In jüngster Vergangenheit wurden Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, die besagen, dass Cannabis dabei helfen kann, herkömmliche Medikamente wie Opiate abzusetzen, und dass diese durch den Konsum von Medizinalhanf ersetzbar sind. Werfen wir einen Blick über die Medizin hinaus, zeigt sich, dass das auch bei einem Missbrauch von Medikamenten und Drogen gelten könnte. Cannabis als Einstiegsdroge zu sehen, dürfte also überholt sein.
Wir alle kennen die alte Mär, dass der Konsum von Cannabis Türen und Tore in die weite Welt der harten Drogen öffnet. Wer einmal die psychoaktiven Inhaltsstoffe der Pflanze zu sich nimmt, der endet früher oder später mit der Spritze in der Gosse. Die große Drogenkarriere startet also mit einem kleinen Zug am Joint. So, oder so ähnlich, ist das Weltbild vieler, wenn es darum geht, Cannabis in eine Schublade zu stecken. In den Augen dieser Leute stellt Marihuana eine Einstiegsdroge dar. Sie verteufeln das grüne Gut und blenden zumeist aus, dass es gleichzeitig einen sehr großen Nutzen für die Gesellschaft haben kann – und das auf verschiedensten Ebenen des Lebens. Diese Tatsache wird gerne außer Acht gelassen. In vielen Teilen der Bevölkerung wird Cannabis nach wie vor nur mit „faulen Kiffern“, einer steigenden Kriminalitätsrate und einem Rauschzustand in Verbindung gebracht.
Die letzten beiden Punkte sollen auch gar nicht verschwiegen werden. Die Politik macht es einem nicht leicht, nicht in den Sumpf der Illegalität abzurutschen, und das sogenannte „High“ ist sicherlich ein gewichtiger Grund, dass Menschen Marihuana zu sich nehmen. Es soll natürlich gewiss niemand dazu ermuntert werden, Cannabis illegal zu konsumieren. Doch es wird Zeit, mit dem Mythos zu brechen, dass die Pflanze allein verantwortlich für den Einstieg in die dunkleren Sphären der Drogenwelt ist. Die Theorie sollte mittlerweile als überholt gelten, zumal diese weder in der Wissenschaft noch anderweitig mit empirischen Daten belegt wurde. Eher ist das Gegenteil der Fall.
Blicken wir mal nach Amerika: In einer Umfrage auf yougov.com vom vergangenen Jahr stimmten weniger als einer von drei US-Bürgern mit der Aussage überein, dass Marihuana uns zu härteren Drogen verleitet. Bei den Befragten, die jünger als 65 waren, waren es sogar nur einer von vieren. Immerhin haben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten dem Vernehmen nach 60 Prozent der Erwachsenen schon einmal Marihuana in ihrem Leben konsumiert. Die große Mehrheit von ihnen hatte aber nie das Verlangen danach, zu härteren Drogen zu greifen. Cannabis verändert also nicht das Gehirn in der Weise, als dass es dadurch für andere Substanzen anfälliger wird. Zu dem Ergebnis kommen übereinstimmend das „Institute of Medicine“ und das „Rand Corporation’s Drug Policy Research Center“. Es heißt: „Marihuana hat keinen kausalen Einfluss auf eine Initiierung harter Drogen.“
Im Gegensatz dazu gibt es verschiedene Belege dafür, dass Cannabis suchtkranken Personen dabei helfen kann, von ihrer Droge loszukommen. Was für die verschreibungspflichtigen Medikamente wie den Opiaten gilt, gilt verschiedenen Untersuchungen zu urteilen auch für Stoffe wie Alkohol, Tabak, Kokain und Heroin.
Der Anfang vom Ende
Das haben Forscher zum Beispiel in den Regionen Amerikas, in denen der Marihuana-Konsum gesetzlich geregelt ist, herausgefunden. Hier wurden insgesamt Rückgänge beim Opioid-Missbrauch festgestellt, zudem sank auch die Sterberate in Bezug darauf. Das „Journal of the American Medical Association“ veröffentlichte Zahlen, nach denen die Todesfälle, die auf Opioid- und Heroin-Missbrauch zurückzuführen sind, kurz nach der Legalisierung von Cannabis um 20 Prozent gesenkt wurden. Im Laufe von sechs Jahren gingen diese sogar um 33 Prozent zurück. Die Forscher fanden heraus: „Die Staaten mit medizinischen Cannabisgesetzen hatten im Durchschnitt eine 24,8 Prozent niedrigere jährliche Opioid-Überdosierungs-Sterblichkeitsrate im Vergleich zu Staaten ohne medizinische Cannabisgesetze.“
Auch bei anderem Drogenmissbrauch kann Cannabis dabei helfen, anfangen aufzuhören. So wird der Pflanze bescheinigt, die Lust am Kokain und Crack zu nehmen. Das veröffentlichte die Zeitschrift „Addictive Behaviours“, in der Wissenschaftler der Universitäten von Montreal und Britisch Columbia berichten, dass die Abhängigen ihren Konsum nach der Einnahme von Cannabis gesenkt hätten: „Wir haben festgestellt, dass eine Phase von absichtlich konsumierten Cannabis mit einer Phase einer reduzierten Kokain- und Crack-Verwendung verbunden war.“ Angesichts der erheblichen weltweiten Risiken für die Gesundheit, die auf Crack- und Kokainmissbrauch zurückzuführen seien und dem gleichzeitigen Mangel an geeigneten Therapien dagegen, plädieren die Wissenschaftler dafür, die Forschungen in Richtung Cannabis als Behandlungsmöglichkeit in Bezug auf Crack- und Kokainmissbrauch und dessen Folgen zu intensivieren.
