Eine Pflanze, die aufgrund ihrer kulturhistorischen Relevanz in der Artikelserie „Heimische Ethnobotanik“ nicht fehlen sollte, ist das Johanniskraut (Hypericum perforatum). Schon lange gilt dieses Gewächs als hervorragende Heil- und Ritualpflanze und wird seit jeher entsprechend verwendet, beispielsweise als antidepressiv wirkendes Psychoaktivum, als Schmerzmittel oder in der Darreichung eines magischen Räucherwerks. Doch nicht nur damals, sondern auch heutzutage erfreut sich das gelb blühende Kraut einer beständigen Beliebtheit im Besonderen zur phytotherapeutischen Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen. Einige Personen bezeichnen das Johanniskraut deshalb auch als Lichtpflanze. Es ist nämlich nicht ungewöhnlich, dass Anwender dieser Pflanze das Gefühl bekommen, dass selbst die dunkelsten Ecken ihrer Seele wieder hell werden.
Und das Beste ist: Johanniskraut wächst meistens direkt vor der Haustür.
Botanische Synonyme
Hypericum officinarum, Hypericum officinale, Hypericum vulgare
Botanische Zuordnung
Gattung → Johanniskräuter (Hypericum)
Familie → Hartheu- bzw. Johanniskrautgewächse (Hypericaceae)
Volkstümliche Namen
Blutkraut, Echtes Johanniskraut, Elfenblut, Frauenkraut, Hartheu, Herrgottswundkraut, Hexenkraut, Jagdteufel, Jesuwundenkraut, Johannisblut, Konradskraut, Mannskraft, Maria Bettstroh, Sonnwendekraut, Teufelsflucht, Tüpfel, Tüpfelhartheu, Tüpfeljohanniskraut, Waldhopfen, Wundkraut, Hierba de San Juan (span.), Horny goat weed (engl.), Iperico (it.), Millepertuis (franz.), Zwieroboij (rus.)
Aussehen
Johanniskraut ist eine mehrjährige Pflanze mit einer Wuchshöhe von bis zu einem Meter und ausgefüllten Stängeln, wodurch sie von anderen Johanniskräutern unterschieden werden kann. Im oberen Teil ist Hypericum perforatum buschig verzweigt. Die grünen, oval förmigen Blätter haben eine Länge von maximal 3 cm und weisen dicht versetzte Punktierungen auf.
Dabei handelt es sich um Öldrüsen, die das ätherische Öl enthalten. Die goldgelben und am Rande mit schwarzen Punkten versehenen Blüten bestehen aus insgesamt fünf Blüten- sowie zahlreichen Staubblättern und erscheinen im Zeitraum von Mai bis August. Da in der Blüte der rote Farbstoff Hypericin enthalten ist, verfärben sich die Finger rot, wenn die Blüten zerrieben werden.
Geerntet wird traditionell am 24. Juni, also am Johannistag (Johanni).
Vorkommen
Die botanische Heimat des Johanniskrauts ist Europa. Inzwischen ist es aber auch in vielen anderen Regionen der Erde eingebürgert, beispielsweise in Ost- und Westasien, Nordafrika, Nord- und Südamerika sowie in Australien. Es wächst an (Wald-)Wegen, Böschungen und auf Magerwiesen. Es kommt hierzulande in der Natur sehr häufig vor und kann leicht gefunden werden.
Inhaltsstoffe
Johanniskraut enthält ätherisches Öl mit Kohlenwasserstoffen und Sesquiterpenen, Flavonoide (Hyperosid, Rutosid, Quercitrin, Isoquercitrin, Biflavone), Anthrachinon-Derivate (Hypericin, Pseudohypericin), Phloroglucinderivate (Hyperforin, Adhyperforin), Oligomere Procyanidine und Xanthone.
Anzucht
Wer möchte, kann sich das Johanniskraut im Garten leicht selbst anpflanzen. Die Anzucht gelingt problemlos, entweder durch Aussaat oder die Auspflanzung gekaufter Jungpflanzen. Da Johanniskraut sehr häufig wild vorkommt, ist es natürlich auch möglich, eine junge Wildpflanze behutsam auszugraben und im Garten wieder einzupflanzen. Optimal sind ein magerer Boden mit einem neutralen bis leicht alkalischen pH-Wert sowie ein vollsonniger Standort.
