Trotz der beachtlichen Fortschritte, die von der Cannabisforschung in den vergangenen Jahren verzeichnet werden konnten, kursieren in Bezug auf die Hanfpflanze und die daraus gewonnenen Produkte noch immer eine Vielzahl weitläufig verbreiteter Mythen und Legenden, sprich Unwahrheiten. Dies sowohl auf Seite der Prohibitionisten, als auch auf jener der Legalisierungsbefürworter.
So ist der Hanf, um es vorab schon einmal zu verkünden, weder eine Einstiegsdroge noch ein Wunderheilmittel. Und dass die erste Jeans von Levis aus Hanf hergestellt wurde, ist auch bloß ein auf Missverständnissen basierender Mythos, der sich bis zum heutigen Tag hartnäckig hält, mit der Wahrheit aber leider nur wenig zu tun hat.
1. Cannabis ist eine Einstiegsdroge!
Falsch: Der Lieblingsmythos unserer Regierung, der inzwischen schon seit über zwanzig Jahren gebetsmühlenartig wiederholt wird, ist inzwischen mannigfach widerlegt. Von einer Vielzahl an Studien, deren Auflistung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, wurde indessen bestätigt, dass Cannabiskonsumenten nur in wenigen Einzelfällen im späteren Leben auch zu stärkeren Substanzen greifen, beispielsweise zu Kokain oder Heroin. Genauer gesagt sind es bloß zwei bis fünf Prozent aller Hänflinge, die irgendwann auch mal andere Rauschmittel ausprobieren. Der große Rest tut es nachweislich nicht. Wie Bröckers beschreibt, ist es im Kontext der Einstiegsdrogentheorie logischerweise aber so, dass Personen, die Bekanntschaft mit „weniger“ verbreiteten Substanzen wie Heroin, Kokain oder LSD gemacht haben, zuvor meist die populäreren Drogen ausprobiert haben.
Dazu gehört dann neben Alkohol, Koffein und Nikotin meist auch Cannabis. Als Beispiel führen die Autoren an, dass sich schließlich auch die meisten Motorradfahrer erst einmal auf dem Fahrrad ausprobieren, was im Umkehrschluss jedoch nicht bedeutet, dass jeder Fahrradfahrer zwangsläufig aufs Motorrad steigt. Genauso verhält es sich beim Cannabis. Und in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Cannabisraucher niemals mit einer anderen illegalisierten Substanz in Berührung kommen, kann in Bezug auf die Einstiegsdrogentheorie folgendes Fazit gezogen werden: „Cannabis markiert de facto in Wirklichkeit für die große Mehrheit eher einen Schlusspunkt als einen Einstieg“ 1.
2. Ganja ist ein Allheilmittel
Falsch: Schön wär’s, aber ein Allheilmittel, das nachweislich alle Krankheit zu heilen vermag, ist Cannabis ganz sicher nicht. So etwas gibt es bislang auch nicht oder ist zumindest bis dato niemals entdeckt worden. Korrekt ist aber, dass sich mit Cannabis-Präparaten eine unvergleichlich große Vielzahl an unterschiedlichsten Krankheitssymptomen lindern lässt. Zahlreiche Studien wurden auf diesem Sektor in den letzten Jahrzehnten initiiert, weshalb die therapeutische Anwendbarkeit von potentem Cannabis inzwischen sehr gut belegt ist. Nachweislich verfügt Cannabis über ein appetitanregendes, antiemetisches (Brechreiz lindernd), antiataktisches (Bewegungsabläufe koordinierend), antispastisches (entkrampfend), anxiolytisches (angstlösend), analgetisches (schmerzlindernd), antiphlogistisches (entzündungshemmend) sowie sedierendes (beruhigend) Wirkverhalten, weshalb eine Cannabinoidindikation aus rein medizinischer Perspektive bei nachfolgenden Gesundheitsproblemen, Krankheitsbildern bzw. Krankheitssymptomen sinnvoll zu sein scheint:
- ADHS
- Aids
- Allergien
- Asthma
- Appetitlosigkeit
- Abmagerung
- Angststörungen
- Bewegungsstörungen (Parkinson u. a.)
- Depressionen
- Entzugserscheinungen (Alkohol, Opiate u. a.)
- Epilepsie
- Erbrechen
- Gastritis
- Gicht
- Glaukom
- Kachexie
- krampfartiger Lidschluss
- Menstruationsstörungen
- Migräne
- Morbus Crohn
- Multiple Sklerose
- Neurodermitis
- Posttraumatische Belastungsstörung
- Rheuma
- Schmerzen
- Singultus (Schluckauf)
- Spastik
- Tinnitus
- Tourette-Syndrom
- Übelkeit
Als seriöse Literatur zu diesem Thema können die Werke von Dr. Franjo Grotenhermen sowie „Marihuana – Die verbotene Medizin“ (1994) von Dr. Lester Grinspoon empfohlen werden.
