Cannabinoide sind der Sammelbegriff für Stoffgruppen, die an den sogenannten Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 wirken. Obwohl diese Substanzen sich chemisch oftmals stark voneinander unterscheiden, werden sie unter der Stoffgruppe der Cannabinoide zusammengefasst. Gemeinsam haben alle diese Cannabinoide, dass sie die Wirkung von THC weitgehend imitieren können, indem sie genauso wie THC an den CB1-Rezeptoren andocken und dort eine berauschende Wirkung auslösen. Dies macht sie seit über einem Jahrzehnt sehr interessant als legale Ersatzstoffe zum verbotenen Original aus der Natur.
CB1-Bindungsaffinität als wichtigster Unterschied zu THC
Abgesehen davon, dass viele synthetische Cannabinoide in ihrer chemischen Struktur keine Ähnlichkeit mit THC haben und sich auch untereinander stark unterscheiden können, ist der wichtigste wirkungstechnische Unterschied zum THC, die Bindungsaffinität am CB1-Rezeptor. THC ist ein partieller Agonist, das bedeutet, THC kann teilweise am CB1-Rezeptor andocken. Ganz vereinfacht gesagt, kann man sich das so vorstellen, wie ein Schlüssel der teilweise in ein Schloss passt, aber eben nicht ganz. Jedoch reicht dieses teilweise Andocken aus, um eine stimulierende Wirkung am CB1-Rezeptor auszulösen. Synthetische Cannabinoide hingegen sind Vollagonisten. Diese docken vollständig an, wie ein Schlüssel, der vollständig in das Schloss passt. Die Stärke der Bindung am CB1-Rezeptor wird als Bindungsaffinität bezeichnet. Gemessen wird die Bindungsaffinität in der Maßeinheit Ki.
THC hat eine Bindungsaffinität von 10.2 Ki. Im Vergleich dazu hat das synthetische Cannabinoid HU-210 etwa eine Bindungsaffinität von 0.06 Ki. Das bedeutet, dass HU-210 etwa 170-mal so potent ist wie THC. Durch diese hohe Potenz der meisten synthetischen Cannabinoide ist nicht nur deren Wirkung stärker, sondern auch deren Nebenwirkungen. Während es keinen einzigen nachgewiesenen Fall einer tödlichen Überdosis mit THC gibt, gibt es zahlreiche dokumentierte tödliche Vergiftungsfälle mit synthetischen Cannabinoiden. Eine typische Nebenwirkung von einer zu hohen Dosis synthetische Cannabinoide sind extreme, teilweise schon psychotische Paranoia. In weiterer Folge können Herzrasen, Übelkeit, Kreislaufprobleme und im schlimmsten Fall ein tödliches Kreislaufversagen oder Multiorganversagen auftreten.
Viele synthetische Cannabinoide stammen aus medizinischer Forschung
Viele heute gebräuchliche synthetische Cannabinoide wurden bereits in den 1970er und 1980 Jahren von Universitäten oder Pharmakonzernen erstmalig synthetisiert. Das Hauptziel war, zu erforschen, ob es möglich ist, Cannabinoide zu synthetisieren, die deutlich selektiver als das natürliche THC oder körpereigene Cannabinoide wirken. Mit sehr selektiv wirksamen Cannabinoiden könnte es möglich sein, einzelne medizinische Aspekte, wie die Schmerzstillung oder die entzündungshemmende Wirkung besonders stark zu betonen, während berauschende Wirkungen aus dem Wirkungsprofil eliminiert werden.
Jedoch gelang es bei den allermeisten Cannabinoiden nicht, die berauschenden Nebenwirkungen zu eliminieren. Dieser Aspekt macht sie dafür umso interessanter als legaler psychoaktiver Ersatz für THC. Viele Cannabinoide wurden auch hergestellt, um dadurch die Funktionsweise des körpereigenen Cannabinoidsystems besser zu verstehen und daraus mögliche pharmakologische Anwendungen abzuleiten.
Unzählige Stoffgruppen mit Cannabinoidwirkung
Die kryptische Bezeichnung der meisten Cannabinoide setzt sich aus einer Abkürzung ihres Erfinders, sowie einer laufenden Nummerierung zusammen. Eines der ersten Cannabinoide, das international bekannt wurde, war HU-210, nachdem dieses im Cannabisersatzstoff Spice gefunden wurde. „HU“ steht für „Hebräische Universität“ und 210 für das 210. Cannabinoid, welches dort synthetisiert wurde. An der Hebräischen Universität wurden in den 1980er-Jahren zahlreiche Cannabinoide aus der sogenannten HU-Serie erstmalig hergestellt. Die Cannabinoide der HU-Serie gehören chemisch zu den sogenannten klassischen Cannabinoiden. Das bedeutet einfach ausgedrückt, dass sie im weitesten Sinne chemisch noch mit der Struktur von THC verwandt sind, im Gegensatz zu vielen anderen Stoffgruppen, die chemisch nichts mit THC gemeinsam haben. Eine weitere bekannte Stoffgruppe ist die CP-Serie. „CP“ steht für „Charles Pfizer“. Dieser Mitbegründer des Pharmakonzerns Pfizer, synthetisierte vorwiegend in den 1970er-Jahren zahlreiche Cannabinoide.
Chemisch gehört diese Stoffgruppe zu den Cyclohexylphenolen, welche keinerlei chemische Ähnlichkeit mit THC hat und rein synthetisch hergestellt wird. Das bekannteste Cannabinoid aus dieser Reihe war CP47-497, welches in einigen Spice-Nachfolgern gefunden wurde. Eine weitere bekannte Gruppe von Cannabinoiden sind die AM-Cannabinoide, welche in zahlreichen Legal Highs gefunden wurden. „AM“ steht für Alexandros Makriyannis, ein Professor an der Universität von Massachusetts, unter dessen Leitung zahlreiche AM-Cannabinoide hergestellt wurden. Chemisch handelt es sich bei den meisten Cannabinoiden dieser Gruppe entweder um Analoga des körpereigenen Cannabinoids Anandamid oder um Pyrazol-Derivate. Am bekanntesten aus dieser Serie ist wahrscheinlich AM-2201.
Dieses wurde in zahlreichen Fake-Haschsorten gefunden. Neben den eben genannten bekanntesten Stoffgruppen gibt es noch dutzende weitere Stoffgruppen mit tausenden von Cannabinoiden. Mit jedem Verbot und jeder Erweiterung des NPSG-Gesetzes kommen weitere neue Cannabinoide hinzu. Wichtig zu verstehen ist, dass dieses mittlerweile seit über 15 Jahren andauernde Wettrüsten zwischen dem Gesetzgeber und Hersteller von Designerdrogen nur deshalb besteht, weil bis zum heutigen Tag das weitgehend unschädliche Original aus der Natur verboten ist. Niemand würde Legal Highs mit weitgehend unerforschten Cannabinoiden konsumieren, wenn es evidenzbasierte Grenzwerte im Straßenverkehr gäbe und niemand Angst um seinen Führerschein haben müsste, weil er tagelang davor an einem Joint gezogen hat.