Im vierten Teil der Artikelserie „Heimische Ethnobotanik“ wird sich mit dem Nadelholzgewächs Wacholder (Juniperus communis) beschäftigt. Dabei handelt es sich um eine Pflanze mit einer großen Bandbreite an unterschiedlichen Wirkeigenschaften, die als Räucherwerk angewendet aller Wahrscheinlichkeit nach zu den ältesten Ritualpflanzen der Menschheit gehört.
Botanische Zuordnung
Gattung → Juniperus (Wacholder)
Familie → Cupressaceae (Zypressengewächse)
Ethnobotanisch relevante Juniperus-Spezies
Juniperus cedrus WEBB. et BERTHEL – Rotbeeriger Wacholder, Stechwacholder, Spanische Zeder |
Juniperus communis LINNÉ – Gemeiner Wacholder |
Juniperus communis var. saxatilis PALLAS – Alpen-Wacholder, Zwerg-Wacholder |
Juniperus excelsa M. BIEB. – Griechischer Wacholder |
Juniperus macrocarpa SMITH – Großfrüchtiger Wacholder |
Juniperus macropoda KOCH – Himalayan Pencil Cedar |
Juniperus recurva BUCH.-HAM. ex DON – Hochgebirgswacholder |
Juniperus sabina LINNÉ – Sadebaum |
Juniperus scopulorum SARGENT – Rocky Mountain Wacholder |
Juniperus virginiana LINNÉ – Amerikanischer Wacholder, Virginischer Wacholder |
Trivialnamen
Feuerbaum, Gemeiner Wacholder, Gewöhnlicher Wacholder, Heide-Wacholder, Jachelbeerstrauch, Kaddigbeere, Krammet, Kranewitt, Machandelbaum, Quackelbusch, Räucherstrauch, Reckholder, Stechbaum, Wachulder, Weckholder, ardıç (türk.), Boróka (ungar.), Common juniper, Juniper (engl.), Einirunni (isl.), Enbuske (schwed.), Enepro )span.), Genièvre (fr.), Ginepro (it.), Jalowiec (pol.), Jeneverbes (niederl.), Kataja (fin.), Zimbro (port.)
Botanik
Der Gemeine Wacholder ist ein immergrüner, frostharter und zweihäusiger Strauch resp. Baum mit einer durchschnittlichen Wuchshöhe von drei bis zehn Metern. Bei den Blättern handelt es sich um spitze, graugrüne, bis zu 15 mm lange Nadeln. Die unscheinbaren Blüten eignen sich gut zur Geschlechtsbestimmung. Männliche Blüten sind gelblich und eiförmig, während die weiblichen Blüten grün und vergleichsweise zapfenartig aufgebaut sind. Blütezeit ist von Mai bis Juni. Die Rinde junger Pflanzen ist rotbraun und glatt. Später wird sie schuppig und verändert die Farbe in Richtung graubraun. Die wirkstoffreichen Beeren sind etwa erbsengroß, anfänglich blaugrün und verfärben sich mit zunehmender Reife im Herbst blauviolett. In jeder Beere sind ein bis drei der eiförmigen Wacholdersamen enthalten.
Vorkommen
Juniperus communis gedeiht bis zu einer Höhe von 1.500 Meter in den gemäßigten Zonen der nördlichen Hemisphäre. Als Standort bevorzugt die Pflanze lichte Nadelmischwälder, Moore, Heiden oder nährstoffarme Magerwiesen. Wildbestände sind in Deutschland sowie der Schweiz sehr selten geworden, weshalb die Pflanze unter Naturschutz steht.
Inhaltsstoffe
Wacholder enthält ein aus α- und β-Pinen, Borneol, Limonen, Caryophyllen, Myrcen, Sabinen, Terpinen-4-ol und Thujon zusammengesetztes ätherisches Öl sowie Bitterstoffe, Flavonoide, Gerbstoffe, Harz, Invertose und Zitronensäure.
Anzucht
Die Kultur des Wacholders im eigenen Garten ist einfach und im Grunde genommen absolut „anfängersicher“. Das im Pflanzenhandel gekaufte oder eigenhändig geerntete Saatgut wird im Herbst ausgesät, worauf es im folgenden Frühjahr aufkeimen wird. Möchte der Gärtner die Samen zu einer anderen Zeit zur Keimung bringen, müssen die Saatkörner vor der Aussaat ein paar Wochen zwecks Stratifikation in den Kühlschrank gelegt werden. Danach werden sie einzeln in Anzuchttöpfe gesteckt und sobald die Samen aufgegangen und die heranwachsenden Jungpflanzen robust genug sind, können sie in große Töpfe oder an eine passende Stelle in den Garten gepflanzt werden.
