Du willst diesen Beitrag hören statt lesen?
Klicke dazu auf den unteren Button, um den Inhalt von Soundcloud zu laden.
Für Menschen, die Cannabis als Medizin benutzen, ist es manchmal besser, ihr Hanfprodukt zu essen, als es zu rauchen. Der Apotheker würde hier von einer oralen Applikation sprechen. Denn dasselbe Cannabisprodukt zeigt recht unterschiedliche Wirkmuster, je nachdem, wie es konsumiert wird. Was sind nun die Vorteile vom Hanfessen?
Ein kurze Anfrage bei dem sympathischen Cannabiskoch Rüdiger Klos-Neumann von Sens Cuisine bringt, wie gewohnt, eine rasche und präzise Antwort: Die Wirkung ist bis zu zehnmal stärker und hält deutlich länger an als beim Inhalieren. Inhaliert wirkt es ein bis drei Stunden, ein Hanfesser dagegen spürt nach Einnahme regelmäßig 5 bis 10 Stunden und länger Wirkung. Zur Behandlung von etwa chronischen Schmerzen ist so eine starke Depotwirkung absolut wünschenswert. Rüdiger selbst hat sich auf eine verhältnismäßig große Menge Esshanf eingestellt, den er morgens konsumiert, um schmerzfrei arbeiten zu können. Bei akutem Bedarf über den Tag vaporisiert er. Damit ist der Unterschied zwischen Essen und Inhalieren ziemlich genau beschrieben. Gegessen tritt die Wirkung langsam ein und hält zuverlässig lange an. Inhalation dagegen wirkt schnell, aber dann nur kurz. Das kann jeder bestätigen, der schon mal erfolgreich mit Hanfessen experimentiert hat.
Aber wie kann dasselbe THC so unterschiedlich wirken?
Weil es gegessen eigentlich eine andere Substanz ist. Beim Essen spürt man nicht THC, sondern 11-Hydroxy-THC, einen sogenannten Metaboliten, also eine verstoffwechselte Version der ursprünglich aufgenommenen Substanz. Über die Lunge inhaliert, gelangt THC sofort zum Herz und in den arteriellen Kreislauf, als frisches Blut versorgt es die Organe und kommt innerhalb von Sekunden auch beim Gehirn an. Die Wirkung ist spätestens nach einer Viertelstunde spürbar, beim Rauchen verursacht Kohlenmonoxid zudem unmittelbar leichte Benommenheit.
Nährstoffe aus dem Darm aber werden mit venösem Blut aufgenommen und gelangen zunächst in das sogenannte Pfortadersystem der Leber. Als zentrales Verdauungsorgan sortiert, portioniert und entgiftet diese alle Nährstoffe. THC wird hier verändert zu 11-Hydroxy-THC. An das Kohlenstoffatom Nummer 11 wird ein OH-Gruppe angehängt. Diese chemische Veränderung von Wirkstoffen in der Leber heißt „First-Pass-Effect“, jeder der Medikamente zum Essen herstellt, muss das berücksichtigen. Beim Essen hat der Cannabiskonsument also hauptsächlich mit 11-Hydroxy-THC zu tun, welches für die stärkere und längere Wirkung von Edibles verantwortlich gemacht wird. Genauere Forschungen dazu gibt es wenige, ein sehr bescheidener Wikipedia-Artikel erwähnt eine einzige Studie aus den 1970er-Jahren. Dort wird 11-Hydroxy-THC bei gleicher Dosis nur als schneller, aber nicht stärker in der Wirkung angegeben. Offenbar kann das hydroxylierte THC leichter die Blut-Hirnschranke passieren, als THC. Weil der Verdauungsprozess je nach Mageninhalt aber 30 bis 120 Minuten dauert, merkt der Patient die Wirkung eben entsprechend später.
Dann gibt es noch einige Messungen über den THC-Gehalt im Blut unmittelbar nach der Einnahme und im Verlauf der Wirkung. Über den Gehalt von 11-Hydroxy-THC sagen diese nichts, aber die Ergebnisse würden den Wirkungsverlauf erklären. Kurz nach dem Inhalieren misst man einen sehr hohen Plasmaspiegel von 100 ng/l THC im Blutplasma, welche aber innerhalb einer Stunde rapide auf unter 10 ng/l fällt. Beim Essen dagegen baut sich innerhalb einer Stunde ein sehr niedriger THC-Spiegel von 6 ng/l auf, welcher aber innerhalb der nächsten 5 Stunden sehr langsam auf 2 ng/l absinkt. Man muss davon ausgehen, dass von der konsumierten Menge der größte Teil in 11-Hydroxy-THC umgewandelt wurde und eben deshalb nicht in der Messung auftaucht. Der Verlauf der geringen THC-Konzentration entspricht aber ziemlich genau dem beim Essen verspürten dauerhaft stabilen Effekt.
Ohne sich weiter am niedrigen Forschungsstand und an der niedrigen THC-Konzentration zu stören, kann man aber weiterhin davon ausgehen, dass Menschen einfach vielmehr essen als rauchen können. Beim Rauchen dosiert jeder Cannabis unwillkürlich herunter, da die Wirkung schon eintritt, während der Joint oder Vaporizer noch an sind. Jeder macht dann erst mal etwas langsamer, einen Joint mit kräftigem Gras kann oder muss man manchmal nach der Hälfte weglegen. Auch wer mehrere Gramm am Tag inhaliert, macht zwischen den Bongköpfen mal eine Pause, innerhalb derer der THC-Gehalt im Blut stark abnimmt. Beim Essen ist aber die ganze Portion auf einmal da.
Nicht weiter ins Gewicht fällt auch die Tatsache, dass beim Essen nur etwa halb so viel THC aufgenommen wird, wie beim Rauchen. Die sogenannte Bioverfügbarkeit, also das, was vom aufgenommenen Wirkstoff tatsächlich im Blut ankommt, liegt für inhaliertes THC bei 15 bis 25 % der aufgenommen Menge. Vom Essen gelangen dagegen regelmäßig nur 8 bis 15 % ins Blut. Ein Gramm Gras ist aber immer noch wesentlich leichter gegessen als auf einmal verlustfrei inhaliert. Die gegessene Menge kann außerdem praktisch beliebig gesteigert werden. Man kann – bewusst oder unbewusst – wesentlich mehr aufnehmen, weil es länger dauert, bis die Wirkung einsetzt. Die bei Genusskonsumenten gefürchtete Überdosis Kekse kann für besonnene Patienten also genau die gewünschte Linderung bringen.