Die Ergebnisse dieser Studie stützen eine frühere aus Brasilien. Diese hatte ebenfalls festgestellt, dass eine Therapie mit Cannabis bei Kokainabhängigkeit helfen kann und in der Lage ist, das Bedürfnis danach zu stillen. Weitere empirische Daten besagen übrigens, dass der Konsum von Kokain in den letzten Jahren allgemein stark zurückging, dagegen ist der Prozentsatz der Cannabis-Konsumenten im selben Zeitraum angestiegen.
Weitere wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass das, was für Kokain gilt, auch für Tabak und Alkohol gelten könnte. Zu Erstem gibt es eine klinische Studie aus Großbritannien. Hier bekam eine Gruppe der Probanden CBD (Cannabidiol), ein sogenanntes Cannabinoid, dass sich als Inhaltsstoff in der Pflanze finden lässt, verabreicht. Die Kontrollgruppe nahm ein Placebo zu sich. Festgestellt wurde, dass die Raucher um 40 Prozent weniger zur Zigarette griffen. Schon die Zeitschrift „Journal of Drug Policy“ berichtete bereits, dass über zehn Prozent der medizinischen Cannabis-Patienten ihren Konsum der Glimmstängel in Folge der Medizinalhanf-Behandlung einstellten oder reduzierten.
Noch deutlicher sind die Ergebnisse, was den Konsum von Alkohol angeht. Das geht aus einer Umfrage in den USA hervor. Im Mai 2017 veröffentlichte die Zeitschrift „Journal of Psychopharmacology“ Zahlen, nach denen über 40 Prozent der medizinischen Cannabisnutzer weniger zur Flasche griffen. Schon im Jahr 2014 schrieb die Zeitschrift „Alcohol and Alcoholism“, dass Cannabis ein potenzieller Ersatz für Alkohol sein könnte. Es seien jedoch noch mehr Forschungen in diese Richtung nötig, um das Ausmaß und die Auswirkungen davon weiter zu klären.
Cannabis kann verschreibungspflichtige Medikamente ersetzen
Erst vor Kurzem wurde in den USA in einer großen Umfrage der „Brightfield Group“ zusammen mit dem Internetportal „HelloMD“, dass Medizinalhanf-Patienten und Ärzte zusammenbringt, herausgefunden, dass die Erkrankten, die Cannabis zu medizinischen Zwecken nutzen, in der Mehrzahl ihre herkömmlichen vom Arzt verschriebenen Medikamente durch den Konsum von Marihuana ersetzen können. Bei den meisten der 2.400 Teilnehmer der Studie wird Cannabis zumeist bei Schlaflosigkeit, Depression, Angst und Gelenkschmerzen eingesetzt. 42 Prozent von ihnen gaben an, dass sie, nachdem die Behandlung mit Cannabis gestartet wurde, ihre gewöhnliche Medizin absetzten. Häufig wurden Medikamente ersetzt, die hierzulande auf der Betäubungsmittelliste stehen, beispielsweise Opiate.
Ähnliches hatten zuvor schon Forscher der University of Georgia herausgefunden. In ihrer Studie heißt es, dass der Gebrauch von Antidepressiva, Schlafmitteln oder angstlösenden Medikamenten in den USA und Kanada eingedämmt wurde, nachdem Medizinalhanf an ihrem Wohnsitz legalisiert wurde und die Patienten darauf zurückgegriffen hatten. Ferner vermeldete auch die Zeitschrift „Drug and Alcohol Dependence“ unlängst, dass es aus medizinischer Sicht einen gewaltigen Rückgang in der Vergabe von Opioiden als Schmerzmittel in Folge der Legalisierung von Cannabis gibt.
Das kleinere Übel
Cannabis gehört hierzulande zu den illegalen Drogen. Sie hat natürlich die bekannten Nebenwirkungen, über die sich jeder Nutzer im Klaren sein sollte. Die Gesellschaft sollte aber gut daran tun, wenn sie Cannabis nicht mit harten Drogen in eine Schublade stecken würde. Aus Sicht der Medizin hat sich die Politik mittlerweile für die Pflanze geöffnet. Das ist ein Schritt vorwärts. Dennoch gibt es noch viel zu tun, was die Aufklärung von Marihuana angeht – das gilt natürlich in beide Richtungen.
Als Einstiegsdroge taugt Cannabis wissenschaftlich gesehen jedenfalls nicht. Es gibt keine Beweise dafür, dass Cannabis-Konsum uns zu härteren Drogen greifen lässt. Viel mehr ist es laut den hier aufgeführten Studien bei Drogen- und Medikamentenmissbrauch dazu in der Lage, den Abhängigen von seiner Sucht zu entwöhnen und im besten Falle vielleicht sogar davon zu befreien. Wird das negativ gesehen, wird in dem Fall vielleicht von einer Suchtverlagerung gesprochen. Es ist aber sicherlich in viele Fällen das kleinere Übel, wenn man es denn aus diesem strengen Blickwinkel betrachten möchte. Für den Abhängigen kann das der Ausweg aus einer aussichtslosen Lage bedeuten.