Optimal ist ein sonniger- oder halbschattiger Standort. Vollschatten mögen die Pflanzen nicht. Was die Pflege betrifft hat der Wacholder keine besonderen Ansprüche. Er benötigt prinzipiell zwar eher einen trockenen Boden, dennoch mag es die junge Wacholderpflanze, wenn der Boden – der außerdem gut durchlässig sein sollte – vor dem Auspflanzen noch mit Kompost angereichert wird. Bei normaler regelmäßig erfolgender Wasserzufuhr sollte die Anzucht problemlos gelingen. Juniperus communis eignet sich im Garten auch als abgrenzende oder Sichtschutz spendende Hecke. Der Abstand der einzelnen Pflanzen sollte etwa einen Meter betragen. Der Rückschnitt einer Wacholderhecke erfolgt im Frühjahr oder Herbst.
Ernte
Die aromatischen reifen Beeren werden am besten nach dem ersten Frost im November gesammelt. Die Nadeln und Zweigspitzen können das ganze Jahr über geerntet werden. Harz enthält das Holz nur ganz wenig, weshalb sich dieses nur beschwerlich sammeln lässt. Früher war Wacholder-Harz unter der Bezeichnung „Deutscher Sandarak“ im Handel erhältlich, was heute allerdings nicht mehr der Fall ist.
Ritual, Mythologie & Symbolik
Juniperus communis
Die Verwendung des Gemeinen Wacholders als zeremonielles Räucherwerk ist uralt und lebt bis heute fort. Man kann sicherlich sagen, dass überall dort, wo die Pflanze wächst, sie auch als magische und heilende Schamanenpflanze bekannt ist. Die Germanen, Kelten, die antiken Griechen sowie die sibirischen Schamanen betrachten den Wacholder als heilig und sehen in ihm den „Baum des ewigen Lebens“, der dabei hilft den Tod zu überwinden. Darüber hinaus wurde die Pflanze im alten Europa als lichtragendes Symbol für Gesundheit und Fruchtbarkeit verehrt. Als wird Juniperus communis vor allem deshalb geschätzt, weil der Rauch negative Energien vertreibt, genau wie er bei der Herstellung eines Ahnenkontaktes schützenden Beistand leistet.
Juniperus rucurva
Im gesamten Himalayaraum ist der sogenannte Hochgebirgswacholder (Juniperus recurva), der in Höhenlagen zwischen 3.000 und 6.000 Metern gedeiht, von wichtiger schamanisch-ritueller Relevanz. In Tibet beispielsweise wird diese Wacholderart auch „Nahrung der Götter“ genannt und im Kontext von Reinigungsritualen geräuchert. Im Himalaya lebende Buddhisten nutzen den Hochgebirgswacholder als Räucherstoff für die Morgenpuja, nepalesische Sherpas bei Leichenverbrennungen und die Bewohner des indischen Darjeeling räuchern Wacholder zur Vertreibung von Moskitos und anderen Insekten. Die Schamanen aus Nepal kennen und verwenden zwar eine ganze Reihe Räucherstoffe, allerdings ist der Hochgebirgswacholder sehr häufig ihr wichtigster Verbündeter. In Kombination mit rhythmischer Trommelmusik induziert eine Wacholderräucherung dem Schamanen einen Zustand tiefer Trance, aus diesem heraus er seine heilbringende Arbeit verrichtet. Aufgrund der aurareinigenden Wirkung wird diese Spezies außerdem in der Ayurveda sowie im Tantra geräuchert.
Juniperus sabina
In der Literatur finden sich häufig Angaben darüber, dass der Sadebaum (Juniperus sabina) zu früherer Zeit rituell auf gleiche Weise verwendet wurde wie der verwandte Juniperus communis. Dies ist jedoch aufgrund der stark differierenden Inhaltsstoffe kaum vorzustellen. Im Gegensatz zum Wacholder ist der Sadebaum nämlich ein toxikologisches Schwergewicht, weshalb es bei falscher Anwendung ohne weiteres zu tödlichen Unfällen kommen kann. Von schamanischer Relevanz ist die Pflanze vor allem in Sibirien. Dort werden die getrockneten Zweige als trance- und ekstaseförderndes Räucherwerk genutzt. Um eine solche Wirkung zu erzielen atmet der Schamane den aufsteigenden Rauch einige Male tief ein. Ebenfalls als rituelles Räucherwerk, jedoch nicht zu psychoaktiven Zwecken, sondern vielmehr im Zusammenhang mit Opferzeremonien, wurden die getrockneten Zweige des Sadebaums von den Römern gebraucht, meist in Kombination mit Lorbeer, Salbei, Thymian und Verbene. Für das Mittelalter wird der Sadebaum als wichtige „Hexenpflanze“ vermutet. Räucherungen wurden sowohl zur rituellen Reinigung von Räumen und Ritualplätzen sowie zur Unterstützung andersweltlicher Reisen eingesetzt. Spekulativ wurden Auszüge der Zweigspitzen gelegentlich auch der berühmt berüchtigten Hexensalbe zugefügt. Aufgrund der stark abortiven und toxischen Wirkung der Pflanze, wurde dies – wenn überhaupt – sicherlich aber nur sehr selten bzw. zu ganz bestimmten Anlässen getan.
