Keine andere Droge erfährt eine derart hohe Präsenz in der Jugendkultur wie Cannabis. Die Hippies der 1960er und 1970er markieren dabei nicht nur den zeitlichen Beginn der jugendkulturellen Verbreitung von Cannabis, sondern wirken immer noch häufig als stilistischer Bezugspunkt. In Kombination mit neueren Stilelementen funktionieren solche Bezüge zum Cannabiskonsum nach wie vor als symbolische Mittel zur Abgrenzung gegenüber Elterngeneration und „Mainstream“, nicht zuletzt aufgrund des nach wie vor geltenden Cannabisverbotes.
Wohl praktisch jeder, der jemals mit Gras bzw. Hasch in Kontakt gekommen ist, kann etwas über Assoziationen mit Jugendkultur erzählen, sei es der erste Konsum auf einem Festival, gern gehörte Rapper, die Weed in Wort und Bild propagieren, oder auch nur die diffuse Assoziation zu den Hippies. Und tatsächlich kann die heutige Verbreitung von Cannabis im Wesentlichen als das Ergebnis eines jugendkulturell vermittelten Prozesses betrachtet werden. Bevor die Protestbewegungen der 1960er und 1970er-Jahre, vor allem in Form von Musik und Film, Cannabis polarisierten, spielten Haschisch und Marihuana hierzulande wie auch in anderen westlichen Ländern praktisch keine Rolle.
Dabei sei angemerkt, dass Cannabis natürlich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland keineswegs eine völlig neue Droge war. Allerdings beschränkte sich ihr Gebrauch weitgehend auf die Einnahme von medizinischen Cannabistinkturen, das Rauchen von vermutlich nicht sehr wirkstoffreichem Knaster in Gegenden mit Nutzhanf-Anbau oder einem gewissen Cannabisanteil in bestimmten Sorten von Orientzigaretten. Aus der Literatur kannten manche vielleicht literarische Werke von Mitgliedern des Pariser Clubs der Haschischesser Mitte des 19. Jahrhunderts, in denen angesichts der hohen oral aufgenommenen Dosen teils beängstigende Rauschzustände beschrieben wurden. Als Jugenddroge war Cannabis jedenfalls nicht bekannt, und nach der 2. internationalen Opiumkonferenz 1925 wurde auch der legale Handel mit jeglichen Hanfprodukten nach und nach praktisch weltweit unterbunden.
Womit ist also zu begründen, wieso sich dies im Laufe des 20. Jahrhunderts so deutlich änderte und Cannabis nicht nur mit großem Abstand die meist konsumierte illegale Droge ist, sondern mit deutlichem Schwerpunkt in jüngeren Generationen konsumiert wird, wie einschlägige Repräsentativbefragungen zeigen?
Zunächst sei dabei die Einfachheit der Herstellung erwähnt: Hanf lässt sich unter den unterschiedlichsten klimatischen Bedingungen anbauen und es sind nur wenige Bearbeitungsschritte erforderlich, um ein konsumierbares Rauschmittel daraus zu produzieren. Dennoch hatte der Rauschhanf in Europa angesichts der Dominanz von Alkohol und Opium sowie der überwiegenden Verbreitung von wirkstoffarmem (Nutz-) Hanf über lange Zeit nur eine geringe Bedeutung. Wohl erst im 19. Jahrhundert kamen Präparate aus wirkstoffreichem indischem Hanf in den pharmazeutischen Handel. Unterdessen hatten sich in anderen Gegenden der Welt, angefangen von Indien über die arabische Welt und Afrika bis hin nach Lateinamerika, über Jahrhunderte hinweg Konsumkulturen für Cannabis etabliert. Allerdings war der Hanf in vielen dieser Länder überwiegend in unteren Bevölkerungsschichten verbreitet; oftmals hatte es den Ruf eines „Krauts der Armen“. Dies trug in Form einer politischen Instrumentalisierung seitens der Herrschenden zusätzlich zur weltweiten Ächtung der Substanz bei. So sind z. B. diverse zeitweilige Cannabisverbote im 19. Jahrhundert in afrikanischen Ländern als Versuch der Kolonialmächte zu verstehen, die Bevölkerung zu disziplinieren.
