Hanf ist schon sehr lange mit der Menschheitsgeschichte verbunden. Schon vor 2.500 Jahren nutzte man den vielseitig für die Produktion unterschiedlicher Güter einsetzbaren Rohstoff auch für Riten wie Beerdigungen. Doch schon vor zehntausend Jahren wurde Hanf hauptsächlich zur Fasergewinnung genutzt, was die Wissenschaft mittlerweile belegen kann.
Dann gewannen Menschen im Laufe der Zeit immer mehr Wissen über die vielen Vorteile, die die Pflanze auch bezüglich des medizinischen Aspektes besitzt. So wird immer wieder gerne auf die Lehren der deutschen Äbtissin Hildegard von Bingen hingewiesen, die schon um 1150 in ihrer Heilmittel- und Naturlehre „Physica“ auf den Einsatz von Hanf zur Linderung von Leiden einging. Doch 1484 erließ Papst Innozenz VIII ein Dekret, in dem er Cannabis als „unheiliges Sakrament“ bezeichnete und den Gebrauch unter den Gläubigen verbot.
Während der Zeit der Inquisition wurden medizinische und halluzinogene Kräuter dann sogleich mit Magie und Hexerei in Verbindung gebracht, sodass in den Jahrhunderten danach nur wenig über die Nutzung von Cannabis festgehalten wurde. Dies hat sich jetzt geändert, nachdem italienische Forscher die Knochen von menschlichen Skeletten aus dem 17. Jahrhundert untersuchten und zu einem wichtigen Ergebnis kamen. Damals wurde offensichtlich Cannabis gebraucht – und das nicht zu medizinischen, sondern zu Genusszwecken!
Erster Beweis des Rauchmittelkonsums in den Jahren des 16. Jahrhunderts
Mit der Entdeckung von Cannabinoidrückständen in den Knochen verstorbener Menschen in den Jahren zwischen 1600 und 1700 nach Christus, wurde eine wissenschaftliche Premiere gefeiert. Man hätte zwar gewusst, dass Cannabis in der Vergangenheit konsumiert wurde, aber es wäre jetzt die erste Studie, die Spuren davon in menschlichen Knochen gefunden habe, erklärt die Biologin und Doktorandin Gaia Giordano vom Labor für forensische Anthropologie und Odontologie (LABANOF) der Universität Mailand und dem Labor für toxikologische Untersuchungen.
Dies sei eine Besonderheit, da auch nur sehr wenige Labore, die Knochen von Menschen auf Drogenspuren untersuchen könnten, fügt sie bezüglich ihrer Forschungsarbeit an. Veröffentlicht wurden die Arbeitsergebnisse jetzt in der von Experten überprüften Dezember-Ausgabe des „Journal of Archaeological Science“. Das Wissenschaftlerteam untersuchte während der Forschungsprozesses neun Oberschenkelknochenproben von Menschen, die im Mailand des 16. Jahrhunderts gelebt haben und in der Krypta „Ca‘ Granda“ begraben wurden.
Diese befindet sich unter einer Kirche, welche an das „Ospedale Maggiore“ angeschlossen war. Damals das wichtigste Armenkrankenhaus der Stadt. Ziel der Studie war es, in der Allgemeinbevölkerung spezielle Spuren von Pflanzen zu finden, die zu medizinischen oder zu Rauschzwecken verwendet werden können. Die Untersuchung schloss dabei an eine frühere Studie von Gaia Giordano an, bei der Spuren von Opium in Schädelknochen und gut erhaltenem Hirngewebe gefunden worden waren.
Zwei ganz besondere Exemplare
Zwei Knochen, die unterschiedlichen Personen zuzuschreiben sind, brachten die neuen Ergebnisse über Cannabiskonsum zur Zeit des 17. Jahrhunderts zutage. In der Studie wurden die Gebeine einer Frau im Alter von etwa 50 Jahren und eines Jungen im Teenageralter aufgespürt, in denen zwei Arten von Cannabinoiden nachgewiesen werden konnten. Einmal Delta-9-Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol, die heute gemeinhin als THC (DTC) und CBD bezeichnet werden.
Die Forscher wollen dabei auch herausgefunden haben, dass Cannabis wohl nicht nur von allen Altersgruppen und Geschlechtern konsumiert worden ist, sondern auch, dass es zu Freizeitzwecken verwendet wurde. Höchstwahrscheinlich nahm man es damals in Form von Kuchen und Aufgüssen zu sich, sagt Gia Giordano. Das Team kommt zu diesem Schluss, nachdem sie die medizinischen Aufzeichnungen des Krankenhauses „Ospedale Maggiore“ analysierten.
