Dass der Umgang mit Hanf zu Rauschzwecken in den vergangenen Jahrzehnten und im Grunde den letzten 100 Jahren im europäischen Kontext nicht gerade entspannt war, ist allen Leserinnen und Lesern des Hanf-Magazins sicherlich keine Überraschung. Dass diese Situation anders aussah, wenn man über das frühe 20. und auch das 19. Jahrhundert spricht, dürfte manche – ganz sicher nicht alle – überraschen.
Aber wie genau ging man in vergangenen Zeiten eigentlich mit Cannabis als Rauschmittel um? Was wusste man über unsere Lieblingspflanze und ihren Gebrauch als Rauschmittel? Mit der Beantwortung dieser Frage könnten Bücher gefüllt werden und es müssten, wenn man ganz genau sein wollte, sehr viele verschiedene Textquellen vergangener Zeiten zurate gezogen werden.
Ein Blick in einen Zeitungsartikel von 1865
Deswegen werfen wir nun gemeinsam einen exemplarischen Blick in einen Zeitungsartikel, der am 16. November des Jahres 1862 erschienen ist und den Titel „Der Haschisch“ trägt. Was also bekamen die interessierten Zeitungsleser hier an Informationen geboten?
Der Artikel beginnt mit einem Verweis auf die Herkunft des Wortes „Haschisch“ aus dem Orient und merkt an, dass man darunter berauschende Präparate einer besonderen Art des Hanfes, nämlich des Cannabis Indica versteht. Heute ist bekannt, dass es sich bei „Indica“-Sorten des Hanfes nicht per se um eine besondere Art der Pflanze, sondern lediglich um bestimmte regionale Ausformungen des auch in Europa seit Jahrhunderten bekannten Hanfes handelt. Der Artikel verweist speziell darauf, dass die Herstellung von Haschisch in Indien, Arabien und China seit „uralten Zeiten“ betrieben wird. Die „Urheimat“ des Hanfes ist aufgrund seiner weiten Verbreitung auch heute nur bedingt zweifelsfrei feststellbar, aber die historische Nutzung in den genannten Ländern ist definitiv ein Fakt.
Interessant ist insbesondere der Zweck, den der Verfasser des Artikels dem Haschischkonsum in diesen Ländern zuweist. Man mache davon Gebrauch, um sich „wollüstige Sinnesaufregungen und angenehme Träume“ zu bereiten. Gerade der letzte Punkt ist spannend, machen doch heute viele Konsumenten die Erfahrung, dass die Traumerinnerung mitunter etwas unter dem Cannabiskonsum leiden kann. Vielleicht liegt hier im kulturellen Wissen der Zeitgenossen gewissermaßen eine Verwechslung zwischen visionären und stark imaginativen Zuständen, die gerade bei oralem Konsum gut erreicht werden können, und dem klassischen „Träumen“ in der Nacht vor.
Die „Ankunft“ von Haschisch in Europa und begrenztes Wissen zur Herstellung
Der Artikel hält weiter fest, dass Haschisch in Europa bis zum napoleonischen Engagement in Ägypten (1798 bis 1801) unbekannt gewesen sei – ein Fakt, den man sicherlich auch heute grundsätzlich noch als richtig werten kann, zumindest wenn es um eine in Ansätzen populäre Verbreitung und nicht um bloße Einzelfälle geht.
Sensimilla-Growing, also die gezielte Zucht unbestäubter weiblicher Blüten, war unserem Verfasser wohl noch nicht bekannt. Dass aber Blüten ohne ausgereifte Samen zu verwenden sind, das berichtet er! Die Details der Haschisch-Herstellung sind ihm auch eher rätselhaft, er weiß lediglich zu erzählen, dass es zwei Varianten gibt (in Wirklichkeit gab es selbstverständlich deutlich mehr): Einerseits spricht er von Haschisch, das auf Basis von Alkoholextraktion hergestellt würde (eine Technik, die selbstverständlich bis heute praktiziert wird und relativ gefahrlos relativ gute Konzentrate produzieren kann). Andererseits weiß er um „Plättchen“, die mit Zucker vermischt würden, um den Geschmack angenehmer zu machen. Letzteres verweist womöglich auf in früheren Zeiten im Mittelmeerraum verbreitete Zubereitungen zum oralen Konsum, die oft aber auch andere Zutaten als bloß Hanf enthielten (z. B. Mohnpräparate).
