Der zweite Teil der Artikelserie „Heimische Ethnobotanik“ widmet sich der Schafgarbe (Achillea millefolium) – eine Pflanze, die im alten Europa nicht nur als wertvolles Heilmittel geschätzt, sondern von unseren Vorfahren auch als rituelle Orakel- sowie als reinigende und visionsfördernde Räucherpflanze eingesetzt wurde. In Deutschland kann die Schafgarbe als weit verbreitete Wildpflanze überall gefunden werden, häufig direkt am Wegesrand.
„Diese Schafgarbe ist – eigentlich ist es ja jede Pflanze – ein Wunderwerk, aber wenn man wieder eine andere Blume anschaut, dann kommt einem das ganz besonders zu Herzen, was für ein Wunderwerk diese Schafgarbe ist; sie ist ein ganz besonderes Wunderwerk. Sie hat in sich dasjenige, wovon ich Ihnen gesagt habe, dass sich der Geist immer damit die Finger benetzt. […]Man möchte sagen: Bei keiner anderen Pflanze bringen es die Naturgeister zu einer solchen Vollendung, den Schwefel zu verwenden, wie bei der Schafgarbe.“ (STEINER 1963: 126 f.)
Botanische Zuordnung
Gattung → Achillea (Schafgarben)
Familie → Asteraceae (Korbblütler)
Weitere ethnobotanisch relevante Achillea-Arten
Insgesamt umfasst die Gattung der Schafgarben über 150 gesicherte Arten. Zu beachten ist, dass gelbe und rote Züchtungen für Heilzwecke ungeeignet sind.
Trivialnamen
Augenbraue der Venus, Bauchwehkraut, Blutstillkraut, Feldgarbenkraut, Frauenkraut, Garbenkraut, Garbe, Gemeine Schafgarbe, Gotteskruat, Grundheil, Heil aller Welt, Jungfernkraut, Margaretenkraut, Neunkraft, Schafsrippe, Tausendblatt, Wiesenjod, Wiesen-Scharfgarbe, Civan percemi (türk.), Gearwe (niederl.), herbe à cent feuilles, millefeuilles (franz.), Milenrama, Milhoyas, Nosebleedplant, Old men’s pepper, Soldier’s woundwort, Yarrow (engl.), Millefoglia (it.), Shih (chin.), supercilium veneris (lat.)
Botanik
Achillea millefolium ist eine ausdauernd krautige Pflanze mit Wuchshöhen von 50 bis 100 cm und gefiederten sowie wechselständig angeordneten Blättern. Der doldenförmige Blütenstand entwickelt sich im Zeitraum von Juni bis August. Er ist aus vielen kleinen Teilblütenständen zusammengesetzt und hat einen maximalen Durchmesser von etwa 15 cm. Die Farbe der Zungenblüten ist in der Regel weiß, seltener gelblich oder blass rosa. Die Stängel können sowohl glatt als auch leicht behaart sein.
Die Pflanze verströmt ein leicht herb-würziges Aroma und hat einen bitteren Geschmack.
Vorkommen
Die Wiesen -Scharfgarbe ist weltweit verbreitet. Besonders häufig ist die Pflanze in den gemäßigten Zonen Amerikas, Asiens und Europas zu finden. Die Schafgarbe wächst an Wegrändern, auf Äckern, Geröllhalden, Weiden und mageren Wildblumenwiesen.
Inhaltsstoffe
Die Schafgarbe enthält eine Vielzahl wirksamer Inhaltsstoffe. Zu den wichtigsten davon gehören das ätherische Öl mit Azulen, Chamazulen, Pinen, Kampfer, Sabinen, 1,8-Cineol und Sesquiterpenen (z. B. Achillicin)als Bestandteile. Darüber hinaus verfügt die Pflanze unter anderem über Bitter- und Gerbstoffe, Cumarine, Phosphor, Kalisalz, ein breites Flavonoidspektrum sowie eine Vielzahl weiterer Stoffe.
Anzucht im eigenen Garten
Die Vermehrung der Schafgarbe erfolgt durch Aussaat, Wurzelteilung oder Stecklinge. Die Samen können ab April zwar direkt in Reihen ins vorbereitete Freiland gesät werden, jedoch ist eine Vorkultur in Saatschalen für gewöhnlich die erfolgreichere Methode. Aufgrund einer langen Keimdauer, kann mit der Vorkultur schon im März begonnen werden. Die Samen sind lichtkeimend und dürfen deshalb nur leicht angedrückt und nicht mit Anzuchtsubstrat überdeckt werden.
Nach der Keimung müssen die Pflänzchen zeitnahe pikiert und in Töpfe gepflanzt werden. Danach kann sich entschieden werden, ob man die Schafgarbe ins Freiland setzt oder im Kübel belässt. Entscheidet sich der Gärtner für das Freiland, muss er berücksichtigen, dass der Wurzelstock eine Länge von über einen Meter erreicht und jede Menge Ausläufer bildet, aus denen im Frühjahr viele neue Pflänzchen hervorgehen.
