Mit Cannabis ruderalis als Unterart hat die Familie des Hanfs noch ein drittes Mitglied. Cannabis ruderalis oder Ruderal-Hanf ist in Zentralasien und Osteuropa als wild wachsendes Unkraut verbreitet. Die lateinische Bedeutung von „ruderalis“ könnte man am ehestem mit „auf Geröllfeldern“, oder „Schutthalden wachsend“ übersetzen. Dieses Attribut wird in der Botanik für anspruchslose Pionierpflanzen benutzt.
Ruderal-Hanf war lange weniger bekannt, weil er nicht nur wesentlich kleiner ist als Cannabis sativa sativa oder Cannabis sativa indica, es lassen sich auch keine Fasern und praktisch kein THC aus dem wilden Ruderal-Hanf gewinnen, er ist also als Medizin und Rohstofflieferant uninteressant.
Ein zähes Steppen-Kraut bereichert die Zucht
Cannabis ruderalis hat aber wertvolle Eigenschaften, die ihn für die Zucht von Medizinalhanfproduktion interessant machen. Er ist äußerst zäh, witterungsbeständig und beginnt automatisch nach einem bestimmten Lebensalter mit der Blüte. Der Lebenszyklus von Cannabis ruderalis wird also durch die sogenannte chronologische Reifung bestimmt. In der Biologie gilt diese Eigenschaft als Anpassung der Pflanze an die kurzen, nördlichen Sommer mit langen Tagen. Eine Hanfpflanze mit chronologischer Reifung kann ausreifen, solange es noch warm ist, wo Lichtblüher wegen der vielen Tageslichtstunden zudem in der Wachstumsphase wären und dann im ungünstig kalten Herbst blühen müssten. Diese Eigenschaft nutzt man heutzutage bei der Züchtung von sogenannten Automatics. Dabei wird versucht, die positiven, erwünschten Eigenschaften einer potenten Medizinalpflanze und des robusten, Wildhanfes in einem möglichst stabilen Hybriden zu vereinigen.
Eine Automatic blüht dann – wie der Name schon sagt – automatisch ab einem gewissen Lebensalter. Bei einer stabilisierten Kreuzung beginnt die Blüte idealerweise nach kaum einem Monat, nach spätestens drei Monaten sollte die Pflanze dann erntereif sein. Das Ziel ist eine anspruchslose und meist unauffällig kleine Balkonpflanze, die, je nach Zeitpunkt der Aussaht, schon im Juli und August mitten im nordeuropäischen Hochsommer ihre Blüten ausreift.
Botanische Besonderheiten von Cannabis ruderalis
Die Arten der Cannabis-Familie lassen sich problemlos untereinander kreuzen. Das Genom der Pflanzen ist kompatibel, die Fähigkeit zur lichtunabhängigen Blüte beim Ruderalhanf wird wahrscheinlich durch ein Gen verursacht, das bei Sativa und Indica ebenfalls vorhanden, aber nicht aktiviert ist.
Es ist deshalb umstritten, ob Ruderalis eine Unterart oder schon eine eigene Art ist. Gemäß dem biologischen Artbegriff der Fortpflanzungsgemeinschaft ist Ruderalis eine Variante von Cannabis. Aufgrund der eklatanten Unterschiede in Gestalt und Eigenschaften kann man ihn aber auch schon als eigene Art betrachten. Die existierenden Vorkommen von Ruderalis jedenfalls stammen wohl alle von Kulturhanf ab. Die Pflanzen haben sich dann in Gestalt und Lebenszyklus verändert, als Anpassungsleistungen zum Überleben im rauen Klima ohne Pflege.
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet von Cannabis ruderalis ist Zentralasien, Südrussland, Kasachstan und Aserbaidschan, also genau da, wo wohl auch der große Hanf seine Heimat hat. Ruderal-Hanf wurde auch in der Kanadischen Steppe beobachtet. Die Pflanze kann als verwilderte Form der kultivierten Hanfpflanze gelten und wäre somit als Unterart von Cannabis sativa oder indica zu betrachten. Im Genom gibt es praktisch keine Unterschiede, aber die extrem unterschiedlichen Merkmalsausprägungen erlauben auch die Einordnung als eigene Art.
Ruderalis für Hobby-Gärtner und Patienten
Wer Automatics und normalen Hanf beim Wachsen kennt, sieht die Unterschiede sofort. Nicht nur der automatische Blütebeginn ist für Hanf eher ungewöhnlich. Insgesamt zeigen die Pflanzen mit Ruderalis-Anteilen einen viel zarteren Wuchs. Vor allem die Wurzeln sind sehr fein und nehmen nicht so aggressiv von ihrer Umgebung Besitz. Deshalb wird oft empfohlen, Automatics unverzüglich in seinem endgültigen Topf aussähen, da die Wurzeln dieser Pflanzen sich nicht mehr ausbreiten, wenn sie im Laufe ihres Lebens umgetopft werden. Auffällig ist auch der extrem bescheidene Nährstoffbedarf. Automatik-Hanf braucht man praktisch nicht zu düngen, im Gegenteil gelten die Pflanzen als sehr empfindlich gegen Überdüngung.
Dies alles sind die Eigenschaften des wilden Cannabis ruderalis. Diese Pflanze bleibt in der Größe natürlicherweise meist deutlich unter einem Meter und entwickelt kaum Seitenäste. Die Blätter sind eher gedrungener und haben mit höchstens sieben weniger Finger als kultivierte Hanfsorten. Der kleine Wildhanf ist dabei noch viel zäher und widerstandsfähiger als seine großen Verwandten. Die Samen entwickeln sich schnell, es entwickelt sich am Ansatz eine Einschnürung, sodass die Früchte von selbst aus ihren Hüllen fallen, sobald sie reif sind. Die Samentiny können in gefrorenem Boden angeblich mehrere Jahre überleben und bleiben sogar keimfähig, wenn die Schale etwa durch Tierhufe beschädigt wurde.
Zwerg mit CBD-Power
Cannabis ruderalis produziert praktisch kein THC, dafür aber relativ viel CBD. Das macht Kreuzungen mit Ruderalis auch für medizinische Züchtungen interessant. Sorten mit Anteilen von Ruderalis-Genetik zeigen ein ausgewogenes Verhältnis der Cannabinoide, es sind viele therapeutisch relevante Stoffe enthalten. Die im Vergleich zu domestizierten Hanfsorten schwächere Rauschwirkung ist ebenfalls erwünscht, die Medizin beeinträchtigt den Alltag des Anwenders nicht so stark, deshalb ist Medizinalhanf mit Ruderalis-Anteilen hervorragend zur Behandlung chronischer Leiden geeignet. Bei schlechter Versorgungslage können Patienten die pflegeleichten Automatik-Sorten auch mit wenig Aufwand selbst erfolgreich anpflanzen.