3. Ein bisschen Dope ist erlaubt!
Falsch: Es wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber leider ist auch diese Annahme eine in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschende Legende. Fakt ist, dass auch der Besitz des berüchtigten Dope-Krümels in Deutschland verboten ist, es sich dabei also um ein strafrechtlich relevantes Delikt handelt. Fakt ist aber auch, dass es seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1994 den Staatsanwälten unter bestimmten Umständen möglich ist, ein Verfahren wegen Cannabisbesitz einzustellen. Voraussetzung hierfür ist gemäß § 31 a BtMG, dass die gefundene Menge an Cannabisprodukten ausschließlich für den Eigenverbrauch bestimmt war, keine Fremdgefährdung vorliegt und folglich kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht. Obschon die „geringe Menge“ zunächst von Bundesland zu Bundesland stark variierte, liegt sie inzwischen fast überall bei sechs Gramm. Eine Gewähr oder gar einen rechtlichen Anspruch auf das Absehen einer Strafverfolgung gibt es jedoch nicht. Diese Entscheidung obliegt ausschließlich der Judikativen, sprich der „richterlichen Gewalt“.
Und selbst wenn auf eine Strafverfolgung verzichtet wird, heißt das noch lange nicht, dass keine Sanktionen zu erwarten wären. So haben Staatsanwälte nach § 153a StPO die Möglichkeit, und davon wird in der Realität oft Gebrauch gemacht, ein Verfahren erst gegen Ableistung diverser Auflagen einzustellen. Infrage dazu kommen beispielsweise Arbeits- bzw. Sozialstunden, Wiedergutmachung, Geldauflage, MPU oder die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs.
4. Die erste Jeans war aus Hanf!
Falsch: Dass Levi Strauss seine erste Jeans aus Hanfstoff anfertigte, ist ein weiterer Mythos, der sich vor allem in Kreisen der Cannabisfans hartnäckig hält. Die Annahme basiert auf einer in Jack Herers Kult- und Standardwerk „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“ (1993) erfolgten Aussage, wo es unter anderem heißt: „Bei der Blue-Jeans-Generation unserer Tage stößt es auf ungläubiges Staunen, dass der Stoff der ersten Levis nichts anderes gewesen ist als Cannabis.“ Herer ging nämlich davon aus, dass Canvas (Gewebe) Cannabis bedeuten müsse, wofür es bis heute jedoch keinen einzigen seriösen Beleg gibt. Es ist vielmehr so, dass Canvas nicht das Material, sondern die Webart bezeichnet. Dass Herers Theorie auf Missverständnissen beruht, erklärt auch Hanfaktivist Martin Steldinger. „Ich habe bei dem Levi Strauss Museum nachgefragt, und die haben mich auf die Firmenhistorikerin von Levi Strauss verwiesen, die geforscht hat. Es wurde mir geschrieben, dass die erste Jeans, bekannt durch die Nietenverstärkung, nicht aus Hanfstoff gemacht worden sei, sondern schon immer aus blau gefärbtem Baumwollstoff.“ (www.hanfplantage.de) Zugegeben, es ist eine tolle Geschichte, entspricht aber leider nicht der Wahrheit. Aber keine Sorge, lieber Jack, es sei dir von Herzen verziehen.
„Cannabis markiert de facto in Wirklichkeit für die große Mehrheit eher einen Schlusspunkt als einen Einstieg“
5. Das heutige Gras ist viel stärker als damals!
Falsch: Studien, die genau dies behaupten, etwa jene des Potency Monitoring Projekt (PMP) sind, wie Bröckers et al. darstellen, in keiner Weise repräsentativ. Denn zur Berechnung dieser Studie wurde in den 1970er-Jahren, eine von der Drug Enforcement Administration (DEA) konfiszierte Cannabisprobe verwendet, die nur eine sehr niedrige THC-Konzentration aufwies.