Vor einem ähnlichen Hintergrund ist auch die erstmalige, im weiteren Sinne popkulturelle Thematisierung der Droge im Jazz der 1920er bis 1940er-Jahre zu sehen. Über mexikanische Einwanderer hatte sich Marihuana in den USA zunächst in Teilen der afroamerikanischen Bevölkerung verbreitet. Auch unter äußerst populären Vertretern des Musikstils wie Louis Armstrong oder Cab Calloway war Marihuana verbreitet und fand häufige Erwähnung in Songtiteln und -texten. Wohl nicht zufällig richtete sich die in den 1930er-Jahren anlaufende rassistische Kampagne des Federal Bureau of Narcotics unter Harry J. Anslinger („Reefer Madness“) mit dem Ziel der vollständigen Illegalisierung der Droge auch direkt gegen die Jazz-Szene. Diese wiederum übte auch auf weiße bürgerliche Nonkonformisten (‚Hipster‘) eine Anziehungskraft aus, die im Verbund mit Vertretern der literarischen „Beat Generation“, in den 1950er-Jahren ein Bindeglied zur sich ab Beginn der 60er formierenden Gegenkultur der Hippies bildeten.
In dieser Bewegung war zwar LSD in gewissem Sinne die wichtigere, da mit philosophischem Überbau (Bewusstseinserweiterung) versehene Droge, aber Cannabis spielte als alltagstaugliche Droge auch angesichts seiner Verbotsgeschichte von Beginn an eine wichtige Rolle. Somit war der Startpunkt für die eingangs erwähnte Propagierung von Cannabis als Jugenddroge und Protestsymbol gesetzt, Protestsymbol deswegen, weil auf den ungerechtfertigten Verbotsprozess verwiesen werden konnte. Das betrifft auch die auf Cannabis bezogene Ikonografie. Auch die Assoziation der Droge mit bestimmten Bildern und Vorstellungen fand über die Popkultur erstmals eine massenhafte Verbreitung statt. Bis heute hat sich das Klischee des langhaarigen, kiffenden Hippies mit Batik-T-Shirt und zerrissenen Jeans, auch als Vorbild für Teile nachwachsender Jugendgenerationen gehalten.
Einen weiteren Bezugspunkt für Cannabis in der Jugendkultur bildet die Insel Jamaika. Dort hatten indische Einwanderer den Hanf (Ganja) Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt; Cannabis etablierte sich als Alltagsdroge. Zusätzlich machte die religiöse Bewegung der Ras-Ecstasy eine paradigmatische Droge; insgesamt häufiger konsumiert wurde indes wiederum Cannabis. Dass es im Laufe der 1990er-Jahre eine Art Renaistafari seit den 1930er-Jahren das Cannabisrauchen zum Sakrament, womit die seit den 1970er-Jahren weltweite Popularität des untrennbar mit Rastafari assoziierten Reggae ein weiteres populäres Klischeebild typischer Cannabiskonsumenten etablieren konnte. Auch im Reggae wird mittels der Schuld des westlich-kapitalistischen, ehemals kolonialen Establishments (Babylon) am Cannabisverbot auf die Etikettierung der Droge als Kraut der Armen und Unterdrückten verwiesen. Die Bedeutung des Reggae im Hinblick auf spätere, massenkompatible Stilrichtungen wie Rap/Hip-Hop (Sprechgesang über vorhandene Instrumentals) oder Techno (trackorientierte Produktionsweise) seit den 1960er-Jahren ist dabei kaum zu unterschätzen. Somit wurden inhaltliche und atmosphärische Assoziationen zum Cannabisgebrauch in diese neueren Stile transportiert.