Er weiß aber auch um den heute weiter verbreiteten Rauch-Konsum von Cannabis und erwähnt in diesem Kontext die Mischung mit Tabak, die in Europa bis in jüngste Zeit „Standard“ war und erst in den letzten Jahren von dem in den USA weiter verbreiteten Pur-Konsum abgelöst wird. Auch der Konsum via Tee- und Kaffee-Präparate ist unserem Autoren geläufig, das im indischen Kulturkreis verbreitete Getränk Bhang scheint ihm jedoch unbekannt gewesen zu sein.
Ein Haschisch-Trip um 1845
Am spannendsten ist vielleicht die Frage, wie die Wirkung von Hanf charakterisiert wird. Der Autor startet mit der Feststellung, dass der Cannabisrausch sich sowohl von Alkohol als auch Opium unterscheidet. Diese beiden Mittel waren im 19. Jahrhundert in Europa die mit Abstand verbreitesten „starken“ Rauschmittel (man nehme noch Tabak hinzu) und im Bereich der Schmerzbekämpfung letztlich ebenfalls mehr oder weniger konkurrenzlos.
Aber Haschisch ist anders, denn es „erzeugt im Gemüthe des Menschen die Empfindung eines Erhobenseyns [man könnte auch sagen: ein ‚High‘! Anm. d. A.] über das Irdische und einer unendlich wohltuenden Befriedigung, die sich eigentlich nicht schildern lässt, weil sie keiner andern Empfindung gleicht, die uns im gewöhnlichen Leben überkommt.“ Das können doch sicher die meisten Hanffreunde bis heute unterschreiben!
Der Autor des Textes ist dann auch Pragmatiker. Weil ihm die Beschreibungen des Rausches zu schwer nachvollziehbar waren, hat er sich von einem Freund einfach selbst etwas Haschisch bzw. ein Präparat zum oralen Konsum besorgen lassen und es einfach selbst getestet. Was folgt, ist im Grunde ein „Tripbericht“ und kann nicht in voller Länge wiedergegeben werden. Ein paar Highlights, müssen aber natürlich sein:
„Ungefähr nach einer Viertelstunde empfand ich in den Außenteilen meines Körpers eine eigenthümliche Bewegung, welche sich von außen nach innen fortzupflanzen schien; […] in dieser ersten Periode der Wirkung des Haschisch war ich mir des anomalen Zustandes bewusst, in dem ich mich befand, und war damit nicht unzufrieden […]. Der, welcher unter dem Einflusse des Haschischs steht, nimmt eine majestätische Stellung an, hält es unter seiner Würde, sich zur Betrachtung der Dinge und Menschen, um ihn her herabzulassen […].“
Auf Anraten eines Kollegen macht sich der Autor lieber auf den Weg nach Hause. Dabei fielen ihm weitere Effekte auf: „Kaum hatte ich die Thüre geöffnet […], als ich sah, wie sich die Häuser von mir entfernten, ebenso wie die Personen, deren Stimmen mir einen so gedämpften Klang zu haben schienen, als kämen sie aus weiter Ferne. Die Entfernungen kamen mir sehr groß vor und ich glaubte, mich dem Erdboden entrückt und als ob ich in der Luft vorwärts schritte.“
Der Blick zurück wird zum Blick nach vorn
Wir hören hier also scheinbar von einem kräftigen Cannabis-Trip nach erstmaligem oralen Konsum. Manches kommt dem heutigen Cannaseur vielleicht bekannt vor, manches weniger. Man kann jedenfalls begeistert vom Entdeckerdrang und der großen Aufmerksamkeit des Zeitgenossen bei seinem psychonautischen Experiment sein.
Schon dieser schnelle Blick in die Vergangenheit hat also offenbart, dass der Hanf in Europa nicht nur als Faserlieferant, sondern auch als Rauschmittel früh seine „Fans“ hatte und die Forschung an dieser faszinierenden Pflanze auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Umso froher kann man sein, dass in unserer Zeit endlich wieder etwas der alten „Entspanntheit“ im Umgang mit dem Hanf zurückzukehren scheint.