Bei dem Wort „Entlaubung“ denken die einen an Agent Orange, die anderen fühlen sich bereits durch den Wortklang an eine unangenehme „Entlausung“ erinnert. Und was denkt die Pflanze bei diesem Wörtchen? „Oh F*ck!“, denkt die Pflanze, denn bei einer Entlaubung geht es ihr so richtig an den Kragen! Aber glaubt mir: Nach dem Schock am Anfang gefällt der Pflanze ihre neue Frisur dann plötzlich doch sehr gut und sie belohnt euch zur Erntezeit mit einem fetten Ertrag! Aber erst mal der Reihe nach.
Warum entlauben?
Hierfür gibt es einen extrem simplen Grund, der selbst Anfängern logisch erscheint: Die Blätter werfen Schatten auf die unteren Blüten. Klar könnte man einfach die unteren Blüten wegschneiden, aber auch dann gäbe es noch genügend Stellen, an denen Blüten durch Blätter verdeckt sind und so keine optimale Fotosynthese betreiben können. Denn auch die Blüten betreiben Fotosynthese! Natürlich nur die grünen Bereiche der Blüte, aber besonders in der ersten Wochen der Blütephase besteht die Blüte eh fast nur aus Blättern. Diese Methode wird in den USA übrigens als „schwazzing“ bezeichnet.
Wann wird entlaubt?
Es werden insgesamt zweimal fast alle Sonnenblätter entfernt. Der erste Zeitpunkt ist direkt vor Umstellung auf die Blütephase. Nach dem Entlauben sehen die Pflanzen zwar extrem kahl aus, der Stretch in der Blütephase ändert das aber schneller, als ihr denkt! Denn, anders als oft angenommen, streckt sich die Pflanze nicht, sie bildet neue, lange Triebe, die ohne Seitenäste in Richtung Licht wachsen. Dadurch denken viele, die Pflanze würde sich „strecken“, in Wahrheit wächst sie einfach nur straight nach oben!
Der zweite Zeitpunkt ist genau nach diesem Stretch, also ungefähr 2–3 Wochen nach Umstellung auf 12/12. Die Pflanzen haben sich in dieser Zeit meistens super erholt, die neuen Triebe haben aber schon wieder neue Sonnenblätter gebildet, die ein dichtes „Blätterdach“ entstehen lassen. Und genau das will man bei dieser Methode verhindern! Alle Sonnenblätter werden wieder entfernt, die Pflanze sieht mal wieder extrem nackt aus. Doch ab jetzt beginnen die Blüten endlich an Masse und Gewicht zuzulegen. Ungefähr 30 Tage nach Einleitung der Blütephase sieht man normalerweise nicht mehr, dass die Pflanzen vor kurzer Zeit noch so kahl aussahen, die Blütenstände sind alle schön gleich groß und es gibt keine „Popcorn-Buds“, die kein Licht abbekommen.
Woher kommt diese Methode?
Die Methode wurde ganz dreist von Bonsaizüchtern abgeschaut. Dort gehört das regelmäßige Entlauben zur Standardprozedur, um die Pflanze jung und vital zu halten. Bei Bonsais werden aber außerdem noch die Wurzeln zurückgeschnitten, davon würde ich euch bei Hanfpflanzen strikt abraten… Auch im Weinbau werden die Pflanzen entblättert, um mehr Sonne an die Trauben zu lassen. Die Methode wird seit einigen Jahren auch von Cannabisgrowern in den USA eingesetzt und erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
Nachteile beim Entlauben
Wie jede Anbaumethode hat auch die Entlaubung einige Vor- und Nachteile. Die Vorteile sind schnell erklärt: Weniger Schatten, mehr gut beleuchtete Blüten, gleichmäßige Verteilung des Gewichts.
Die Nachteile sind schon etwas komplizierter und machen diese Methode definitiv nur für Profis interessant: Da der Pflanze plötzlich 90 % ihrer Blätter fehlen, verbraucht sie viel weniger Wasser und natürlich auch weniger Nährstoffe. Der EC-Wert sollte dauerhaft an die Blattfläche angepasst werden, die von der Pflanze geforderte Nährstoffkonzentration ändert sich nach jedem Entlauben und die Pflanze ist generell sehr anfällig für Stress jeglicher Art, seien es Temperaturschwankungen, Nährstoffprobleme oder Krankheiten und Schädlinge im Allgemeinen.
Das Immunsystem und der gesamte Kreislauf der Pflanze sind durch das Entlauben extrem angeschlagen, die Pflanze führt in diesen Tagen auf jeden Fall ein Leben am Limit, so bescheuert das klingt. Passiert jetzt ein Fehler, kann die Pflanze leicht eingehen. Wenn sich dann die Blüten bilden, muss der Gärtner die Nährstoffe wieder genau an die Blütenbildung anpassen, normale Dünger enthalten viel zu viel Stickstoff für entlaubte Pflanzen! Der Stickstoff wird normalerweise von den Blättern verbraucht, ihr benötigt also unbedingt einen Blütedünger mit weniger Stickstoff als sonst.
Generell wächst die Pflanze bei dieser Methode durch den vielen Stress und die Entfernung der Blätter etwas langsamer als sonst, als „effizient“ sollte man diese Methode also nicht unbedingt bezeichnen.
Wann kann diese Methode sinnvoll sein?
Wenn ihr beispielsweise an einem Ort growt, an dem die Luftfeuchtigkeit dauerhaft zu hoch ist und ihr Angst habt, dass eure Buds schimmeln könnten, dann ist eine ordentliche Entlaubung eine nützliche Sache! Der sogenannte „Airflow“, also einfach der Luftaustausch in der Box, ist dadurch viel besser und es können sich viel schwerer feuchte Stellen bilden.
Auch für LED-Grower ist diese Methode interessant! Durch die fehlende Tiefenwirkung der LEDs kommt meistens noch weniger Licht an die unteren Buds als unter herkömmlichen NDL-Lampen. Hier kann das Entlauben Abhilfe schaffen.
Defoliation Fazit
Generell ist diese Methode meiner Meinung nach etwas für Grower, die einfach gerne Zeit im Garten verbringen, experimentierfreudig sind oder eine weitere Herausforderung suchen. Ein guter „Defoliation-Grow“ sieht definitiv eindrucksvoll aus, versteht mich da nicht falsch. Ein voll bestückter SOG sieht aber mindestens genauso gut aus und benötigt einige Zeit kürzer, dazu ist der Ertrag meistens sogar höher. Falls es aber immer noch Leute gibt, die behaupten „Du darfst keine Blätter abschneiden, das schadet der Pflanze“, zeigt den Leuten einfach mal ein paar Bilder von entlaubten Pflanzen vor und nach der Blütephase.