Und genau auf diesen „Ganja-Bricks“-Proben basierend, leiteten Wissenschaftler dann obige These her, unbeachtet dessen, dass die erforschten Proben nicht der durchschnittlichen, damaligen Qualität entsprachen. Zudem rauchte man in den 60er und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ohnehin viel häufiger das aus dem Cannabisharz gewonnene Haschisch, welches abhängig von Anbauregion und Sorte auch schon zur damaligen Zeit wirksame Potenzen von 10 % und mehr aufweisen konnte. Die Tatsache, dass Hänflinge der älteren Generationen die Wirkung des heute erhältlichen Gras oder Haschisch als stärker wahrnehmen als jenes, das sie früher geraucht haben, kann ebenfalls nicht als Beweis für obigen Mythos herangezogen werden. Dies hat nämlich vor allem damit zu tun, dass mit zunehmendem Alter die Toleranz für psychoaktive Substanzen sukzessive schwindet oder anderes formuliert, sich die individuelle Sensibilität einer Person in Bezug auf Psychoaktiva zunehmend erhöht. Das gilt sowohl für Substanzen wie Alkohol und Koffein als auch für Cannabis. Und selbst wenn Cannabisprodukte in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich eine kleine Steigerung ihres Wirkstoffgehaltes erfahren hätten, wären sie dadurch nicht zwangsläufig auch gefährlicher, was ja allzu oft behauptet wird.
6. Cannabis in der Schwangerschaft schädigt den Fötus!
Falsch: Dass dieser Mythos auf die legalen Substanzen Alkohol und Nikotin zweifelsfrei zutrifft, ist noch lange kein Indiz dafür, dass es sich bei Cannabis genauso verhält. Trotzdem hat die Frage danach, ob man den Cannabiskonsum natürlich ausschließlich pur und nicht im Gemisch mit Tabak während der Schwangerschaft verantworten kann, in den vergangenen Jahren starke Kontroversen ausgelöst. Fakt ist, dass die initiierten Studien zu diesem Thema bis dato keine eindeutigen Beweise für oder gegen die Schädlichkeit von Cannabis in Bezug auf die embryonale Entwicklung des Ungeborenen liefern konnten. So gibt es zum einen eine ganze Reihe an Studienergebnissen, die herausgefunden haben, dass der Cannabiskonsum während der Schwangerschaft vergleichsweise sehr unbedenklich sei, während andere Wissenschaftler wiederum Gegenteiliges behaupten.
Doch auch wenn in Anbetracht der Tatsache, dass Cannabis in einigen Kulturen von schwangeren Frauen als Medizin gegen Übelkeit eingenommen wird, vermutlich Ersteres zutrifft, ist es als reine Vorsichtsmaßnahme definitiv ratsam, den Cannabiskonsum während der Schwangerschaft zu reduzieren (oder besser einzustellen), nach Möglichkeit auf das Rauchen zu verzichten und auf andere, weniger belastende Konsumformen zurückzugreifen.
7. Cannabis führt bei Männern zu Unfruchtbarkeit
Falsch: In der Tat gibt es Studien, die herausgefunden haben, dass der Cannabiskonsum bei Männern die Spermienproduktion vermindert. Dies aber nur begrenzt und vorübergehend, also bis die Wirkung verblasst oder der permanente Konsum reduziert wird. Es gibt bislang aber keine einzige Studie, die Unfruchtbarkeit oder Zeugungsunfähigkeit auf den Konsum von Cannabis zurückführen konnte. Es ist also korrekt, dass die Spermienproduktion infolge des Cannabiskonsums vorübergehend gemindert werden kann. Da aber hierdurch keinerlei Grenzwerte unterschritten werden, beeinträchtigt dies auch in keiner Weise die Fähigkeit zur Fortpflanzung.
8. Cannabis ist harmlos und für Jeden gleichermaßen gut verträglich!
Falsch: Zunächst muss gesagt werden, dass eigentlich jede psychoaktive Substanz harmlos ist. Problematisch wird es erst dann, wenn sie unsachgemäß eingenommen wird, also Dosis, Set und Setting nicht stimmen, was jedoch am Konsumenten selbst liegt und mit der Substanz erst mal nur sehr wenig zu tun hat. So ist es auch beim Cannabis.
Die Hanfpflanze als solche sowie die daraus gewonnenen Rauscherzeugnisse sind für den Menschen per se völlig ungefährlich. Jedoch zeigen viele Cannabisraucher ein bestimmtes Konsumverhalten, gerade wenn sie ständig Bong und immer Tabak dazu rauchen, dass nicht unbedingt als gesundheitlich harmlos bewertet werden sollte. Und was die Verträglichkeit angeht, ist es natürlich so, dass Cannabis um ein Vielfaches besser zu vertragen ist, einfacher dosiert werden kann und mit deutlich weniger Nebenwirkungen einhergeht als Alkohol oder andere Drogen. Es darf aber unter keinen Umständen der Fehler gemacht werden, daraus allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. Es gibt eine ganze Reihe an Personen, die Cannabis ausprobiert und im Anschluss festgestellt haben, dass ihnen die Wirkung nicht gefällt bzw. nicht gut, was auch völlig in Ordnung ist, denn schließlich weiß jede Person für sich selbst am besten, was ihr guttut und was nicht.
