Gemäß der DDR-Führung waren Drogen wie Cannabis ein Phänomen des Westens. War das wirklich so?
Die Drogenpolitik und -kultur der DDR hat bis heute Auswirkungen auf den Konsum psychoaktiver Substanzen in den neuen Bundesländern. Die zu Zeiten des Kalten Krieges in Ost wie West illegale Form von Rauschmitteln war im damaligen Ostblock kaum existent. Deshalb gibt es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine Generation Kiffer weniger als in der früheren BRD.
Anders als im Westen gab es in der DDR auch keine illegalisierte Drogenszene. Der Konsum von Gras, LSD oder gar härteren Sachen war viel mehr Ausnahme denn Regel und hatte fast immer etwas mit sogenannten Westkontakten zu tun. Cannabis und andere illegale Drogen waren gemäß der Partei ein Problem des Kapitalismus, deren Abwesenheit in der DDR hingegen ein Beweis für die Überlegenheit einer sozialistischen Gesellschaft. Das klassenlose und gesinnungsunabhängige Betäubungsmittel für oder gegen den Sozialismus hieß Alkohol.
Die BILD-Zeitung war schwieriger zu schmuggeln als Haschisch
So ein zuvor erwähnter Westkontakt war auch der damals blutjunge Autor dieses Artikels. Ich hatte über den damals noch verbreiteten Briefkontakt ein paar Punks aus Leipzig kennengelernt, die mich 1987 zu einem offiziellen Privatbesuch nach Leipzig einluden. Von vorherigen Grenzübertritten wusste ich, dass die DDR-Grenzbeamte das Auto penibel nach westlichen Druckerzeugnissen oder Videokassetten durchsuchen würden, aber einen Klumpen Haschisch auf keinen Fall als solchen erkennen würden. Also entschlossen meine Begleitung und ich, den Leipziger Punks zum höchsten sozialistischen Feiertag am 1. Mai 1987 ein Stück unserer westdeutsche Punkerplatte zu kredenzen. Die als Mitbringsel auserkorenen fünf Gramm Standard-Marokkaner waren schnell in der Lasche eines Springerstiefels verschwunden, wo ihn die uniformierten Schnüffler auch bei der obligatorischen Schuhe-Aus Prozedur nicht finden sollten.
Die uralte BILD-Zeitung hingegen, die zuunterst im geliehenen Verbandskasten als Feuchtigkeitsfänger diente, wurde beschlagnahmt und hat uns nach einer unangenehme Ansprache und vielen Fragen fast die Einreiseerlaubnis gekostet. Das Hasch hätte auch mitten auf dem Lenkrad kleben können, ohne dass die Grenzer es als solches identifiziert hätten.
Zwei Stunden nach Grenzübertritt fanden wir uns mit einer mitgeschleppten Kiste Flensburger und einem Stück Haschisch auf einer Party in einer besetzten Altbau-Wohnung des Freundes eines Freundes in Leipzig-Connewitz wieder. Ich wollte, wie bei uns Westpunks üblich, unserer kleinen Runde zur Begrüßung einen bauen. Bis die Dreharbeiten abgeschlossen waren, waren wir von 30 Menschen ohne Cannabis-Erfahrung und einem durchschnittlichen Promillewert von 1,3 umringt.
„Is‘ dos Press-Tobok?“
„Ne, det is Hasch ausm Westen.“
„Spritzt mon dos net?“
„Eijentlich schon, aber die Spritze hamse mer anne Grenze abjenommen. Rauchen ist eigentlich Verschwendung, aber was soll’s.“
„Macht das net obhängsch?“
„Siehste doch“
„Darfsch mitrochen?“
„Späta, lass ma’ erst runter jehen.“
Auweia, nicht, dass ich Angst gehabt hätte, meine neuen Bekannten haschsüchtig zu machen. Aber wir saßen auf einem ungesicherten Dach und ich hatte einfach Bedenken, ob sich ein angesoffener Partygänger ohne Hascherfahrung auf dem schmalen Grat des Mischkonsums noch halten könnte. Am Ende wäre das Hasch, noch dazu aus dem Westen, wieder mal am Absturz schuld gewesen. Also haben wir auf die schöne Aussicht gepfiffen, um uns die Tüte einen Stock tiefer in der Küche gemeinsam reinzupfeifen.