In diesen fand man in den detaillierten Schriften über Heilpflanzen, Heilmittel und Getränke, die den Patienten in allen Mailänder Krankenhäusern um 1600 verabreicht wurden, schließlich keinen einzigen Hinweis auf den Einsatz von Cannabis. Das Fehlen in der Liste der Arzneibücher lasse daher die Vermutung zu, dass das bei den beiden Personen gefundene Cannabis wahrscheinlich aus denselben Gründen wie heute verwendet worden ist. Man setzte es zur Entspannung, zum Abschalten oder zur Selbstmedikation ein.
Hanf hilft in harten Zeiten
„Im Mailand des 17. Jahrhunderts war das Leben besonders hart“, erklärte der Archäotoxikologe Domenico di Candia, der die Studie leitete, gegenüber der Zeitung Corriere della Sera. Hungersnöte, Krankheiten, Armut und kaum vorhandene Hygiene wären weitverbreitet gewesen. Drei Jahrhunderte nach dem Verbot von Cannabis durch die katholische Kirche verbot dann auch Napoleon den Konsum von Cannabis, da es bei seinen Soldaten in Ägypten zu psychischen Störungen und heftigen Delirien gekommen sein soll.
Er hoffte wohl auch, dass das Verbot sie davon abhalten würde, es mit nach Frankreich zu bringen. Italien war dagegen jahrhundertelang ein bedeutungsvoller Produzent von Hanf, das für Papier, Seile und Textilien – einschließlich der Segel des Schiffes von Christoph Kolumbus – sowie als Viehfutter und Düngemittel verwendet wurde. Daher sagte auch einst Marco Perduca, der ehemalige italienische Senator und Gründer von „Science for Democracy“, der 2021 ein Referendum zur Legalisierung von Marihuana anführte, dass die Allgegenwart von Hanf in Italien es recht wahrscheinlich mache, dass es auch konsumiert wurde, um einen Rausch zu bekommen.
Die Menschen rauchten und kochten mit allen möglichen Blättern „decotto“, also mit abgekochtes Wasser, sodass es sehr schwierig sei, die damaligen Gewohnheiten zu bestimmen, sagte Perduca. „Aber da Hanf für so viele Industriezweige verwendet wurde, ist es möglich, dass die Menschen wussten, dass Teile dieser Pflanze auch geraucht oder getrunken werden können“
Unsicherheiten dank Verboten
Während es schriftliche Hinweise darauf gibt, dass die Pflanze in den vergangenen Jahrhunderten als Hausmittel oder von Heilern bei verschiedenen Beschwerden verabreicht wurde, verbreitete sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts dennoch das Verbot, das in vielen Ländern der Erde auch bis heute noch anhält. Laut Perduca hänge auch eine „soziale Scham“ mit der Vorstellung zusammen, dass man eine Substanz, von der man annehmen würde, dass sie einen um den Verstand brächte oder in einen narkotischen Zustand versetze, gegen den Gehorsam gegenüber sich selbst verstoße.
Was aber noch wichtiger sei, wäre ein Bruch des Gehorsams gegenüber der katholischen Kirche, die bis in jüngster Vergangenheit eine mächtige weltliche und politische Institution war. Es handele sich um eine Pflanze, die einer anderen Kultur und Tradition angehörte und mit der Religion verbunden sei, sagt Perduca. Er meint auch, dass die Pflanze erst vor Jahrhunderten aus dem östlichen Mittelmeerraum nach Italien gekommen wäre. Heute ist Cannabis in Italien für medizinische Zwecke legal, aber der Widerstand dagegen hält an.
Die derzeitige und die letzte italienische Regierung drängt darauf, CBD, das nicht psychoaktiv wirkende Cannabinoid aus Hanf, in die Liste der Betäubungsmittel aufzunehmen. Während die Debatte über die Legalisierung von Cannabis in Italien weitergeht, diskutieren Wissenschaftler darüber, ob die in den Knochen entdeckte Substanz auf einen hohen und häufigen Konsum der Droge hinweisen könnte und sogar auf einen Konsum kurz vor dem jeweiligen Todeszeitpunkt der Nutzer.
Wenn die beiden Toten jetzt noch sprechen könnten, hätten sie sicherlich eine eindeutige Meinung zum Thema Legalisierung von Cannabis in Italien. Thumbs up!