Die Schafgarbe neigt also zum Wuchern, kann aber hervorragend in Mischkultur mit anderen staudenartigen Kräutern angepflanzt werden, beispielsweise mit dem Johanniskraut (Hypericum perforatum). Der Standort für die Schafgarbe sollte in der vollen Sonne liegen. Bei zu viel Schatten geht die Pflanze ein, genau wie bei Staunässe. Was den Boden angeht, ist die Pflanze sehr anspruchslos. Sie bevorzugt zwar tendenziell kalkhaltige Erde, gedeiht aber auch problemlos auf humosen oder mageren Böden. Soll die Pflanze zur Nachblüte angeregt werden, können die verwelkten Blütenstände einfach abgeknipst werden.
Ritual, Mythologie & Symbolik
Im alten China wurden Schafgarbenstängel im Rahmen des I-Ging-Orakels („Buch der Wandlungen“) genutzt, explizit jedoch im Kontext des Abzähl-Ritus. Nachdem die Stängel abgezählt waren, konnte das Orakel gedeutet werden.
In europäischen Gefilden wurde die Schafgarbe – die in der traditionellen Symbolik mit Gesundheit, Liebe, Mut und Weisheit in Verbindung gebracht wird – einstmals ebenfalls als Orakelpflanze verwendet, meist jedoch von Frauen. Dem Volksglauben nach träumt eine Frau von ihrem zukünftigen Geliebten, wenn sie sich Schafgarbenkraut ins Kopfkissen steckt. Allerdings nur dann, wenn die Pflanze auf dem Grab eines jungen Mannes gepflückt wurde. Außerdem wurde damals Säuglingen, nämlich zur Abwehr böser Geister und negativer Energien, ein Schafgarbenbündel über die Wiege gehangen. Hatten Kinder plagende Albträume, wurde ihnen ein feuchtes Schafgarbensäckchen auf die Augen gelegt.
Von den Kelten wurde die Pflanze aus vielerlei Gründen hoch geschätzt. Zum einen wegen ihrer besonderen Heilkraft und zum anderen wurde die Schafgarbe zur Weissagung genutzt, etwa zur Vorhersage des Wetters. Bei den Germanen war die Schafgarbe außerdem als Grut (Bierwürze) bekannt.
Angeblich soll die Schafgarbe von mittelalterlichen Kräuterfrauen als Zutat für ihre Zaubertränke verwendet worden sein. Hierfür fehlen jedoch eindeutige Belege. Spekulativ anzunehmen ist es aber. Im Zuge der Christianisierung wurde die Schafgarbe, die ursprünglich Freya geweiht war, genau wie eine Vielzahl weiterer heidnischer Ritualpflanzen, zu einem sogenannten Mariengras. Im Schwarzwald werden noch heute Kirchen und im Freien stehende Marienaltäre mit Schafgarbe geweiht.
Die Schafgarbe als Heilpflanze
„Schafgarbe ist tatsächlich eine Heilpflanze mit einem dermaßen breiten Wirkspektrum, dass man sie fast als Allesheiler bezeichnen kann.“ (STORL 2005: 185)
Als blutstillendes Wundheilmittel ist die Schafgarbe bereits seit der Antike bekannt. Doch nicht nur in Europa, sondern auch in China oder von nordamerikanischen Indianerstämmen wird die Schafgarbe seit Jahrtausenden medizinisch genutzt. Und zwar zur Behandlung traumatischer Blutungen (innere Blutungen, Nasenbluten), Augenentzündungen, Bluthochdruck, Leberfunktionsstörungen, Appetitlosigkeit, Verdauungsproblemen (Blähungen, Durchfall, Magenkrämpfe, Verstopfung), Hauterkrankungen (Schuppenflechte u. a.), Hämorriden, Fiebererkrankungen, Rheumatismus, Parkinson, Prostataentzündung, Nierenleiden, Schnupfen und Frauenkrankheiten (Eierstockentzündungen, Menstruationsstörungen, Weißfluss und wunde Brustwaren). Zu medizinische Zwecken kann die Schafgarbe sowohl innerlich, etwa als Teeaufguss, als auch äußerlich angewendet werden, beispielsweise in Form eines Sitzbades, eines wässrigen Auszugs oder einer Salbe.
Die Schafgarbe lässt sich, abhängig des Krankheitsbildes, sehr verträglich mit anderen Pflanzen mischen. So ist beispielsweise bei Verdauungsstörungen eine Teemischung aus Schafgarbe und Kamille (Matricaria chamomilla) – meines Erachtens – noch effektvoller als der reine Schafgarbentee. Bei fiebrigen Erkrankungen hilft eine Kombination aus Schafgarbe, Holunder (Sambucus nigra) und Minze (Mentha spp.).
Zubereitungen aus getrocknetem Schafgarbenkraut wurden damals auch als medizinisches Schnupfpulver verwendet, daher auch die Bezeichnung „Old men’s pepper“. Pfeffer deshalb, weil ein Schnupfpulver aus Schafgarbe, ähnlich eben wie Pfeffer, ziemlich stark in der Nase brennt.
