächt, wenn er über die Blüten aufgenommen und geraucht wird. Darum gilt es, Schimmel unter allen Umständen zu vermeiden.
Die Kontrolle der 124 Eimer zieht sich über den ganzen Vormittag. Schimmel wurde keiner gefunden, also klebe ich einen gelben Aufkleber auf die Chargen Dokumentation. Gelb heißt, dass dieser Batch oder diese Charge noch nicht freigegeben ist, da ich erst alle Analyseergebnisse bekommen muss, um eine Charge freizugeben. Vorher gehen diese Blüten nicht in den Verkauf oder in die Herstellung von Extrakten und Tinkturen, worauf ich etwas später noch mal zu sprechen kommen will.
Wenn ich die Analysen zehn Tage später bekomme und alles in Ordnung ist, dann bekommt diese Charge das O. K.. Sie bekommt einen grünen Aufkleber, der allen Mitarbeitern signalisiert, dass ich diesen Rohstoffbatch freigegeben habe. Es gibt bei uns auch einen roten Aufkleber. Rot bedeutet, dass die komplette Lieferung wieder an den externen Gärtner zurückgeschickt wird. Das kann mehrere Gründe haben, zum einen schlechte Analyse Ergebnisse oder ein Schimmelproblem an den Blüten. Möglich ist auch, dass die Qualität der Ware einfach sehr schlecht ist oder eine unvollständige Dokumentation vorliegt.
Die gleiche Prozedur wird auch bei unserem eigenen angebauten Rohstoff angewendet, jede Analyse, jede Probe alles wird nach dem gleichen Schema durchgeführt. Um zusätzliche Informationen zu erhalten und um eine Rückverfolgbarkeit über viele Jahre zu gewährleisten, werden alle Anbaudurchgänge auch von den externen Gärtnern in speziellen Dokumenten dokumentiert. Dies geschieht durch verschiedene Protokolle, die im Laufe eines Anbaus vom verantwortlichen Gärtner ausgefüllt werden müssen. Es gibt zum Beispiel ein Wachstumsprotokoll, in dem alles vermerkt wird, was in der Wachstumsphase passiert, welcher EC-Wert in welcher Woche gegeben wurde, woher die Stecklinge stammen, ob und wann Nützlinge eingesetzt wurden und vieles andere. Es gibt auch ein Blüte- und Ernteprotokoll, in dem die gleichen Informationen aus der Blütephase und von der Ernte gesammelt werden. Das können die Bedingungen sein, ein möglicher Schädlingsbefall oder einfach nur das Erntedatum. Das letzte Formular ist das Trocknungs- und Einlagerungsprotokoll, auf dem alle erdenklichen Informationen und Daten vermerkt werden, welche die Trocknung und die Einlagerung des Rohstoffes betreffen.
Die von Behördenseite vorgeschriebene Rückverfolgbarkeit eines jeden Extraktes über viele Jahre hinweg, wird über die von mir generierte Chargen Nummer garantiert. Sie befindet sich auf allen Produkten, die aus einer bestimmten Blütencharge hergestellt wurden.
Man kann sich vorstellen, welche Menge an Dokumenten und Formularen ausgefüllt und abgelegt werden muss, um nur einen einzigen Anbaudurchgang abzuschließen und dies ist nur die Dokumentation des Anbaus. Ein Qualitätssicherungssystem oder kurz QS-System zieht sich durch alle möglichen Unternehmensbereiche, von der Reinigung der Räume und Geräte, über das Schädlings Monitoring bis hin zu den Selbstinspektionen, Risikoabschätzungen und der Qualifikation von Lieferanten, Transportfirmen und der Betriebsanlagen. Nicht zu vergessen die ca. 70 SOP’s (Standardarbeitsanweisungen), die alle Arbeitsabläufe, Verantwortungen und Prozesse definiert. Aber das sind die Grundlagen eines Pharmaunternehmens.
Unser jetziger Anbau in den vier Blütenräumen mit je 1.300 Pflanzen und der gesamte Gewächshaus-Grow mit über 32.000 Pflanzen erfüllt die GACP-Richtlinien zum Anbau von Pflanzen, die zu Zwecken der Arzneimittelherstellung angebaut werden. Ein sehr wichtiger Punkt für uns.
Wir planen gerade den Bau von sechs neuen Blütenmodulen, von denen ein Modul eine Fläche von ca. 500 Quadratmeter besitzt und Platz für ungefähr 2.500 Pflanzen bietet.