9. Cannabis macht schlapp, träge und bewirkt Antriebslosigkeit!
Falsch: Vielfach wird angenommen, dass der regelmäßige Cannabisgebrauch Antriebs- und Interesselosigkeit bewirkt bzw. im sogenannten antimotivationalen Syndrom mündet. Zahlreiche Studien wurden arrangiert, doch keine davon konnte den Mythos der durch Cannabis verursachten Antriebslosigkeit bestätigen. Vielmehr kamen diese Studien zu dem Ergebnis, dass keine auffälligen Unterschiede im Leistungs- und Motivationsverhalten von Cannabisrauchern und ihren hanfabstinenten Mitmenschen auszumachen sind. Unter diesem Aspekt erscheint es zudem sinnvoll, zu wissen, dass der Konsum von Cannabis in der Regel in einer Verstärkung der emotionalen Verfassung wirkt.
Bleibt ein jugendlicher Cannabisraucher unter anderem der Schule fern, hat das nichts mit hanfinduzierter Antriebs- und Interesselosigkeit zu tun. Diese Jugendlichen haben meist, auch, ohne dass sie Cannabis rauchen, keine Lust auf das angebotene Schulprogramm, wobei Cannabis dieses Gefühl letztlich nur verstärkt, aber nicht bewirkt. Umgekehrt heißt das nämlich, dass Cannabisnutzer bei interessanten und spaßbringenden Tätigkeiten meistens noch größere Freude empfinden, als sie es im Kontext dieser Tätigkeit ohnehin schon tun.
Das wiederum bedeutet, dass die Institution Schule, wenn sie es schaffen würde, tatsächlich an den echten Bedürfnissen und Interessen eines jeden Schülers, auch jenen, die Cannabis konsumieren, anzuknüpfen, dem Phänomen des „kiffenden Schulschwänzers“ massiv entgegenwirken könnte. Aber nicht falsch verstehen: Natürlich ist es so, dass Personen, die sich von morgens bis abends unreflektiert berauschen, egal mit welcher Substanz, in der Regel weniger produktiv sind als solche, die das nicht tun. Das beweist demgegenüber jedoch nicht, dass der Cannabisgebrauch zu Schlappheit, Trägheit, chronischer Müdigkeit, Antriebs- oder Interesselosigkeit führt. Ein weiterer Mythos also.
10. Cannabis muss relegalisiert werden!
Richtig: Und zwar schnellstmöglich. Dass die Cannabis-Prohibition keine fürsorgliche, auf die Volksgesundheit ausgelegte Zielsetzung verfolgt, sondern ausschließlich Lobbyisteninteressen, ist bekannt. Genauso wie die Tatsache, dass es niemals eine cannabis- oder drogenfreie Gesellschaft geben wird und letztlich auch nicht geben kann. Man bedenke nur mal die ganzen körpereigenen psychoaktiven Substanzen. Die Situation, der alle Cannabisnutzer, Patienten inklusive in Deutschland und anderswo ausgesetzt sind, ist bisweilen immer noch derart dramatisch, dass sie kriminalisiert werden, über deren Grund- und Menschenrechte allzu oft hinweg entschieden wird.
Cannabisraucher werden behördlich verfolgt, wobei der Prozess der Strafverfolgung nachgewiesener Weise einen wesentlich gravierenderen psychosozialen Schaden beim Einzelnen verursacht, als es Cannabis und viele andere Psychoaktiva jemals anrichten könnten. Natürlich heißt das aber nicht, dass Cannabis nicht auch über schädliche Nebenwirkungen verfügen kann, weshalb es auf diesem Sektor unbedingt eine akzeptierende und seriöse Aufklärung braucht, aber ganz sicher keine Verbote und psychisch-zermürbende Strafverfolgungen. Genauso sehen es in Deutschland 121 Strafrechtler, die erst vor Kurzem eine Resolution zur „Notwendigkeit der Überprüfung der Wirksamkeit des Betäubungsmittelgesetzes“ verabschiedet haben. Darin klagen sie an, dass die Prohibition gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch ist.
Quellen und Links
1 Bröckers et al. 2004: 54
Literatur: Bröckers/Morgan/Zimmer: Cannabis Mythen – Cannabis Fakten. Eine Analyse der wissenschaftlichen Diskussion, Solothurn: Nachtschattenverlag 2004.