Anfang der 1990er-Jahre dann begann sich mit dem starken Anwachsen der Techno-Szene das Modell drogenunterstützter Party-Nächte in einem größeren Ausmaß zu etablieren. Ähnlich wie in der Hippie Bewegung gab es auch hier mit Ecstasy eine paradigmatische Droge; insgesamt häufiger konsumiert wurde indes wiederum Cannabis. Dass es im Laufe der 1990er Jahre eine Art Renaissance des Cannabiskonsums gab, hat allerdings auch damit zu tun, dass sich Hip Hop als eines der dominanten jugendkulturellen Identifikationsangebote durchsetzte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich im US-Rap gerade ein Wandel in der Darstellung von Drogen vollzogen. Zahlreiche populäre US-Rapper bzw. Rap-Gruppen (zu Beginn u. a. Cypress Hill oder Snoop Dogg) bekannten sich offensiv zum Cannabiskonsum. In der Folgezeit wurden Cannabiskonsum und der damit verbundene Gestus zum quasi festen Bestandteil in internationalen Hip-Hop-Szene. Mit der zunehmenden Popularität des Rap unter Jugendlichen ging bis Anfang der 2000er-Jahre auch eine nochmals höhere Verbreitung von Cannabis unter Jugendlichen/ jungen Erwachsenen einher.
Natürlich waren und sind Hippies, Rastafaris und Rapper aber beileibe nicht die einzigen, die in Musik und Stil Cannabisprodukte thematisieren. In praktisch allen Genres der Popmusik gibt es bekennende Konsumenten hin zum Country (Willie Nelson), für ein ganzes Rock-Genre stand der Cannabiskonsum Pate (Stoner Rock) und was Songtexte betrifft, existiert wohl keine Stilrichtung ohne cannabishaltige Beispiele. Nur kurz erwähnt sei an dieser Stelle die Filmindustrie, die das Kiffen schon seit Langem, teils sehr offensichtlich (Lammbock, Half Baked), teils ausgesprochen beiläufig thematisiert – ganz zu schweigen von diversen Serien mit entsprechenden Schwerpunkten aus den letzten Jahren (z. B. Weeds oder Disjointed).
Der Trend geht also eher zu einer höheren Präsenz von Gras und Hasch in der Popkultur, was als Zeichen für eine fortschreitende gesellschaftliche Normalisierung gewertet werden kann. Dennoch funktioniert Cannabis oftmals noch immer als Mittel zur symbolischen Abgrenzung von den Erwachsenen einerseits und braven Mitschülern andererseits. Und auch wenn heute mit neueren Stilen andere kulturelle Bezugspunkte zum Kiffen zur Verfügung stehen, so haben sich Assoziationen zur Hippie-Ära offenbar über mehrere Jugendgenerationen bis heute erhalten. Dies betrifft primär eine diffuse rebellische Attitüde sowie die Vorstellung durch den Drogenkonsum seine Perspektive bzw. Bewusstsein zu erweitern. Dabei werden häufig diverse als rebellisch oder zumindest Anti-Mainstream empfundene stilistische Versatzstücke (u. a. Kleidung, Musik, Frisuren, aber auch Drogen) aus unterschiedlichen Stilrichtungen miteinander kombiniert.
Cannabis stellt also nach wie vor ein relativ mildes Mittel zur symbolischen Rebellion dar. Das Cannabisverbot spielt dabei eine zentrale Rolle. Zwar geben in Befragungen nur wenige Jugendliche an, dieses sei ein unmittelbares Motiv für den Konsum, jedoch wirken die bekannten Argumente, weshalb das Verbot ungerechtfertigt ist, bei Jugendlichen als unterschwelliger politischer Verstärker für ihre Konsummotivation. Dass dies auch einen tatsächlichen Effekt auf das Ausmaß des Konsums Jugendlicher haben kann, zeigen aktuelle Befragungsdaten aus Nordamerika. So wurde z. B. jüngst ein signifikanter Rückgang des Cannabiskonsums bei 15- bis 17-Jährigen in Kanada dokumentiert. Eine Rücknahme des mittlerweile fast hundert Jahre alten Irrwegs der Cannabisprohibition kann also ein wesentliches Moment für einen wirksamen Jugendschutz darstellen.