Doch angesichts des volkseigenen Drehpapiers und der Neugier von ungefähr zwei Dutzend Ostpunks war der Dübel sofort nach dem Anrauchen heiß. Schlussendlich hat wohl keiner der Erstkiffer zwei oder drei richtig fette Züge und somit eine psychoaktive Dosis einatmen können. Kurzum: Angesoffen waren alle, high wurde auch nach dem Joint keine*r. Also habe ich gebunkert, was von den 5 g noch übrig war, um es später in aller Ruhe mit unseren Gastgebern zu genießen.
Eine gesamtdeutsche Tüte am Völkerschlachtdenkmal
Am nächsten Tag war es dann an geschichtsträchtiger Stätte so weit: Wir konnten mitten auf dem Völkerschachdenkmal unseren ersten deutsch-deutschen Joint abfackeln. Selbstredend waren unsere Gastgeber, die ihrerseits Dre-Pa Papers (VEB-Ware) und F6-Baukippen zum gesamtdeutschen Kunstwerk beigesteuert hatten, ob der Wirkung der gesellschaftszersetzenden Substanz aus dem Westen sofort begeistert. Bei unseren Folgebesuchen bis zur Wende ‘89 haben sich dann auch alle mehr an den cannafinen Mitbringseln als am Discounter-Kaffee oder den obligatorischen Südfrüchten erfreut.
Unter unseren neu gewonnen Freunden aus der Leipziger Punkszene hatte sich damals bereits herumgesprochen, dass die Hanfsamen aus DDR Vogelfutter keim- und blühfähig sind. DDR-Hanf unterlag auch nie einer EU-Nutzhanfverordnung. Potente Sorten aus staatlicher Zucht wiesen sehr niedrige, aber spürbare THC-Gehalte aus. Einer unsere Punkfreunde hat dann sogar angefangen, in einem Connewitzer Hinterhof Gras aus VEB-Vogelfuttersaatgut anzubauen. Ende Oktober hat er dann die Pflanze mit allen Blättern und Stielen getrocknet, klein gemahlen und geraucht. Bei mir hat das nicht getörnt, aber meine Connewitzer Kollegen waren da andere Meinung. Kann sein, schließlich war ich damals schon viel Stärkeres gewohnt.
Schwarzer Afghane in der DDR?
Wie ich später erfahren sollte, gab es wohl auch Einzelfälle, bei denen sowjetische Besatzungssoldaten Haschisch aus Afghanistan verkauft haben. Die Sowjetunion hatte sich mit der Besetzung des Nachbarlandes 1979 auch Hasch ins Land geholt, dessen Konsum besonders bei einigen Soldaten beliebt, aber längst nicht so verbreitet, wie ein paar Jahre zuvor Cannabis bei den US-Streitkräften in Vietnam war. Da es zwischen der Sowjetarme und der DDR-Bevölkerung nicht selten einen schwunghaften Schwarzhandel gab, hat so manch Stück Schwarzer Afghane seinen Weg durchs Kasernentor ins sozialistische Inland gefunden. Aber das waren, genau wie die Haschmitbringsel West-Berliner Punks für die Ost-Kollegen am Alexanderplatz, Einzelfälle, die statistisch kaum ins Gewicht fielen. Wer in der DDR mehr wollte als Alkohol, hat sich an den Produkten der Arzneimittel-Kombinate oder Pharma-VEBs bedient. Denn für diese Psychopharmaka wie Wachmacher und Downer gab es einen florierenden Schwarzmarkt, auf dem sich so manch Krankenhausangestellte*r ein Zubrot verdient oder ertauscht hat.