Ritual & Mythologie
Das Johanniskraut hat einen engen mythologischen Bezug zur Sommersonnenwende und wurde damals als stark wirksame, magische Schutz- und Zauberpflanze verwendet. Beispielsweise wurde ein um den Kopf gebundener Kranz aus Johanniskraut beim Tanz um das legendäre Sommerwendfeuer getragen. Denn ein solcher Kopfschmuck schützt nicht nur den Tänzer vor negativen Einflüssen, sondern verbindet ihn, dem alten Volksglauben nach, auch mit den Kräften der Natur.
Daneben wurde die Pflanze im Rahmen der Sommerwendrituale in Form eines Altarschmuckes oder als harmonisierenden Räucherwerk eingesetzt, welches gleichermaßen die Seele erhellt, genau wie es negative Energie oder schädliche Krankheitsgeister bzw. Dämonen vertreibt. Zu gleichen Zwecken haben unsere Vorfahren auch Kränze aufs Hausdach oder ins Bett gelegt sowie ans Fenster oder die Stalltüre gehangen.
Außerdem wurde Johanniskraut zu früherer Zeit für Liebesorakel verwendet. Junge Frauen haben die blühenden Knospen in einem Tuch zerdrückt, während sie zeitgleich an ihren Verehrer gedacht haben. Hat sich das Tuch daraufhin rot verfärbt, galt dies als gutes Omen für eine glückliche Partnerschaft. Blieb das Tuch hingegen farblos, war dies ein sehr ungünstiges Zeichen.
Medizinischer Gebrauch
Volksmedizinische Anwendung erfährt das Johanniskraut seit jeher zur Wund- und Schmerzbehandlung sowie als Apotropäum, also zur Abwehr schädlichen und krank machenden Zaubers. Seit dem Mittelalter nutzt man es zudem als mildes Psychotherapeutikum, welches leichte Depressionen, Melancholie, Angst- sowie nervöse Unruhezustände lindert. Die antidepressive Wirkeigenschaft wurde inzwischen auch vonseiten der Wissenschaft bestätigt, sodass Johanniskrautpräparate heute auch schulmedizinisch eingesetzt werden.
Psychoaktivität
„Die entoptischen Lichtphänomene, die Wolken und Lichtblitze, die hinter geschlossenen Lidern auftreten, gestalten sich ungewöhnlich hell und grell bunt. Lichtgebilde steigen auf und gerinnen dann plötzlich in eine rigide geometrische Form.“ (STORL 2008: 180). Personen, die denken, derartige Effekte, wie sie Wolf-Dieter Storl beschreibt, würden gleich nach der ersten Einnahme eintreten, liegen falsch. Die euphorisierenden und beruhigenden – ja, im wahrsten Sinne des Wortes stimmungsaufhellenden Eigenschaften sind zwar definitiv vorhanden, allerdings werden sie meist erst dann verspürt, wenn die Pflanze über einen Zeitraum von ein bis drei Wochen hinweg regelmäßig eingenommen wird, beispielsweise in Form eines Teeaufguss oder als Öl. Es kommt einem dann tatsächlich so vor, und vielleicht ist es auch so, als speichere das Johanniskraut während ihre Vegetation enorme Mengen an Sonnenlicht, welches es dann nach ihrer Einnahme gütiger Weise auf ihren Anwender überträgt.
Dass Johanniskraut über ein derart einzigartiges, absolut interessantes psychoaktives Wirkungsprofil verfügt, kann pharmakologisch betrachtet zu großer Wahrscheinlichkeit auf den Inhaltsstoff Hyperforin zurückgeführt werden. Dieser wirkt nämlich in einer Wiederaufnahmehemmung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin, sodass sich deren Konzentration an den signalempfangenden Synapsen erhöht. Daneben kommt es zu einem Anstieg von Dopamin und gamma-Aminobuttersäure (GABA).
Wirkdosis
Als wirksame Dosis empfiehlt die Schulmedizin 900 mg bis 1800 mg Johanniskrautextrakt. Das entspricht etwa dem Zehnfachen, der in frei verkäuflichen Präparaten vorliegenden Dosierung. Derart stark konzentrierte Johanniskrautprodukte gibt es nur in der Apotheke. Regelmäßig über einen längeren Zeitraum als Tee oder Öl eingenommen wirkt die Pflanze bei den meisten Personen aber auch in geringerer Dosierung.