Diese Räume erfüllen nicht nur die GACP-Richtlinien, sondern auch die GMP-Vorgaben der Swissmedic und anderer pharmazeutischen Behörden.
Dies ist enorm wichtig, um sich als Unternehmen weiterzuentwickeln, und um vielleicht auch einmal den Anbau von THC-haltigen Pflanzen zu pharmazeutischen Zwecken genehmigt zu bekommen.
Mittlerweile ist es Mittag geworden und wie jeden Montag bereite ich die Teamsitzung vor. Ich drucke das Protokoll und die Traktanden aus und sende noch mal eine kurze Nachricht an alle Teilnehmer. Danach ist Mittagspause. Da unser Hauptsitz sehr günstig gelegen ist, geht es wie fast jeden Tag im Sommer mit der ganzen Belegschaft zum Grillen an die Thur, keine 20 m von uns entfernt. Intern nennen wir dieses schöne Fleckchen Thurgau unseren Privatstrand.
Die Gärtner haben schon alles vorbereitet, es riecht nach Bratwurst und gegrillten Käse. Nach 30min geht es zurück ins Büro. Die Sitzung beginnt zwar erst in ein paar Minuten, aber ich muss unseren neuen Medical Director Frau Dr. Zieres-Nauht noch zur Skype-Konferenz einladen und das kann hier draußen auch mal ein paar Minuten länger dauern.
Alle sind da. Ich eröffne die Sitzung und lese die Punkte vor, die wir heute durchgehen müssen. In diesen Sitzungen geht es um Neuigkeiten aus allen Bereichen des Unternehmens, es geht um dringende Anliegen oder um aktuelle Verhandlungen. Eine gute Gelegenheit alle an einem Tisch zu haben um die Dinge persönlich zu besprechen.
Heute ging es schnell, die Sitzung ist vorbei und alle sind noch wach. Für mich steht jetzt der schönste Termin des Tages an. Meine Runde durch die sechs Indoor Räume.
Doch wer denkt, dass raus aus dem Stuhl und rein in die Räume der nächste Schritt ist, täuscht sich. Die erste Handlung ist das Eintragen in die Besucherliste. Hier trägt sich jeder ein, egal ob intern oder extern, alle Leute, die in die Pflanzräume gehen, haben sich hier einzutragen, und zwar wann sie kommen, und wann sie den Pflanzenbereich wieder verlassen. Das hat etwas mit Sicherheit und Übersicht zu tun. Es mag banal klingen, aber es ist Vorschrift.
Der zweite Schritt ist umziehen. Jeder Besucher, der die Räume betritt, zieht sich einen Besuchermantel, ein Haarnetz, Überschuhe und Handschuhe an. Unsere Gärtner müssen sogar einen kompletten Tyvek-Anzug tragen, wenn sie sich in den Pflanzenräumen bewegen und an den Pflanzen arbeiten. Für die, die nicht wissen, was ein Tyvek-Anzug ist: Das ist ein spezieller Ganzkörper Schutzanzug, bei dem nur noch das Gesicht frei liegt. Ferner tragen alle Gärtner eine spezielle Schutzbrille (wegen der Lichtintensität und dem Lichtspektrum), Handschuhe und wer einen hat, einen Bartschutz. Der Grund für die verschiedenen Schutzvorkehrungen sind Schädlinge. Eines der schwierigsten und gleichzeitig wichtigsten Themen in einem medizinalen CBD-Betrieb.
Schädlinge sind für uns wie Züricher für Baseler oder wie der BVB für Bayern Fans-sie sind da aber man braucht sie eigentlich nicht!! Und im Kampf gegen die kleinen zähen Biester hilft oft nur eins. SAUBERKEIT! Wir müssen sauber arbeiten, wir müssen auf viele kleine Details achten, die uns helfen Spinnenmilbenfrei oder Trauermückenfrei zu bleiben. Ich kann nicht alles zu unseren Schutzmassnahmen sagen, da vieles zum Betriebsgeheimnis gehört. Die präventiven Massnahmen beginnen, aber schon bei der Gesamten Klima und Lüftungssteuerung. Der Raumdruck in den Pflanzenräumen muss im richtigen Verhältnis zum Druck außerhalb stehen, damit bei einem Eintritt nichts eingesaugt wird.
