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Der CBD-Hanfboom bringt in den Medien eine Flut von Berichten und Fotos mit sich. Stets sind dicht gestellte Kübelreihen in Treibhäusern zu sehen, bestückt mit Meter großen und kleinen Hanfpflanzen. Die meisten Leser kennen gar keine anderen Bilder mehr, obwohl der Hanf von seinem Ursprung und der Kulturgeschichte her genau das Gegenteil einer über domestizierten Zuchtsorte verkörpert – nämlich eine robuste Ruderalpflanze, aus dem Altaigebirge in Zentralasien stammend.
Aus meinen ersten Testaussaaten mit Hanfsamen aus aller Welt sprossen 1977 auf einer alten Brache bis zu drei Meter hohe Bäume. In den Folgejahren übertrafen sie gar die 4-Meter-Limite, unabhängig davon, ob sie CBD- oder THC-reich waren. Die große Höhe war im bäuerlichen Anbau stets auch ein Grund, um Hanffelder anzulegen. Einerseits konnte mit dichter Aussaat rasche Hochwüchsigkeit provoziert werden, um möglichst lange Stängel für die Fasergewinnung zu erreichen, andererseits hat die Höhe und Dichte des Feldes auch die Unterdrückung des Wildkrauts bestimmt und so neu gewonnenes Ackerland, zum Beispiel nach der Trockenlegung eines Sumpfes, urbar gemacht.
In der klein strukturierten Schweizer Landwirtschaft hatte bis ins 19. Jahrhundert jeder Bauernbetrieb seinen „Hampfplätz“ oder „Hanfpinten“. Vorzugsweise waren dies eben Randgebiete wie gerodete Waldränder, trockengelegte Moore und verrottete Miststöcke, da Hanf eine Pionierpflanze ist, stark zehrend und mit seiner Schnellwüchsigkeit eben „säubernd“, den Boden voll beschattend. Zudem ist Hanf selbst verträglich, kann also mehrere Jahre und gar Jahrzehnte auf demselben Boden gezogen werden, ohne dass sich spezifische Schädlinge etablieren. Die Urbarmachung konnte mit Hanf also über mehrere Jahre praktiziert werden, bis die Fläche für andere Kulturpflanzen wie Getreide oder Kartoffeln genügend geeignet war. Ich habe auf dem Versuchsfeld über 33 Jahre mit traditioneller Naturdüngung Hanf gezogen, ohne dass Mangelerscheinungen oder Schädlinge aufgetreten wären. Zu beachten waren einzig die Schneckenbekämpfung nach der Aussaat und die rechtzeitige Ernte vor den Nassperioden im Herbst, weil sonst wie bei Tomaten die Graufäule die spröden Teile befällt. Für die Biodiversität ist der Hanf nützlich, viele Kleinsttiere bevölkern ihn – wo die Männchen stehen gelassen werden, dagegen holen im Sommer die Bienen und andere Insekten den Blütenstaub. Der Hanf eignet sich also besonders gut, um in der Fruchtfolge strapazierte Böden zum inneren Ausgleich kommen zu lassen. Mit Mist und Gülle als Dünger gedeiht er prächtig, und je nach Reihendichte kann der Ackerboden mit Mulch belegt oder mit einer Klee-Einsaat bedeckt und geschützt werden. Solche Böden bleiben locker und sind bis ganz hinauf zur Bedeckung dicht mit Würmern und anderen Bodentieren belebt.
Auf solche Pflege verzichteten unsere bäuerlichen Ahnen offenbar: Ein St. Galler Agronom schrieb 1817 in seiner Anleitung, den Hanf und Flachs auf das Vorteilhafteste zu pflanzen: “(…) Seit Jahrhunderten dachte bey uns niemand an die Verbesserung der alt hergebrachten Behandlungsweise (…), man blieb beym alten Schlendrian und begnügte sich mit dem, was die Natur mit einiger einfachen Aushülfe gern gab.“ In einer gesteigerten Inlandproduktion sah er die einzige Möglichkeit, „unserer größeren Verarmung vorzubeugen, und dasjenige zu sein und zu werden, was der erste Zweck jedes Staates erfordert, und seine Ehre, Wohl und Selbstständigkeit begründen kann. (…) Hanf und Flachs sind bey uns einheimisch, und die Schweiz ist zu deren Anbau vorzüglich geeignet (…)“
Sein Aufruf hatte mäßig Erfolg, es blieb in der Schweiz bei der kleinbäuerlichen Anbauweise. Dagegen hatten die Großproduzenten in den Nachbarländern und Kolonien längst eine industrielle Produktion im Auge.
200 Jahre später sollte er allerdings recht bekommen. Die Schweiz scheint geradezu Hanf-affin zu sein. Als aufgrund eines Bundesgerichtsentscheids die seit 1968/75 geltende Hanfprohibition 2000–2002 vielerorts nicht vollzogen wurde, explodierte der Inlandsanbau derart, dass die Schweiz zum Exportland wurde und gar die klassischen Zulieferer aus Marokko vom europäischen Markt verdrängen konnte. Seither wird die Prohibition wieder mit einem geschätzten polizeilichen Aufwand von 200 Millionen Franken Steuergelder pro Jahr umgesetzt und so die Voraussetzung für den blühenden Schwarzmarkt mit dubioser THC-Ware aus intensivem Indoor-Anbau geschaffen. Dieser illegale Markt setzt in der Schweiz je nach Schätzung 0,3 – 1,2 Milliarden Franken um, steuerfrei, ungeregelt, mit unkontrollierter Ware, aus pestizidbelastetem und energieintensivem Anbau in Treibhäusern oder Indoor.
Diese Situation ist in jeder Hinsicht absurd. Politisch kann nur eine Regulierung analog dem Alkoholgesetz eine vernünftige Steuerung mit Jugendschutz bewirken – dazu hat Nationalrätin Maya Graf, selbst Biobäuerin, eine parlamentarische Initiative eingereicht. Bezüglich Anbau müssen Formen gefunden werden, um den altehrwürdigen Hanf wieder in seinem ursprünglichen Habitus wachsen lassen zu können, als robuste Freilandpflanze.
Dazu sieht die Initiative vor, dass der Bundesrat die Lizenzen für den Hanfanbau auch nach regional- und landwirtschaftspolitischen Kriterien vergeben kann. So können in den strukturschwachen Berggebieten, aus Sicherheitsgründen jeweils in Dörfern am Talende in Sackgassensituation, pro Hof Lizenzen für je 1–2 Aren gegeben werden, also in überschaubarer Gartengröße. Bei einem Franken pro Gramm getrockneter weiblicher Blüte gibt das immerhin Erträge von 10.000 bis 20.000 Franken pro Hof und kann so – wo aus regionalpolitischen Gesamtüberlegungen sinnvoll – strukturerhaltend wirken. Hanf wächst bei uns übrigens auch in den Höhenlagen bestens und wird potent, in südexponierten Hängen auch auf 1600 m über dem Meeresspiegel.
Die uralte Kulturgeschichte des Hanfs schreibt derzeit gerade ein neues, spannendes Kapitel.