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Angesichts der blühenden Beziehung zwischen einem mikroskopisch kleinen Virus, Covid-19 und einem als „Mensch“ bekannten Säugetier, wird deutlich, dass die Art und Weise, wie wir mit anderen Spezies zusammenleben, unser Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft beeinflusst.
Ein Mensch zu sein, ist ein höchst relationales Dasein. Wir entwickeln Beziehungen zu allem, was uns begegnet, sei es zu anderen Menschen, Tieren, Mikroorganismen, Lebensmitteln, Möbeln, zu Angst oder der Regierung. Wir entwickeln sogar Beziehungen zu Pflanzen. Wenn wir Cannabis als Teil der Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen entdecken können, dann können wir besser verstehen, wie wir Cannabis formen und wie Cannabis uns formt.
Cannabis ist mit vielen verschiedenen Aspekten des menschlichen Lebens verbunden. Die Technologien und Infrastruktur des industriellen Gartenbaus führen zur Entstehung großer und mittelgroßer Cannabisunternehmen, die Cannabis für den Verkauf auf Einzelhandelsebene anbauen. Sei es über lizenzierte Verkaufsstellen oder für den illegalen Markt. In diesem Zusammenhang ist Cannabis neben anderen Gütern ein Gebrauchsgegenstand. Im Gegensatz zu dem Besitzer eines industriellen Gewächshauses, entwickelt eine Person, die Cannabis im eigenen Garten anbaut und es für die Linderung bestimmter Symptome einer Krankheit verwendet, eine andere Art von Beziehung zu den eigenen Pflanzen. Für Patienten hat Cannabis im Vergleich zu einem Unternehmer einen anderen Stellenwert. Medizinische Anwender und Unternehmer haben unterschiedliche Verwendungszwecke für Cannabis, verwenden mitunter andere Anbau- und Verarbeitungstechniken und bauen zu ihren Pflanzen außerdem eine andere Verbindung auf – während die eine persönlich ist, spielt sich die andere auf einer entfremdeten Ebene ab.
Währenddessen wachsen auf einem Berg im Himalaja, abseits der unzähligen Wanderwege und Dörfern, ungestört Cannabispflanzen, die bisher noch keinen Kontakt zu Menschen hatten. Wenn Cannabis auf den Menschen trifft, wird es in menschliche Lebensweisen wie Wirtschaft, Politik, Körper und Gefühle integriert. Treffen Menschen auf Cannabis, beeinflusst die Pflanze den Lebensweg und die Art und Weise, wie ein Geschäft entwickelt oder ein medizinischer Garten geführt wird.
Menschen verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, über ihre Entdeckung und Erfahrungen in und mit der Welt zu sprechen. Das geschieht in alltäglichen Gesprächen und durch umfangreichere und detailliertere Kanäle wie Wissenschaft, Philosophie und Religion. Weil jede dieser Geschichten, die die Bedeutung der Welt um uns herum beschreibt, von Menschen geschaffen wird, spiegeln sie eine Perspektive wider, die nur Menschen sehen und verstehen können. Wir wissen nicht, wie eine Pflanze die Welt wahrnimmt. Tatsächlich gab es in den vergangenen hundert Jahren innerhalb der nordeuropäischen und nordamerikanischen Gesellschaft eine Bewegung, die durchsetzen wollte, dass die „Wahrheit“ über die Welt eine menschliche Wahrheit sein muss. Dementsprechend stellen wir menschliche Einflüsse auf die Pflanzenwelt über den Einfluss von Pflanzen auf die Welt des Menschen.
Unter diesem Blickwinkel wird Cannabis zu einer Geschichte über unsere Fähigkeit, die Pflanze anzubauen und zu züchten – wie wir ihre Eigenschaften nutzen und daraus einen Mehrwert schaffen können. Dieser Wert nimmt viele Formen an, es gibt etwa eine Cannabiswirtschaft mit verschiedenen Arten von Finanzierung, Unternehmen, Produktionsverfahren, unterschiedliche Verarbeitungs- und Extraktionstechniken, Verteilung und Konsummustern. Wir verleihen der Pflanze auch wissenschaftlichen oder anekdotischen Wert, indem wir Cannabis als Medikament bezeichnen und es zu etwas machen, das wir für unseren Körper und unser Wohlbefinden einnehmen. Auch für alle stolzen und bekennenden Cannabis-Konsumenten bietet sie einen Mehrwert. All diese Geschichten haben etwas gemeinsam: Sie beschreiben eine Welt, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und die Pflanze nichts weiter ist als eine untergeordnete Requisite, deren Existenz ausschließlich für das menschliche Dasein bestimmt ist.
Um zu verstehen, dass die Pflanze vielmehr ein weiterer Schauspieler als eine Requisite ist, sollte man zunächst bedenken, dass die Welt von Tieren bewohnt ist. Eine Maus, die zum Beispiel im selben Haus wie ein Mensch lebt, nimmt aufgrund ihrer Größe, ihrer Sinne, ihrer Anatomie und ihrer Veranlagung ein gänzlich anderes Haus wahr. Die Türklinken sind unerreichbar und die Vorhänge bieten die Möglichkeit zum Hinaufklettern. Die Wahrnehmung der Welt der Maus ist so genauso real, wie es das menschliche Weltverständnis für den Menschen: Beide Perspektiven sind gültig.