Wirkeigenschaften
Das Wirkprofil der Schafgarbe reicht von adstringierend, antibiotisch, antifungal, antihämorrhagisch (blutungsstillend), antitumoral, diuretisch, entzündungshemmend, hypoglykämisch bis hin zu krampflösend. Auf der psychoaktiven Ebene wirkt die Schafgarbe leicht sedierend, angstlösend, harmonisierend, geistklärend und intuitionsfördernd, wobei diese Effekte durch die synergistische Kombination mit anderen Pflanzen, beispielsweise Baldrian (Valeriana officinalis), Hanf (Cannabis indica/sativa), Hopfen (Humulus lupulus), Johanniskraut (Hypericum perforatum), Kamille (Matricaria chamomilla)und Salbei (Salvia spp.) potenziert werden können. Alles in allem ist die psychoaktive Wirkung sehr mild und wird von den meisten Personen nur als subtil, aber dennoch als deutlich spürbar erfahren.
Auf der rein energetischen Ebene, etwa als Räucherwerk angewendet, wirkt die Schafgarbe stark reinigend. Sie vertreibt schlechte Energien und stärkt die Guten. Darüber hinaus begünstigt es die Aktivierung des Stirnchakra (= drittes Auge), weshalb sich Schafgarbenkraut unter anderem hervorragend für die Visions- sowie Traum-Räucherung eignet.
Allergiker müssen aufpassen!
Nebenwirkungen, die gelegentlich bei einer äußeren Anwendung auftreten sind juckende Hautirritationen, wie zum Beispiel eine Bläschenbildung. Personen, die im Allgemeinen überempfindlich auf Korbblütler reagieren, sollten sicherheitshalber vollständig auf die innere Verwendung der Schafgarbe verzichten. Selbst die Inhalation einer Schafgarbenräucherung kann bei Allergikern unter Umständen schon zu unangenehmen Symptomen führen, wie zum Beispiel ein Brennen im Hals oder Atembeschwerden. Bestimmte Wechselwirkungen mit anderen Heilpflanzen sind keine bekannt. Grundsätzlich kann die Schafgarbe gut mit anderen Heilpflanzen kombiniert werden.
Sammelzeit & Zubereitungsformen
Das Schafgarbenkraut wird im Hochsommer gesammelt. Am besten in der Mittagshitze und genau an jenen Tagen, wenn die Pflanze gerade aufblüht. Getrocknet wird das Kraut nach unten aufgehängt in Büscheln, an einem luftigen und schattigen Ort.
Presssaft
Die frische Pflanze wird während der Blütezeit vollständig ausgepresst. Der aufgefangene Saft kann getrunken werden.
Räucherwerk
Zum Räuchern werden meist die getrockneten Blüten genutzt, wobei theoretisch auch das gesamte Kraut verwendet werden kann. Persönlich mache ich die Zusammensetzung meist davon abhängig, ob ich drinnen oder draußen räuchere. Im Innenraum räuchere ich die Blüten, während ich draußen das gesamte Kraut verwende. Schafgarbe entwickelt einen leichten Rauch mit feinwürzigem Aroma. Sie lässt sich wunderbar mit anderem Räucherwerk kombinieren, jedoch kann sie auch gut alleine geräuchert werden. Schafgarbenkraut ist eine unerlässliche Zutat der meisten „Orakel“-Räuchermischungen. Schafgarbenkraut kann auch geraucht werden, allerdings ist diese Form der Zufuhr nur wenig verbreitet.
Teeaufguss
Für einen Tee kann sowohl frisches als auch getrocknetes Schafgarbenkraut verwendet werden. Persönlich mag ich den Geschmack des frischen Krauts sehr viel lieber. Auf eine Tasse kommen 1 bis 2 Teelöffel des getrockneten oder 3 bis 4 Teelöffel des frischen Krauts. Dieses mit kochendem Wasser übergießen, 5 bis 10 Minuten ziehen lassen und abseihen.
Sitz- bzw. Vollbad
Hierfür werden ein bis zwei Hände voll Schafgarbenkraut in 1 bis 2 Liter Wasser aufgekocht, 20 Minuten ziehen gelassen und der Absud ins laufende Badewasser gegeben.
Wundheilmittel
Zieht man sich beispielsweise während einem Spaziergang oder einer Wanderung eine Wunde zu, können die frischen Schafgarbenblätter solange in den Händen zerrieben werden bis der Pflanzensaft hervorquillt. Dieser kann einfach auf die Wunde gestrichen werden. Zerriebene Schafgarbenblätter sind eine wunderbare erste Hilfemaßnahme bei kleineren Verletzungen.
Quellen, Links und Literatur
Steiner, Rudolf (1963): Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft, Dornach: Rudolf Steiner Nachlassverwaltung.
Wolf-Dieter Storl (2005): Mit Pflanzen verbunden, Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlag.