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„Herzlichen Glückwunsch, Sie sind auf dem besten Weg zur GMP-Zertifizerung“. Sagte Julián Gutierrez, Hauptprüfer der Kolumbianischen Landwirtschaftsbehörde (ICA, so die spanische Abkürzung), zu Denis Contri und seinem Team an einem sonnigen Dienstagmorgen im Februar. Wie bereits das gegenseitige Lächeln erahnen ließ, war das für alle eine riesige Genugtuung. Und dafür gab es einen guten Grund. Unter GMP oder gute Herstellungspraxis versteht man Richtlinien zur Qualitätssicherung der Produktionsabläufe- und Bedingungen bei der Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen. Ähnlich der ISO-Norm enthalten sie Richtlinien, um die Herstellung von Medikamenten unter Einhaltung höchster Qualitätsstandards der Pharmaindustrie zu garantieren.
Guitierrez fuhr fort: „Bis jetzt sind Sie das einzige Cannabis-Unternehmen in ganz Kolumbien mit angemessenen Räumlichkeiten, um die Zertifizierung zu erhalten“. Denis konnte seine Freude nicht mehr verstecken. Als wir den Gang hinunterschlenderten, der jeden Raum in dem 1200 Quadratmeter großen Lagerhaus miteinander verbindet, sagte er, während dutzende Mitarbeiter noch damit beschäftigt waren, die letzten Details zu regeln: Das hier ist die erste Desinfektionsstation. Nach erfolgreicher Autorisierung durch das dreistufige Sicherheitssystem (Ausweis, Zugangskarte und Fingerabdruck-Scan) gelangt der Arbeiter beim Zugang zu den Werkräumen des Betriebes zunächst durch eine teilweise sterile Garderobe zu den sterilisierten Doppeltüren, die in einem abgetrennten Raum mithilfe von Luftdüsen einfach alles und jeden desinfizieren, der sich zu diesem Zeitpunkt darin aufhält. Es gibt praktisch keine Ecken: Die Wände sind rund; außerdem gibt es überall UVC-Sterilisationslampen. „Das Erreichen dieses Punktes war nicht einfach. Jetzt fehlt nicht mehr viel für die Herstellung der hochwertigsten Medizin auf dem Markt“.
Zunächst lautet der Plan, in diesem Lagerhaus 4.500 kg getrocknete Cannabisblüten zu produzieren, die unter den strengsten Kontrollparametern angebaut wurden. Diese Blüten werden anschließend zu 450L standardisiertes medizinisches Extrakt weiterverarbeitet. Der Anbauplan enthält vier weitere Lagerhäuser dieser Größenordnung. Eines davon nur für die Samenproduktion und zwei weitere Anlagen, die als Transformationslabore dienen sollen. Alles luftdicht abgeschlossene Räume, die komplett von der Außenwelt abgeschottet sind. „Das hier ist die erste Plantage dieser Größe, die unter Indoor Bedingungen betrieben wird. Die angemessensten Bedingungen für den Anbau von echtem medizinischem Cannabis“, so Denis.
Geplant ist die Produktion von jährlich 4.500 kg getrockneter Cannabisblüten pro Lagerhaus, wobei die Pflanzen alle unter strengsten Vorschriften angebaut werden. Anschließend entstehen daraus 450 Liter standardisiertes medizinisches Extrakt. Weiterhin gibt es Expansionspläne für fünf weitere Lagerhäuser von dieser Größenordnung. Alles läuft in hermetisch abgeriegelten Räumen ab, die komplett von der Außenwelt isoliert sind. „Das wird die erste legale Indoor Cannabis-Plantage in Kolumbien von dieser Größenordnung, was gleichzeitig die richtigen Bedingungen für die Herstellung hochwertiger Medizin garantiert“, schlussfolgerte Denis.
Geboren und aufgewachsen in Italien, arbeitete Denis Contri bis 2012 für die pharmazeutische Abteilung der CAM-Gruppe. Zusammen mit Pilar Sanchéz, einer Kolumbianerin, die zwar in Bogotá geboren ist, aber 10 Jahre ihres Lebens in Italien verbrachte, entschieden sie sich, eine Zeit an der Karibikküste Kolumbiens zu verbringen. „Ursprünglich sind wir nur für sechs Monate hier hergekommen. Doch als wir erkannten, dass man hier die Cannabispflanze studieren kann, entschieden wir uns dafür, zu bleiben und etwas in meinem Heimatland oder den weltweit meisten Ländern Undenkbares zu machen“, so Dennis.
Erst 2013 begannen sie mit der Ausgabe von Medizin, die aus Cannabispflanzen extrahiert wurde. Das erste Extrakt war ein hausgemachtes Heilmittel für die Mutter von Pilar, die an Arthrose litt. Sozusagen das erste Produkt, das ihre Apotheke herstellte. Die nützliche Wirkung war beeindruckend und in weniger als einem Monat warteten bereits mehr als 50 Personen auf Produkte, die ihnen bei der Linderung verschiedenster Beschwerden helfen sollten. An diesem Punkt fassten die beiden den Entschluss, das Ganze noch eine Spur ernster anzugehen.