Mit der Mauer fallen die Hemmungen
War man bereit, auf gewohnte Standards zu verzichten, gab es direkt nach der Wende im Osten der Stadt Wohnraum zum Nulltarif. So hatte es auch mich kurz nach dem Fall der Mauer mit Gleichgesinnten in den Osten der Stadt verschlagen. Im Prenzlauer Berg, Mitte oder im Friedrichshain konnte damals ganz plötzlich wohnen, wie und wo man wollte. Neben unserem gab es allein im LSD-Viertel* über 100 besetze Häuser. Daneben gab es haufenweise leer stehende Wohnungen, in die man einfach einziehen konnte. Aber die bunte Vorhut, die sich damals in Berlins Zentrum breit gemacht hatte, brachte natürlich auch ihre bevorzugten, oft nicht legalen Substanzen mit. Mit denen hatten DDR-Bürger*Innen so gut wie keine Erfahrungen. Eigentlich hatten die Ost-Berliner*innen direkt nach der Wende viel zu wenig Westgeld für Gras, Hasch oder gar Härteres. Aber auf dem Schwarzmarkt waren Tauschgeschäfte an der Tagesordnung.
Weil die Volksdroge Alkohol in der DDR so billig war, kostete ein Gramm Hasch, je nach Pegel und Verhandlungsgeschick, 1990 circa eine Flasche harten Alkohol („Pfeffi“, „Goldi“ o. Ä.). Gras gab es damals auch im Westen selten und war zudem schwerer zu verstecken als Hasch. Denn im ersten Jahr nach dem Mauerfall konnte man sich zwar freier als zuvor bewegen, die Grenze jedoch existierte weiterhin. Weil die verbliebenen DDR-Grenzer jetzt Tipps von den Kollegen aus dem Westen bekamen, gab es sogar ab Frühjahr 1990 oberflächliche, meist ergebnislose Stichprobenkontrollen auf Hasch und Co.
Drogenfahnder im klassischen Sinne gab es im Ostteil jedoch ebenso wenig wie ein Betäubungsmittelgesetz. Das DDR-Suchtmittelgesetz aus dem Jahre 1973 war ein schlecht formulierter Papiertiger, zu dessen Umsetzung es im Vergleich zur Westteil so gut wie gar keine Ressourcen gab. Als Folge dessen wurden in den ersten Jahren nach dem Mauerfall alle nur denkbaren Drogen ziemlich offen und unverhohlen verkauft. Haschisch gab es in fast jedem besetzten Haus und in so gut wie jedem Nachtclub. Wer etwas Härteres wollte, konnte darauf vertrauen, das komplette Sortiment bei einem halbwegs kaputten Typen in einer halb verfallenen Hinterhofwohnung, einem der vielen halb-legalen Techno-Clubs oder einer einschlägigen Kneipe zu finden. Damals wurde mir neben der Unsinnigkeit des Cannabisverbots auch klar, was passiert, wenn man Drogen einfach unreguliert an unerfahrene Menschen vertickt.
Nomen est Omen – Das LSD Viertel
Besonders in den ersten Jahren nach der Wende habe ich Nachbarn und Freunde in meinem neuen Kiez scheitern sehen. Nachdem sie nach den ersten Joints, Trips oder Nasen nicht einmal geahnt haben, wie gefährlich so einige Substanzen bei regelmäßigem Konsum sein können, war es nicht selten zu spät. Medien und Politik beider deutscher Staaten haben unisono absoluten Schwachsinn über Haschisch verbreitet. So dachten einige, die die Gefahren nur aus dem Fernsehen kannten, das Gefahrenpotenzial bunter Pillen oder Pülverchen sei mit dem relativ geringen von Cannabis vergleichbar.
Wir Westpunks kannten neben Filzorgien bei der Polizei auch durchgeknallte LSD-Freaks und kaputte Straßenjunkies, die uns mahnendes Beispiel dienten. Die wenigsten wollten Stress mit der Polizei wegen ein bisschen Haschisch oder sich die blühende Zukunft mit einem massivem Suchtproblem verbauen. Das half den meisten „Westlern“, trotz mieser Drogenpolitik und einer offenen Drogenszene, diese wirklich heftigen Zeiten meist halbwegs unbeschadet zu überstehen. Junge Menschen, die im Ostteil groß geworden waren, haben oft nicht verstanden, dass auch eine offene Drogenszene Regeln kennt – sowohl im Verhalten gegenüber der Polizei als auch beim Konsum der Schwarzmarkt-Substanzen.