Nebenwirkungen
Während des Einnahmezeitraums ist zu beachten, dass die Lichtempfindlichkeit der Haut erhöht ist. Insbesondere hellhäutige Personen sollten sich dann nicht allzu lange in der Sonne aufhalten, da ansonsten ein heftiger Sonnenbrand droht. Da Johanniskraut außerdem über eine leicht abortive Wirkung verfügt, sollten schwangere Frauen auf die Anwendung sicherheitshalber vollständig verzichten.
Wechselwirkungen
Lange Zeit wurde behauptet, dass Johanniskraut eine MAO-Hemmung bewirkt und es deshalb zu Wechselwirkungen mit anderen Substanzen kommt. Fakt ist: Johanniskraut ist kein MAO-Hemmer. Unabhängig davon wirkt es aber in einer Aktivierung bestimmter Leberenzyme, welche unter anderem für die Ausscheidung diverser Medikamente verantwortlich sind. Das bedeutet, dass Johanniskraut die Wirkintensität einiger Arzneimittel abschwächen kann, beispielsweise von Antibiotika, Antiepileptika, Cholesterinsenker und Immunsuppressiva. Auch die Wirkung der Antibabypille kann durch die gleichzeitige Einnahme eines Johanniskrautpräparates herabgesetzt werden. Wird Johanniskraut mit einem Antidepressivum aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer kombiniert, etwa mit Fluoxetin oder Paroxetin, besteht das Risiko serotonerg bedingter Nebenwirkungen. Über die kombinierte Einnahme von Johanniskraut und Cannabis sind keine unangenehmen Wechselwirkungen bekannt.
Zubereitungsmöglichkeiten
Teeaufguss
Eine Handvoll frisches Johanniskraut oder zwei Teelöffel der getrockneten Blüten werden in eine Tasse gegeben, mit kochendem Wasser übergossen, zehn Minuten ziehen gelassen und nach Belieben gesüßt.
Öl
Zur Ölherstellung wird ein verschließbares Glas zu zwei Drittel mit frischen Johanniskraut-Blüten gefüllt und vollständig mit hochwertigem Olivenöl übergossen. Danach muss das Glas verschlossen für etwa vier Wochen an einen warmen, sonnigen Ort gestellt werden. Einmal am Tag sollte das Glas ordentlich geschüttelt werden und sobald das Öl eine tiefrote Farbe angenommen hat, kann es filtriert (z. B. Kaffeefilter) und in eine dunkle Flasche gefüllt werden.
Tinktur
Eine Tinktur wird auf selbige Weise hergestellt wie das Öl. Bloß, dass kein Öl, sondern hochprozentiger Alkohol verwendet wird, beispielsweise Doppelkorn, Weingeist oder ein ähnliches Alkoholikum. Wird die Tinktur an einem dunklen und kühlen Ort aufbewahrt, hält sie sich mindestens ein Jahr. Daher empfiehlt es sich, die Flasche mit einem Etikett zu versehen, auf dem das Abfülldatum vermerkt wurde.
Räucherwerk
Dass Johanniskraut eine Pflanze des Lichts und der Sonne ist, kann nicht nur nach einer innerlichen Anwendung gespürt werden, sondern auch dann, wenn sie als Räucherwerk benutzt wird. Persönlich empfinde ich eine Räucherung mit Johanniskraut als eine Art Seelendoping. Der inhalierte, aufsteigende Rauch hat eine sehr wohltuende, ausgleichende, energetisch entladende und harmonisierende Wirkung. Daher eignet sich Johanniskraut auch sehr gut zur Chakraräucherung sowie zur Meditation, genau, wie zur Reinigung von Wohnräumen, Ställen und Ritualplätzen. Das getrocknete Kraut verströmt beim Räuchern einen angenehmen, blumigen und heuartigen Duft.
Verdampfen
Zur Linderung nervöser Unruhezustände und leichter Depressionen kann Johanniskraut auch mittels eines Vaporizer konsumiert werden. Als ideale Temperatur werden 150 ° C angegeben.
Literatur
Wolf-Dieter Storl: Kräuterkunde, Bielefeld: Aurum in J. Kamphausen Verlag 2008.