Der Einsatz von giftigen Pestiziden steht und stand aber nie zur Debatte, sogar der Gebrauch von Neem-Öl ist bei uns streng untersagt. Die Samen des Niembaumes enthalten eine chemische Verbindung namens Azadirachtin. Dieser Stoff ist in der Pestizid-Analyse immer nachweisbar. Selbst wenn wir Stecklinge mit Neem behandelt, kann man Azadirachtin in den Blüten der reifen Pflanzen nachweisen. Der zugelassene EU-Höchstwert bei Hanfsamen oder Kräuterblüten liegt bei 0.01ppm, also praktisch bei null. Damit hat sich der Einsatz von Neem erledigt, ganz zu schweigen von anderen giftigen oder toxischen Mitteln.
Darum legen wir extrem viel Wert auf Sauberkeit. Wir ziehen uns Schutzkleidung an, damit wir ausschließen können, dass Spinnenmilben an den Klamotten hängen bleiben oder in andere Räume verschleppt werden. Wir mussten Anpassungen im Lüftungssystem vornehmen, Schädlingsfallen aufstellen und wir müssen einen gut durchdachten und funktionierenden Nützlingsplan haben. Darum arbeiten wir sehr eng mit dem größten Schweizer Nützlings- und Schädlingsbekämpfungsunternehmen zusammen, um einen Befall in jedem Fall zu vermeiden.
Ich bin angezogen und ausreichend geschützt, jetzt warte ich nur noch auf unseren verantwortlichen Gärtner, denn ohne ihn komme ich in keinen Raum. Niemand geht bei uns allein in die Räume. Es ist immer ein anderer Mitarbeiter dabei und immer wird der Chefgärtner oder sein Stellvertreter informiert, denn nur mit ihren Zugangscodes ist ein Eintritt möglich. Sicherheit hat bei uns neben dem Schädlingsmonitoring den größten Stellenwert.
Ich stehe mitten im Raum. Vor mir ein Meer von 1300 Pflanzen in der Hochblütephase. Die gesamte Klimaanlage und Abluft brummt. Alles läuft auf Hochtouren, damit die optimale Temperatur konstant bleibt. Hohe Temperaturen und trockene Luft bedeuten eine erhöhte Schädlingsgefahr, das Problem kennt jeder Homegrower und das gilt es möglichst zu vermeiden. Wir laufen durch die Reihen und schauen uns die Pflanzen an. Oliver Tschäppät begleitet uns auf der Tour. Wir drei besprechen die Düngergabe, holen Informationen zu den Pflanzen ein, besprechen das Schädlingsmonitoring und alle anderen Dinge über die wir immer im Team entscheiden.
Ein Raum weiter steht die Ernte an. Nur noch wenige Tage, dann ist unsere Hauptgenetik M1337 reif.
Das bedeutet, dass wir die Ernte planen, die Maschinen desinfizieren und vorbereiten, oder die Entsorgung der 20 Kubikmeter Erde durchgehen müssen. All das muss natürlich auch wieder in speziellen Formularen dokumentiert werden.
Unsere Hauptgenetik gehört weltweit zu den wenigen CBD-Sorten, die bis zu 23 % CBD bei nur 0.4 – 0.5 % THC besitzt. Eine wirklich tolle Sorte mit viel Harz, schönen kompakten Blütenkelchen und einem intensiven, leicht würzigen aber dennoch sehr milden Aroma.
Ein weiterer Favorit ist die Erdbeere. Sie heisst so, da sie wie ihr THC-Gegenstück die gleiche feste Nugget ähnliche Blütenform besitzt. Auch der Geruch und der Geschmack erinnern an die Swiss Strawberry, er ist fruchtig, etwas beerig und trotzdem leicht haschig. Ein genauso toller Strain, zwar mit etwas weniger CBD als unser Hauptstrain aber dafür mit etwas mehr THC. Für uns ist es sehr wichtig verschiedene Genetiken zu haben, die völlig unterschiedlichen Verhältnisse von CBD zu THC besitzen. In klinischen Studien hat man beweisen können, dass unterschiedliche THC/CBD-Verhältnisse bei verschiedenen Krankheiten eingesetzt werden können. Es kommt bei jeder Anwendung auf das richtige Verhältnis der Werte zueinander an.
Natürlich arbeiten wir auch ständig an neuen Sorten, experimentieren mit verschiedenen Düngerdosierungen oder mit völlig neuen Anbaumedien. Unser Ziel ist die stetige Verbesserung der Qualität. Der Kunde will ja immer die gleiche Ware, die gleichen Cannabinoid Werte, das gleiche gute Produkt. Dies ist ein Qualitätsmerkmal, das wir uns selbst auferlegt haben. Die Qualität des Materials und die Zufriedenheit der Kunden sind uns sehr wichtig, denn nur so kann man sich auf diesen hart umkämpften Markt halten und seine Stellung im Ranking sichern.