Auch abschreckende Drogenkarrieren gab es, anders als in der Bundesrepublik oder in West-Berlin, im Osten nicht. So hat ein Typ im nicht besetzen Nachbarhaus über Monate hinweg jeden Tag mindestens einen Trip eingeworfen – bis sprichwörtlich der Arzt kam. Ein paar Straßen weiter wurde Anfang 1991 eine junge Frau, die ich vom Sehen kannte, orientierungslos von einem Dach gerettet. Sie hatte nach einem schlechten Trip monatelang aus Angst, ein Arzt könne sie bei der Polizei wegen des schlechten Trips anzeigen, durchgekifft.
Drogenpolitik in der DDR war bis 1989 schlicht nicht existent, die im Westen steckte in den Anfangsjahren und setze meist auf Repression. Bundes- und Landespolitik haben damals versäumt, der sehr speziellen Situation mit sachlicher Information oder gar der Möglichkeit von Drug-Checking oder Konsum akzeptierenden Beratungsangeboten zu begegnen.
Verwaiste DDR-Hanffelder als Kiffer-Spielplatz
Eine weiteres Erbe der Nicht-Drogenpolitik aus DDR-Zeiten waren riesige, seit 1989 verwaiste Nutzhanffelder um Berlin oder auch Magdeburg. Die wurden ab 1990 regelmäßig von Kiffern geplündert. DDR-Nutzhanf hatte mit einem THC-Wert bis über einem Prozent einen höheren Wirkstoffgehalt als der heutige EU-Nutzhanf, dessen THC-Gehalt künstlich auf 0,3 % gehalten wird. Ost-Hanf war bei richtiger Weiterbearbeitung brauch- und rauchbar. Eigene Versuche, Haschisch aus den Blüten zu sieben, scheiterten damals jedoch an mangelnder Erfahrung und/oder am niedrigen THC Gehalt der Ausgangsware. Das Ergebnis, ein gelbliches, kaum klebendes Pulver. Dieses Powder hatte, mit dem Hasch, wie ich es aus Marokko kannte, wenig gemein und kaum den gewünschten Effekt.
Das bekannteste dieser Hanffelder befand sich direkt neben der S-Bahn in Berlin-Buch. Nachdem die Polizei über eine Dekade hinweg erfolglos versucht hatte, das Feld im Herbst ob des nächtlichen Kifferansturms abzufackeln, wurde es zu Beginn des Jahrtausends mit schwerem Gerät untergepflügt und so endgültig vernichtet.
Nach und wegen drei Jahrzehnten geteilter Tüten sind die Mauern aus den Köpfen, gerade die aus denen toleranter Potheads, glücklicherweise verschwunden. Besonders in den ostdeutschen Großstädten haben sich die vielen Hausbesetzer, Künstler, Punks und andere Bunte Hunde aus Ost wie West zur Kreativwerkstatt für Kulturschaffende entwickelt.
Die cannafine, alternative Subkultur des Berliner LSD-Viertels, der Mainzer Straße, der Kastanienallee, der Linienstraße oder auch der Dresdener Neustadt haben diese Viertel erst zu den Kreativ-Kiezen gemacht, die Berlin, Dresden oder Leipzig heute ausmachen. In den 2023 komplett durch gentrifizierten Szene-Bezirken ist Cannabis heute noch präsenter als im Rest der Republik. Rund um die Warschauer Straße oder am Helmholtzplatz riecht es Samstagabend genauso intensiv nach Weed wie nach exotischen Imbissgerichten. Kiffen ist dort selbstverständlicher Teil des urbanen Lifestyles. Die wirklich Kreativen suchen währenddessen wieder das Weite – weil ein Quadratmeter im Herzen des urbanen Lifestyles mittlerweile mehr Miete als ein Gramm richtig gutes Weed auf dem Schwarzmarkt kostet.
*LSD-Lychener-Schliemann-Dunckerstraße