Sie wussten um das medizinische Potenzial der Anwendung von Cannabis. Pilar verwendet die Pflanze zum Beispiel als wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit ihrer chronischen Migräneschmerzen. Denis hat bereits zwei Jahrzehnte leidenschaftlichen Cannabis-Anbau hinter sich und studierte am Amsterdam Cannabis College verschiedene Fachbereiche, wodurch er besonderes Interesse an den medizinischen Eigenschaften entwickelte. In Kolumbien trafen sie auf Camilo Cruz, seines Zeichens Physikstudent sowie Aktivist und Gründer von Ganja Farms, der ersten legalen Cannabis-Apotheke Kolumbiens. „Natürlich hat man hier mitbekommen, was in Kalifornien und Ländern wie Uruguay gerade geschieht. Also haben wir damit angefangen, nach Möglichkeiten für die Etablierung ähnlicher Bedingungen zu suchen. Als wir uns mit unseren Fragen an einen Anwalt wandten, bestätigte er die Existenz einer legalen ‚Grauzone‘, die man erkunden könne“, sagt Camilo.
Ironischerweise gibt es ein relativ unbekanntes Gesetz, das den Besitz und Konsum von 20 g Cannabis für den Eigenbedarf erlaubt. Genauso wenig wissen die Wenigsten, dass laut demselben Gesetz aus dem Jahr 1986 20 Pflanzen für den Eigenbedarf legal angebaut werden dürfen. Bei den wenigen Menschen, die darüber Bescheid wissen und von diesem Recht Gebrauch machen, spielt sich das Ganze unter dem Radar ab. „Niemand wusste um den Ertrag, der mit diesen 29 Pflanzen möglich ist“, erinnert sich Camilo.
Ihr Plan trug Früchte. Mit nur 20 Pflanzen schafften sie es, mehr als tausend Patienten mit ihren Produkten zu versorgen. „Wir mussten fast schon zaubern, um jeden Patienten nach den geltenden Regeln zu versorgen. Wir befassten uns viel damit, die Produktivität der Plantage auf komplett organische Art und Weise zu steigern. Außerdem konzentrierten wir uns auf die Erforschung der verschiedenen Arten von Cannabinoiden und ihre Verbindung mit Erkrankungen. Wir haben die Pflanzen mithilfe von Chromatografie analysiert, spezielle Samen selektiert und Mutterpflanzen entwickelt, um besondere Genetik aufrechtzuerhalten, auf die wir mit der Zeit gestoßen sind“, so die Worte von Denis.
Mitte des Jahres 2014 öffneten sie ihre Türen dann schließlich für die Öffentlichkeit. Ganja Farm ist Plantage, Ausgabestelle sowie Transformationslabor in einem und besitzt gleichzeitig sogar noch ein Beratungszimmer. Alles aufgeteilt und organisiert auf 50 Quadratmetern. Von psychologischen Störungen zu Krankheiten im Endstadium, Menschen jeden Alters aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten kommen hier auf der Suche nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten für die Linderung ihrer Symptome vorbei. Hier erhalten Patienten nicht nur Produkte von medizinischer Qualität, man hat auch Einblick in die Daten und Verarbeitung der Pflanzen, aus denen die Medizin hergestellt wurde und kann sich von der Produktionsstätte selbst überzeugen. Außerdem erhält man wertvolle Tipps für die Einnahme. „Wir diskriminieren niemanden. Unter unseren Kunden sind Senatoren, Politiker, Regierungsangestellte und einfache Arbeiter gleichermaßen. Einen Teil der Produktion verschenken wir an Menschen mit knappen Ressourcen“, erklärt Pilar.
„Anfangs kamen viele mit der Intention, hatten aber keine Ahnung, wie sie Cannabis anwenden sollten. Damals gab es noch sehr wenig Ärzte, die ein Rezept für die Behandlung mit Cannabis ausgestellt haben und noch weniger, die etwas über die verschiedenen Anwendungsgebiete wussten. Also hatten wir gar keine andere Möglichkeit, als Patienten so gut es ging darüber aufzuklären. Langsam ergaben sich Kontakte zu Medizinern, mit denen wir erfolgreich zusammenarbeiten konnten. Zur besten Zeit kooperierten wir mit acht verschiedenen Ärzten.“
Neben der Orientierung, erstellte das Team ein sorgfältiges Follow-up für jeden Patienten, um die Zusammensetzung in Einzelfall zu verbessern. „Wir erkannten, dass nicht jede Person gleich reagiert, selbst bei derselben Grunderkrankung. Wir mussten jeden Fall einzeln betrachten. Hinzu kommt, dass Cannabis auf verschiedene Arten angewendet werden kann und die unterschiedlichen Zusammensetzungen aktiver Inhaltsstoffe kann das Endergebnis entscheidend beeinflussen. Man muss dabei mehrere Variablen in Betracht ziehen“, erklärt Pilar. Auf diese Weise sammelten sie eine unglaubliche Menge an Wissen über die Wirkung von Cannabinoiden auf menschliche Patienten. Währenddessen gibt es überall anders auf der Welt aufgrund von Kosten, Bürokratie oder rechtlicher Bestimmungen keine Studien über Cannabis mit menschlichen Probanden. In Kolumbien geschah das mit dem Team von Ganja Farm auf ganz natürliche Art und Weise, was ihnen in dieser Hinsicht gegenüber der Konkurrenz einen strategischen Vorteil verschaffte.