Ähnlich wie Menschen und Mäuse existieren Pflanzen und interagieren mit ihrer Umwelt. Sie ernähren sich von Gasen (eine Variante der Atmung), nehmen sie auf und geben sie ab, nutzen ihre Umgebung zur Energiegewinnung, vermehren und wachsen und sterben schließlich. Da Pflanzen ihre Welt wahrnehmen und auf sie reagieren, besitzen sie eine Form von Wissen über diese Welt. Für Menschen, und wahrscheinlich auch für Mäuse, ist es schwer vorstellbar, wie eine Pflanze die Welt wahrnimmt oder welche Form von Wissen sie besitzt. Es ist unwahrscheinlich, dass das Wissen von Pflanzen das ist, was wir als „Bewusstsein“ bezeichnen, dennoch agieren Pflanzen weder passiv noch unterwürfig, sondern interaktiv.
Pflanzen folgen nicht ohne Weiteres menschlichen Plänen. Ihre Genetik kann sich ändern, sie sind wählerisch bei Belichtung, Nährstoffen, Temperatur und CO₂-Gehalt. Ferner entwickeln sie nicht menschliche Beziehungen zu anderen Pflanzen, Mikroorganismen, Insekten und Pilzen. Manchmal unterstützen diese Beziehungen die menschlichen Pläne und manchmal bewirken sie genau das Gegenteil. Damit eine große Plantage ein verlässlicher kommerzieller Erfolg wird, ist ein hohes Maß an technischen Eingriffen nötig. Cannabis entwickelt sich aus der Interaktion zwischen Menschen, Pflanzen und anderen Spezies, wobei jede Figur auf die eigenen Sinne vertraut, um in ihrer Welt existieren zu können.
Die Geschichten, die Menschen über Cannabis erzählen, haben nur wenig mit Erde, Sonne und Regen zu tun. Stattdessen handeln sie wie besessen von Buchstaben wie CBD und THC, oder Nummern und Symbole wie $ oder %. Pflanzen wissen nichts über diese Welt der Zahlen und Buchstaben. Die beschränkte Interpretation von Cannabis als eine Sammlung „aufregender“ Extrakte mit „großartigem Potenzial“ schadet der Pflanze und reduziert sie auf eine Ansammlung wissenschaftlicher Bezeichnungen, die menschliche Bedürfnisse mit menschlichen Wünschen befriedigen.
Die Pflanze agiert jedoch als ein Mitspieler des Menschen, der eine starke Verbindung formt. Dieses Magazin ist ein Beispiel, wie Cannabis eine liebevolle Beziehung mit Menschen erzeugt. Viele Menschen besitzen zu Cannabis eine genauso starke Beziehung wie zu anderen Menschen und es gibt Zeiten, in denen sie die Gesellschaft von Cannabis vorziehen. Unter politischen Regimen, wo Cannabis für die Erschaffung illegaler Märkte und gesellschaftlicher Unterdrückung ausgebeutet wird, werden viele Menschen in geächteten und marginalisierten Gemeinden durch ihre Beziehung mit der Pflanze gewaltsam getötet. In vielen Ländern werden Menschen nur wegen ihrer überaus starken Beziehung zu Cannabis verhaftet, verlieren Arbeit oder sogar Sorgerecht für Kinder, werden aus ihren Häusern vertrieben und zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt und dennoch zeigen sich viele „Überlebende“ derartiger Erlebnisse der Pflanze gegenüber loyal.
Die Pflanze besitzt das Potenzial, Menschen in vielerlei Hinsicht nachhaltig zu beeinflussen. Beginnen Menschen zum Beispiel mit der Verwendung von Cannabis, verändert sich die Kleidung, die sie tragen, die Musik, die sie machen oder hören, die Art und Weise, wie sie tanzen und sich bewegen oder Dinge erschaffen und verändern, ihre Einstellung zu Politik und Spiritualität verändert sich und sie knüpfen vielleicht Freundschaften mit anderen Cannabis-Konsumenten. Cannabis induziert kreative und innovative Denkweisen und Verhaltensmuster, verstärkt Erlebnisse und Bedeutungen und erweitert Wahrnehmung von Beziehungen; aus demselben Grund kann Cannabis aber auch Angst und Paranoia hervorrufen.
Cannabis verändert den Menschen, der wiederum die Pflanze verändert. Wir beeinflussen einander, bewegen unsere Körper und erschaffen zusammen unsere eigene Realität. Um die menschliche Beziehung zu Cannabis besser verstehen zu können, hilft es, den Menschen dabei aus dem Mittelpunkt zu nehmen und den anderen Teil der Beziehung – die Pflanze – auf seine eigene Art und Weise zu respektieren und verstehen zu lernen. Ferner lässt sich diese Methode auf jede beliebige Beziehung übertragen, einschließlich Drehpapier, Hanfkleidung, Viren, das Geräusch, wenn jemand hustet, Menschen auf Bildschirmen, Haut, Seife und Luft. Selbst in Zeiten von Isolation und gesellschaftlicher Distanzierung ist der Mensch ein Produkt seiner Beziehungen. Sie sind eng und miteinander verbunden – nehmen Sie sich die Zeit, Ihre eigenen Verbindungen zu erforschen und die anderen Teile Ihrer Beziehungen zu verstehen.