Schon häufiger wurden in alten Gräbern Cannabisfunde gemacht, die belegten, dass Menschen schon in der Frühzeit die Pflanze als Rauschmittel einsetzten. In einer 2500 Jahre alten Begräbnisstätte im chinesischen Pamir-Gebirge fand man beispielsweise Belege dafür, dass potente Hanfpflanzen für Riten während Bestattungen genutzt wurden. Nun bewies ein Team von Forschern dank der Funde aus einem 1.320 Jahre alten Grab, dass die Samen der Gewächse auch als Nahrungsquelle dienten.
Agrararchäologie
Während Bauarbeiten an einer Grundschule in Taiyuan in der Shanxi-Provinz stieß man auf das Grab eines Soldaten der Tang-Dynastie. Die überraschend trockene und bislang ungestörte Grabstätte bot Wandmalereien und Artefakte in nahezu perfekt erhaltenem Zustand aus einer Zeit zwischen 618 und 907 vor Christus Geburt. Darunter befand sich auch ein Gefäß, das Reste von Cannabis und Samen der Pflanze enthielt.
Diese Samen waren nahezu doppelt so groß wie heutiges Saatgut und zeigten sich teils noch in authentischen Farben. Aufgrund ihrer Größe wird davon ausgegangen, dass es sich um spezielle Züchtungen handelt, die mit den heutigen Varietäten nicht verglichen werden können. Es ist allgemein bekannt, dass die Menschen im alten China Cannabis anbauten und dessen Samen in einer Art Brei zu sich nahmen. Eine Menge chinesischer Geschichtstexte ließ bereits vermuten, dass die Pflanze eine wichtige Nahrungsquelle war, aber archäologische Beweise zur Untermauerung der schriftlichen Berichte waren bislang rar.
Wichtiger als Reis
Die Forscher der Fakultät für Geschichte und Kultur an der Universität Shandong gehen davon aus, dass es sich bei den gefundenen Samen und Cannabisresten um weniger berauschende Sorten handelt. Die Professorin Dr. Jin Guiyun, die in der im Fachblatt Agricultural Archaeology veröffentlichten Forschungsergebnisse zu Wort kommt, ist der Meinung, dass der Einsatz der Hanfsamen als Nahrungsquelle in der Zeit der Tang-Dynastie einen höheren Stellenwert als der von Reis gehabt haben muss.
„Das Cannabis wurde in einem Topf auf dem Sargbett gelagert, zusammen mit anderen Grundnahrungsmitteln wie Hirse. Offensichtlich verstanden die Nachkommen von Guo Xing Cannabis als wichtiges Lebensmittel.“ Guo Xing ist ein Hauptmann der Kavallerie gewesen, der mit dem Tang-Kaiser Li Shimin – oder Taixzong – in einer Reihe von blutigen Schlachten auf der koreanischen Halbinsel gekämpft hatte, sodass es sich hier nicht um das Grab eines gewöhnlichen Menschen aus dieser Zeit handelt.
Unbehandelte Hanfsamen
Zu der Zeit, aus der die Hanfsamen stammen, war die Taiyuan-Region wärmer und feuchter als heutzutage und Reis wurde eher in dem weiteren Gebiet um den Gelben Fluss – auch Huang He genannt – angebaut. Daher fand man in dem Grab wohl auch keinen Reis. Der Fund der Cannabissamen zeige laut Forschern möglicherweise dafür die individuelle Ernährungsweise des Verstorbenen, der wohl erst in einem Alter von 90 Jahren sein Leben ließ.
Das Cannabis wurde somit offensichtlich als Nahrungsmittel für das Festmahl und für die Gesundheit des Toten im Jenseits dargereicht. Bemerkenswert ist dabei, dass die Schalen der Samen nicht entfernt worden waren, obwohl sie keinen angenehmen Geschmack besitzen. Hier wird davon ausgegangen, dass der dort höher konzentrierte THC-Gehalt einen Grund gehabt haben kann. Cannabissamen mit Schalen seien nicht nur mit dem hohen Ligningehalt der Schale und ihrer harten Beschaffenheit in Verbindung zu bringen, so Dr. Jin. Nicht nur das Risiko der Schimmelbildung würde verringert und die Lagerzeit könne verlängert werden, sondern auch die Nerven könnten stimuliert und dadurch Halluzinationen hervorrufen werden, sodass der Verzehr der Schale zu religiösen und medizinischen Zwecken einen Sinn ergäbe.
Hanf – ein Grundnahrungsmittel
Seit den Neunzehnhundertachtzigerjahren finden Forscher in China immer wieder Grabstätten mit Cannabisresten, die sich bis auf 6.600 Jahre zurückdatieren lassen. In der Regel galt hier jedoch, dass die Pflanzen für rituelle Zwecke und das Hervorrufen von Rauschzuständen eingesetzt wurden. Forscher behaupten, dass man Cannabis in China aber schon vor 12.000 Jahren kultivierte. Während es zur Herstellung von Kleidung, als Rauschmittel bei Ritualen und auch als Arznei genutzt wurde, sprechen alte Texte auch vom Nahrungsmittel.
In alten chinesischen Schriften wird Cannabis als eines der „wu gu“, der fünf Grundnahrungsmittel, bezeichnet. Laut Li Shizhen, einem chinesischen Arzt, Gelehrten, Pharmazeuten und Botaniker der Ming-Dynastie, müsse man beim Verzehr der Samen aber achtsam sein. In seinem vor etwa 500 Jahren verfassten „Benaco Gangmu“ – der großen Enzyklopädie der Materia Medica – warnt er davor, dass das Essen zu vieler ungeschälter Hanfsamen einen Menschen wie verrückt herumlaufen lassen könne.
Jedwedes Nahrungsmittel mit natürlich Bestandteilen der vielseitig einsetzbaren Nutzpflanze als „Novel Food“ zu bezeichnen, klingt bei diesen wissenschaftlichen Tatsachen nun noch verrückter. In China aßen sie Hanf – schon vor über eintausend Jahren!