Um die kolumbianische Cannabis-Szene besser kennenzulernen, Grenzen zu verschieden und um zu sehen, wie weit das Ganze gehen könnte, übernahmen die beiden führende Rollen bei der Organisation einer öffentlichen und offenen Veranstaltung in Bogotá gegen Ende 2014. Die erste Cannabis-Messe Kolumbiens zählte 24 Firmen, die an Ständen verschiedene Dienstleistungen und Produkte präsentierten sowie erfreulicherweise ungefähr 5.000 Besucher. Das Ganze kam so gut an, dass kurz darauf sieben weitere Events folgen sollten. „Die Polizei konnte nicht mal einordnen, was hier gerade geschieht. In einem Fall kamen sie als Aufsicht und verließen die Veranstaltungen mit taschenweise Produkten für ihre Verwandten, die an Diabetes, chronischen Schmerzen, Epilepsie usw. leiden“, erinnert sich Camilo. Um kollektive Bemühungen für die Entwicklung und Professionalisierung der entstehenden Industrie zu koordinieren, organisierte das Team einen Verband aus der Bevölkerung für die Entwicklung einer lokalen Cannabis-Industrie, die von mehreren Initiativen begleitet wird.
Das Potenzial dafür lag auf der Hand, jedoch führten fehlende Regularien dazu, dass Anbauer durch die Behörden ständig verfolgt wurden und die Entwicklung der Industrie sowie die eines Bewusstseins für den Umgang mit Cannabis dadurch gestört wurde. „Anfang des Jahres 2015 nahmen wir Kontakt zum Gesundheitsministerium auf und erklärten Schritt für Schritt, was wir machen und baten sie mehrmals darum, das Ganze zu regulieren. Letztlich wurde uns mitgeteilt, man arbeite an einer Rechtsvorschrift, an der wir teilhaben können“, so Camilo. In Verbindung mit anderen Aktionen führten diese Gespräche zur Erstellung des Gesetzes 2467 vom Dezember 2015, das Rechte von Konsumenten regelt, den Weg für Firmen vorgibt und eine bisher offenes Geheimnis ermöglicht: von nun an konnte Cannabis legal in Kolumbien angebaut werden.
Das kommende Jahr ist geprägt von einem langen bürokratischen Kampf für die Regulierung von Cannabis-Firmen, die bis dato, genauso wie Ganja Farm, in einer legalen „Grauzone“ arbeiteten. Die Regierung stellte für jede Sektion der gerade entstandenen Industrie verschiedene Lizenzen aus. Insgesamt gab es davon sechs: psychoaktive Cannabis-Produktion, nicht psychoaktive Cannabis-Produktion, Transformation, Samenproduktion, Forschung und Vertrieb. In diesem Zusammenhang wurde PIDEKA ins Leben gerufen, der Startschuss des Eintritts der Ganja Farm Group in die formelle Welt der internationalen legalen Cannabis-Industrie. Anschließend kam eines nach dem anderen: Konferenzen auf renommierten Veranstaltungen wie ExpoMedeWeed in Medellín und Expo Bogota Cannabis in Bogotá; viele Zeitungsberichte, erste Plätze bei Cannabis Cups; und Anerkennung für ihre Arbeit. Ganja Farm wurde immer größer und das Team um verschiedene Experten erweitert, um die Arbeitskraft zu verbessern.
Die erste Anbaulizenz erhielt das Unternehmen im April 2017. PEDEKA war die sechste staatliche Firma für die Produktion von Cannabis. Die anderen fünf Lizenzen kamen dann nacheinander. Obwohl es immer noch so viel zu tun gab, trug die Idee, die schon vor Jahren begonnen hatte, langsam Früchte. Dieses und das nächste Jahr wurden der Verwirklichung eines Traums gewidmet. Strategische Partnerschaften sollten sicherstellen, dass das anfangs erwähnte Lagerhausprojekt in die Tat umgesetzt werden kann. Die Konstruktion der Anlage an sich war recht einfach, jedoch erfüllten sie erst nach einer Bauzeit von sechs Monaten die Qualitätsanforderungen wie GMP, GACP und anderen wie ISO sowie die Bestimmungen für die Genehmigung durch das ICA-Institut selbst.
Heutzutage gilt PIDEKA als Referenz für Kolumbien und darüber hinaus. Das Unternehmen verliert seine Wurzeln aber nicht aus den Augen: „Wir fördern soziale Projekte, weil wir aus der Cannabis-Aktivismus Szene kommen und wir werden die Verbesserung des Zugangs hin zu gesundheitlicher und sozialer Gerechtigkeit durch konkrete Aktionen bei gesellschaftlichen Organisationen auch weiterhin unterstützen“, lässt Pilar wissen.