Die Machtübernahme der Taliban wird den Weltdrogenmarkt verändern. Das Land werde den Anbau von Schlafmohn und den Opiumschmuggel aufgeben, so der Sprecher der Taliban. Diese Aussage deckt sich vordergründig mit Dogmen der radikal islamischen Terrororganisation; so wurden Konsumierende und Dealer während der letzten Herrschaftsperiode hart bestraft. Bedenkt man, welcher Gewalt kritische Journalisten in den vergangenen Tagen ausgesetzt waren, liegt es nahe, dass auch Drogendelikte nun wieder extrem geahndet werden.
Finanzhaushalt der Taliban besteht zu einem Viertel aus Drogengeld
Dennoch spiegelt dies nur die halbe Wahrheit wider, denn die Taliban haben seit ihrer Gründung immer vom Handel mit Opium und Haschisch profitiert, ihn mitunter sogar forciert. Dabei boten sie Schutz auf den Schmuggelrouten und erhoben in jedem Produktionsschritt großzügige Steuern. Nach wie vor sind die Taliban auf die hohen (und verlässlichen) Profite aus dem Drogenhandel angewiesen. Der Analyst Hanif Sufizada schätzt, dass mehr als ein Viertel des Finanzhaushaltes der Taliban auf Drogengeschäften basiert. Experten gehen deshalb davon aus, dass hinter dem angekündigten Drogenverbot ein einfaches Kalkül steckt: Die Forderung nach Anerkennung durch die Weltgemeinschaft sowie finanzielle Unterstützung.
Das Drogenverbot der Taliban im Jahr 2000 hatte rein pragmatische Gründe
Im Jahr 2000, vier Jahre nach der ersten Machtübernahme, erließen die Taliban ein Verbot des Mohnanbaus, dass die Opiumproduktion im Folgejahr nahezu zum Erliegen brachte. Doch dem Verbot lag kein plötzlicher Sinneswandel zugrunde, sondern eine zweijährige Dürreperiode, die zu enormen Hungersnöten im Land führte. Da Opium für die afghanischen Bauern das lukrativste Agrarprodukt darstellt, wurde es dem Weizenanbau stets vorgezogen.
Um die Hungersnöte einzudämmen, zwangen sie die Bauern dazu, wieder Nahrungsmittel anzubauen. Gleichzeitig nutzten die Taliban die Chance und baten die USA um humanitäre Hilfe – mit dem Versprechen, die Opiumproduktion dauerhaft einzustellen. Das Opiumverbot war ein absolutes Desaster, nicht nur für die Bauern, sondern auch für die Taliban selbst: Etwa 15 % der afghanischen Bevölkerung erlitten 2001 schwerwiegende Einkommensverluste; die Taliban büßten nicht nur enorme Zahlungen, sondern auch den Rückhalt in der Bevölkerung ein.
Cannabisprodukte gehören zur afghanischen Kultur und Tradition
Neben Opium spielt der Handel mit Cannabisprodukten für die Taliban eine zwar untergeordnete, jedoch nicht zu vernachlässigende Rolle. Immer wieder stellten westliche Einsatztruppen größere Mengen sicher, die in eigens dafür eingerichteten Industriehallen versandbereit lagerten. Die Produktion von hoch-qualitativem Haschisch hat eine lange Tradition in der Region, die beträchtlich weiter zurückreicht als der afghanische Staat selbst.
Denn: Sowohl Cannabis indica als auch Cannabis sativa sind in der Region heimisch. Die Pflanzen sind Teil des natürlichen Bewuchses und finden dort beste Bedingungen vor, um als Ausgangsbasis für feinste Cannabiserzeugnisse zu dienen. Dies war einer der Gründe, dass Afghanistan zwischen den 1950er und 70er-Jahren ein beliebter Zwischenstopp auf dem sogenannten Hippie Trail wurde. Nicht nur passionierte Cannabis-Connoisseure, sondern auch Abenteurer, Beatniks und Hippies wussten die herausragenden Produkte wie den (fast zum Mythos stilisierten) „schwarzen Afghanen“ zu schätzen. Noch heute gilt Afghanistan deshalb als einer der Hauptproduzenten der weltweiten Haschischproduktion – einen Status, den auch die Taliban, selbst wenn sie dies wollten, nicht zu verändern vermögen.
Die Taliban und das Methamphetamin
Seit einigen Jahren existierten Gerüchte über eine beginnende Meth-Produktion der Taliban. Bewiesen wurden diese schließlich durch eine Studie der EMCDDA unter dem Forscher David Mansfield. Die Ausgangsbasis für Methamphetaminproduktion liefern verschiedene Arten des Meerträubels (Ephedra), von denen einige ebenfalls zur lokalen Flora Afghanistans gehören. Insbesondere der gebirgsreiche Nordosten des Landes bietet nahezu perfekte Bedingungen für eine industrielle Ephedra-Produktion.
Afghanistan als Weltdrogenhändler
Immer wieder können afghanisches Opium, Haschisch und Methamphetamin sichergestellt werden. Die Zielorte sind dabei divers: Exportiert wird nach Asien, Europa und diverse afrikanische Absatzmärkte. Es besteht kaum Zweifel, dass hinter den jüngsten Entwicklungen in der afghanischen Drogenproduktion eine Diversifikationsstrategie der Taliban steckt.
Experten des EMCDDA gehen davon aus, dass ein Teil dieser Produktion bereits nach Europa gelangt ist. Die Machtübernahme der Taliban wird also auch für die Drogenmärkte der westlichen Industrienationen eine messbare Rolle spielen. Solange die Abnehmerländer an den starren Vorgaben des War on Drugs festhalten, werden sie auch weiterhin unfreiwillige Financiers der Taliban und anderen organisierten Kriminellen bleiben. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Prohibition weder die Nachfrage nach psychotropen Substanzen zügeln kann, noch dass sie dazu im Stande ist, die Produkte von den Konsumierenden fernzuhalten.
Quellen: afghanistan-analysts.org / emcdda.europa.eu / thehindu.com