Nach dem Rundgang gönne ich mir eine kleine Pause. Raus aus dem Schutzanzug, weg mit Haarnetz und Bartschutz und ab ins Büro. Papers hervorholen und die neue Medropharm Charge, die wir drei Wochen zuvor geerntet und getrocknet haben, testen.
Jetzt kann ich eine viertel Stunde durchschnaufen, kurz aufs Handy schauen und mal für 15min den Kopf leeren. Das ist auch mal wichtig, da man sonst schnell Überblick verliert.
Mittlerweile ist es fast 15 Uhr, Zeit für das Lagerprojekt. Wir lassen gerade ein neues, hochmodernes Arzneimittellager aufbauen, um unsere Produkte noch sicherer und besser lagern zu können. Wir produzieren ja selbst keine Extrakte, wir lassen diese Produkte in GMP-Zertifizierten Laboren herstellen.
Wir sind im Grunde nur der Zulieferer des Ausgangsstoffes zur Herstellung der Extrakte. In der Schweiz gelten diese Stoffe als Chemikalie. Auch bei Chemikalien gibt gewisse Vorgaben und bestimmte Abgaberegelungen, an die man sich halten muss.
In Deutschland fallen unsere Produkte unter die sogenannten APIs. Ein API ist eigentlich nichts anderes als ein aktiver pharmazeutischer Wirkstoff, der rein natürlich, halb synthetisch oder synthetisch hergestellt werden kann. Vor einigen Jahren hat man die heutigen APIs auch als Pharmakon oder Arzneistoff bezeichnet.
Aktuell laufen mit verschiedenen unserer APIs klinische Studien in Südamerikanischen Ländern wie Brasilien und Uruguay, weitere werden in den kommenden Monaten folgen. Die ersten Ergebnisse sind aber äußerst positiv.
Im Lager habe ich einen Termin mit einer Sicherheitsfirma. Eine Alarmanlage und eine Zugangskontrolle muss in der kommenden Woche installiert werden. Wir tauschen uns aus, besprechen Pläne und verabschieden uns 45min später.
Jetzt noch einen letzten Kaffee für den Weg, dann muss ich langsam zum Bahnhof, damit ich gegen 19 Uhr wieder in Basel bin. Ich packe meine Sachen, laufe kurz von Büro zu Büro und verabschiede mich von meinen Kollegen. Im Zug ankommen wiederholt sich das gleiche Spiel wie am Vormittag.
PC aufklappen, Outlook öffnen und E-Mails beantworten, die ich im Laufe des Tages bekommen habe. Gelegentlich bietet sich der Zug auch an, um Schulungen der Mitarbeiter vorzubereiten. Schulungen sind wichtig, um alle Mitarbeiter auf einem Wissensstand zu halten. Es kommen regelmäßig neue Arbeitsschritte und neue Prozesse hinzu. Jeder einzelne muss wissen, wie er seine Arbeit durchführen muss und welche Vorgaben in Bezug auf Sicherheit und Sauberkeit es gibt. Schulungen sind zudem ein Schwerpunktthema im QS-System und werden bei behördlichen Inspektionen immer genau kontrolliert.
In Zürich steige ich wieder aus und wechsle den Zug. An diesem Punkt geht es immer darum, einen Wagon zu erwischen, der möglichst leer ist. Es ist Feierabendzeit und die Anzahl an Pendlern nimmt jetzt im Minutentakt zu.
Manchmal mache ich es mir gemütlich und versuche 50min die Augen zu schließen, um etwas zu schlafen. Ich stecke die Kopfhörer in die Ohren, wähle auf dem Handy das neue Album von Slayer und versuche abzuschalten. Um 19.15 Uhr bin ich zu Hause. Ich begrüsse meine Freundin und wir essen zusammen. Anschließend massiere ich noch 1 Stunde das Fretboard meiner Schecter V1 Blood Splatter Gary Holt Signature Axt (E-Gitarre). Den restlichen Abend lasse ich dann ganz entspannt vor dem TV ausklingen, bevor es um 5 Uhr morgens wieder heißt Krrrrrrrr…
von Michael Beck; Fachtechnisch verantwortliche Person und Leiter der QA bei Medropharm GmbH