Juniperus virginiana
Für die nordamerikanischen Prärieindianer ist der Amerikanische Wacholder (Juniperus virginiana) eine der wichtigsten Medizinal- und Räucherpflanzen überhaupt. Es heißt, dass die Pflanze zu den ersten Geschöpfen gehört, die der Große Geist (Manitu, Wakan Tanka) geschaffen hat. Neben Beifuß sowie dem Weißen Salbei gehört der Amerikanische Wacholder zu den essenziellen Räucherstoffen für Reinigungsrituale, etwa der Schwitzhüttenzeremonie. Daneben werden Wacholder-Zweige von nordamerikanischen Indianern, zwecks Reinigung, außerdem im Rahmen entheogener Peyote-Rituale geräuchert.
Medizinische Verwendung
Die Arten der Gattung der Wacholder gehören zu den ältesten Heilpflanzen der Menschheit. So kennt die traditionelle Volksheilhunde Zubereitungen aus den Beeren oder anderen Pflanzenbestandteilen von Juniperus communis – etwa als Tee, Räucherwerk oder Badezusatz – zur Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten. Es lässt sich ohne weiteres behaupten, dass der Wacholder beinahe eine ganze Hausapotheke vereint. Wacholder lindert insbesondere Appetitlosigkeit, Arthritis, Atemwegserkrankungen, Blähungen, Bronchitis, Brustschmerzen, Dyspepsie, Erbrechen, Gicht, Harnwegsentzündungen, Kopfschmerzen, Kreislaufschwäche, Muskelschmerzen, Rheuma, Sodbrennen und Verdauungsstörungen.
HINWEIS: Aufgrund der nierenreizenden Wirkung wird schwangeren Frauen sowie Personen mit einer Nierenerkrankung von der Wacholder-Anwendung dringend abgeraten. Was die diuretische Wirkung des Wacholders betrifft, ist es wichtig zu wissen, dass diese aus der Nierenreizung resultiert. Zwecks Ausschwemmung von Körperwasser ist es daher dringend ratsam auf andere Pflanzen zurückzugreifen. Berücksichtigt werden muss außerdem, dass äußerliche Anwendungen bei einigen Personen allergische Reaktionen verursachen. Wacholder-Öl sollte äußerlich deshalb auch nicht pur, sondern immer in Verdünnung aufgetragen werden.
Wirkung
Juniperus communis verfügt über eine ganze Bandbreite an Wirkeigenschaften, was letztlich auch sein außerordentliches Heilpotenzial begründet. Juniperus-Zubereitungen wirken analgetisch, antiseptisch, appetitanregend, blutreinigend, diuretisch, durchblutungsfördernd, entgiftend, entwässernd, entzündungshemmend, erfrischend, haut- und nierenreizend, krampflösend, magen- und darmstärkend, menstruationsfördernd, schweißtreibend, stoffwechselanregend und verdauungsfördernd.
Räucherungen aus Wacholderbeeren und -nadeln wirken auf der psychoaktiven Ebene geistklärend, intuitionsfördernd, angstlösend sowie leicht tonisierend. Abhängig der Dosierung kommt es nach einer intensiven Räucherung möglicherweise zu Müdigkeit. „Um die psychotrope Wirkung zu steigern, wurden Wacholdernadeln mit den Samen der Steppenraute vermischt geräuchert.“ (RÄTSCH 1996: 1999)
Energetisch betrachtet wirkt Wacholder stark reinigend und harmonisierend. Häufig werden die Teilnehmer von schamanischen Ritualen vollständig mit Wacholderrauch beräuchert. Denn auf diese Weise bildet sich im Energiefeld des Menschen eine Art leuchtender „Schutzmantel“, der insbesondere auf Reisen in andersweltliche Gefilde sehr nützlich werden kann.
Zubereitung
Räucherwerk
Hierzu werden die Beeren, die Nadeln oder die Zweigspitzen verwendet. Letztere werden im Handel, genau wie Beifuß (Artemisia vulgaris) oder der Weiße Salbei (Salvia apiana), sehr häufig als sogenannte „Smudge Sticks“ bzw. Räucherbündel angeboten. Beim Räuchern verströmt Wacholder einen sehr angenehmen, feinen, harzigen und würzig duftenden Rauch. Dieser ist aufgrund seiner desinfizierenden Wirkung sowohl medizinisch, zur Raum- und Luftreinigung oder zum Reinigen von Ritualgegenständen geeignet. Die Ritualgegenstände müssen dazu einfach in den dichten Rauch gehalten werden. Wacholder kann gut alleine als auch im Gemisch mit anderen Stoffen geräuchert werden. Eine typisch nordische Räuchermischung beispielsweise enthält neben Wacholder zu gleichen Teilen Bernstein (Succinum), Engelwurz (Angelica officinalis), Fichtenharz (Picea spp.) und Mistel (Viscum album).
Teeaufguss
Die getrockneten Beeren (1 TL) werden zunächst im Mörser zerstoßen, worauf sie mit 250 ml kochendem Wasser übergossen werden. Dann 10 Minuten ziehen lassen und filtriert abgießen. Nach Belieben Süßen. VORSICHT: Längere Anwendungen oder Überdosierungen können potenziell Nierenschäden verursachen.
Literatur
Rätsch, Christian (1996): Räucherstoffe – Der Atem des Drachen, AT Verlag: Aarau.